Heiner Geißler wird 80 Jahre alt

Vordenker und Modernisierer

Heiner Geißler, langjähriger Generalsekretär der CDU, wird heute 80 Jahre alt. Das Abitur legte er auf dem Jesuiten-Kolleg Sankt Blasien ab. Anschließend trat er dem Orden für vier Jahre bei.

Autor/in:
Christoph Arens
 (DR)

Auch nach seiner politischen Laufbahn blieb Geißler ein Mahner, der seine Partei immer wieder vor "Kleingeisterei" warnte. «Politik ist keine Harmonieveranstaltung.» Heiner Geißler ist ein begnadeter Streit-Anzettler und war lange als ein Hau-Drauf der deutschen Politik bekannt. Legendär ist der Vorwurf des damaligen CDU-Generalsekretärs, die SPD sei die «fünfte Kolonne» Moskaus. Für Empörung sorgte auch sein Vorwurf, «ohne den Pazifismus der 30er Jahre wäre Auschwitz nicht möglich gewesen». Willy Brandt warf ihm 1985 vor, der «schlimmste Hetzer seit Goebbels» zu sein.

Inzwischen wirkt der in Oberndorf am Neckar geborene Christdemokrat, der am Mittwoch 80 Jahre alt wird, deutlich abgeklärter. Manches würde er heute nicht mehr so formulieren, hat er eingeräumt. Viele, die sich damals über ihn aufgeregt haben, loben ihn heute als einen der bedeutendsten Parteimanager der Bundesrepublik. Geißler selber, der sich immer wieder als Kapitalismuskritiker hervortut und
2007 sogar der globalisierungskritischen Bewegung attac beitrat, meint nicht, dass sich seine Überzeugungen groß geändert hätten.

Geprägt durch Jesuiten
«Ich war 12 Jahre lang Generalsekretär, und in dieser Funktion muss man die Speerspitze sein», begründet der promovierte Jurist und einstige Richter seine harschen Äußerungen mit Rollenzwängen. Sein politisches Engagement sieht der Katholik wesentlich durch Elternhaus und die Schule und das Noviziat der Jesuiten geprägt.

Der Vater wurde wegen seines Engagements in der Zentrumspartei während der Nazizeit mehrfach versetzt. Den Jesuiten ist Geißler «heute noch dankbar, dass ich in Sankt Blasien war». Die ideellen Werte, die er dort erlernt habe, habe er in die Politik mitgenommen: Politik sei Berufung; der Beruf des Politikers vergleichbar mit dem des Priesters.

Sozialpolitiker mit großem Ehrgeiz
Geißler war Sozialpolitiker mit großem Ehrgeiz: Als Sozialminister in Rheinland-Pfalz von 1967 bis 1977 setzte er das erste Kindergartengesetz durch, führte erstmals Sozialstationen ein und erregte Mitte der 70er Jahre bundesweit Aufsehen mit seinem Buch über die «neue soziale Frage». Damit wollte er die Situation derer verbessern, deren soziale Sicherung nicht unmittelbar aus einem Arbeitsverhältnis abgeleitet oder deren Interessen nicht durch Verbände und Gewerkschaften vertreten wurden. Gemeint waren etwa ältere Rentnerinnen, Familien oder Studenten.

An die zwanzig Bücher hat der in der Pfalz lebende Jurist veröffentlicht und sich dabei mit der Modernisierung der Gesellschaft, aber auch mit der katholischen Soziallehre und der Bibel auseinandergesetzt. Auch als CDU-Generalsekretär von 1977 bis 1989 und als Bundesminister für Familie, Jugend und Gesundheit von 1982 bis 1985 war er Vordenker und Modernisierer: So bereitete er dem Erziehungsurlaub und der Anrechnung von Erziehungsjahren in der Rentenversicherung den Weg. Schon damals führte diese Politik zu Streit um das Familien- und das Frauenbild in der Union.

Unterschiedliche Auffassungen über die Rolle der Partei führten seit Mitte der 80er Jahre zu Konflikten mit dem Kanzler und Parteivorsitzenden Helmut Kohl. Im Frühjahr 1989 vermutete Kohl, Geißler wolle ihn stürzen, und entmachtete ihn. Geißler blieb im CDU-Parteipräsidium und wurde stellvertretender Vorsitzender der Bundestagsfraktion. 2002 schied er aus dem Bundestag aus.

Ein unbequemer Mahner - auch für die Kirche
Nach wie vor ist der passionierte Bergsteiger und frühere Gleitschirmflieger, der sich 1992 bei einem Absturz schwer verletzte, ein unbequemer Mahner: Seine Partei warnte er erst Mitte Februar vor christlich-konservativer «Kleingeisterei». Die CDU sei «keine klerikale Partei mit christlichen Ajatollahs», sondern eine Volkspartei neuen Typs. Mit Blick auf die weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise forderte er von der Union eine Programmatik, die den Kapitalismus so zähmt, dass er die Demokratie nicht frisst.

Notwendig sei nicht mehr Freiheit der großen Konzerne, Zehntausende von Menschen auf die Straße zu setzen. «Was wir dringend brauchen ist mehr Verantwortung bei allen, die Macht und Einfluss haben. Freiheit ist nicht wichtiger als Gerechtigkeit. Beide sind gleichwertig.»

«Verlogene Sexualmoral und Körperfeindlichkeit»
Auch für die katholische Kirche ist Geißler ein unbequemer Geist: In einem Interview mit der «Frankfurter Rundschau» an seinem Geburtstag verlangt er von der katholischen Kirche eine Abkehr von ihrer «verlogenen Sexualmoral und Körperfeindlichkeit». Das seien «Irrlehren», so Geißler. Die Kirche müsse «von ihrem hohen Ross herunter», damit sie nicht noch mehr Autorität verliere, forderte Geißler, der am Mittwoch 80 Jahre alt geworden ist.

Mit Blick auf die Missbrauchsfälle in katholischen Schulen sagte Geißler: «Die katholische Kirche nimmt in Sexualfragen für sich eine sehr hohe Moral in Anspruch. Das Sexualleben steht bei ihr unter dem Verdacht, etwas potenziell Schlechtes zu sein.» Die Missbrauchsfälle stünden in einem eklatanten Widerspruch zu diesem Anspruch. Die Kirche verliere dadurch ihre Glaubwürdigkeit.