Wer soll künftig auf dem Moskauer Lubjanka-Platz stehen?

Heiliger contra Geheimdienstgründer

In Moskau stimmen die Bürger über ein Denkmal ab. Sie stehen vor der Wahl, entweder einen Heiligen oder einen Geheimdienstfunktiär weiter ins Zentrum ihrer Erinnerungskultur zu rücken. Geschichte ist wieder ein Politikum.

Autor/in:
Nikolaj Thon
Blick auf Moskau / © TTstudio (shutterstock)

In Moskau findet derzeit ein bemerkenswerter Wettbewerb um die Wählergunst statt: ein heiliger Fürst des 13. Jahrhunderts konkurriert mit einem Kommunisten kleinadeliger Herkunft aus dem 20. Jahrhundert. Aleksandr von der Neva (1219-1263) contra Feliks Dzierzynski (1877-1926), den Organisator und ersten Leiter des "Allrussischen Außerordentlichen Komitees zur Bekämpfung von Konterrevolution und Sabotage" (Ceka), der ersten Geheimpolizei Sowjetrusslands.

Rückblende: In der Nacht des 23. August 1991 scheiterte ein Putschversuch kommunistischer Hardliner, die die sich auflösende Sowjetunion bewahren wollten; die siegreichen Moskauer Anti-Putschisten rissen das Denkmal des Gründers der sowjetischen Geheimpolizei auf dem Lubjanka-Platz vor dem KGB-Hauptquartier nieder. Allerdings wurde die elf Tonnen schwere Statue von dem Mitglied Moskauer Stadtsowjets, Sergej Stankevic, vor der Zerstörung gerettet.

"Streng nach dem Gesetz"

"Ich sagte den Leuten, dass wir uns nicht dem Vorwurf der Gesetzlosigkeit oder des Vandalismus aussetzen sollten", erinnerte sich Stankevic jetzt in der "Moscow Times". "Es war Geschichte und es musste streng nach dem Gesetz geschehen." Die Statue steht seitdem im Muzeon, einem zentralen Moskauer Park, der eine ganze Reihe umgestürzter Statuen aus der Sowjet-Ära beherbergt.

Fast 30 Jahre nach dem Fall der Statue, die für viele symbolisch für das Ende der UdSSR stand, ist die russische Meinung über die sowjetische Vergangenheit tief gespalten. Eine von der Regierung unterstützte Abstimmung darüber, ob der "Eiserne Felix" an seinen früheren Platz zurückkehren soll, ist zu einem Brennpunkt russischer Erinnerungspolitik geworden. Die Moskauer stimmen über die Wiederherstellung der Statue des Geheimpolizeichefs ab, dessen Porträt lange überall die Amtsstuben des KGB "zierte".

Als am 19. Februar das Beratungsgremium der Moskauer Bürgerkammer eine einwöchige Online-Abstimmung der Moskauer darüber ankündigte, ob der Lubjanka-Platz - der seit 1991 bis auf ein kleines Denkmal für die Gulag-Opfer leer steht - den restaurierten Dzierzynski aufnehmen sollte, erhielt er einen überraschenden Gegner, nämlich den mittelalterlichen russischen Fürsten Aleksandr von der Neva (Nevskij). Pikant: Auch Dzierzynski stammte aus dem verarmten polnisch-litauischen Adel. In der Kindheit träumte er davon, katholischer Priester zu werden.

"Tatsächlich ist es deprimierend"

Der Schriftsteller und Politiker Zachar Prilepin, informelles Mitglied der verbotenen Gruppierung "Nationalbolschewistische Partei Russlands", setzt sich für den Vorschlag, die Statue des Geheimpolizisten zu restaurieren, ein. Dzierzynskis Rückkehr wäre "ein symbolischer Akt von kolossaler Bedeutung", schrieb er auf Facebook. Russland sei bereit, den Verfall von 1991 zu überwinden.

Der liberale Stankevic ist dagegen kategorisch gegen die Rückkehr der Statue, deren Abriss er beaufsichtigte: "Tatsächlich ist es deprimierend, dass wir überhaupt über dieses Thema diskutieren", sagte er. Die Kontroverse um das Moskauer Denkmal steht in Kontrast zur öffentlichen Wahrnehmung des Ceka-Gründungsleiters. Obwohl sich die Gefühle vieler Russen gegenüber der sowjetischen Vergangenheit in den letzten Jahren erwärmt haben, waren die Meinungen über den "Eisernen Felix", dessen Name in ganz Russland Dutzende Denkmäler, rund 1.300 Straßen und eine Stadt mit 240.000 Einwohnern tragen, gemischter.

Zwar fanden 2013 Umfragen des staatlich finanzierten Meinungsforschungsinstituts VCIOM heraus, dass 46 Prozent der Russen ihn positiv sehen, Ergebnisse, die in einer Umfrage des unabhängigen Levada-Zentrums von 2015 widerhallten, die aber auch zeigten, dass die Befragten in Sachen Rückkehr seiner Statue auf den Lubjanka-Platz gleichmäßig gespalten waren. Für einige Beobachter ist die Wahl des heiligen Alexander Newski als Konkurrent von Dzierzynski ebenso bedeutsam wie die mögliche Rückkehr des Geheimdienstchefs, zumal der Fürst der historischen Stadt Novgorod 1242 eine Invasion der Deutschordensritter besiegte.

"Ausdruck gesellschaftlicher Einstellungen"

Auch die Kirche hat sich eingeschaltet. Das Moskauer Patriarchat rief dazu auf, die Errichtung von Denkmälern für Persönlichkeiten der russischen Geschichte nicht ad absurdum zu führen. "Denkmäler sind Ausdruck einiger gängiger gesellschaftlicher Einstellungen zur Rolle historischer Figuren oder Ereignisse", sagte der Leiter der Synodalen Informationsabteilung, Vladimir Legojda. Russlands Historie sei voll mit Beispielen, die eines Denkmals würdig wären. "In jeder Periode unserer Geschichte kann man viele echte Helden finden, vor denen ein Mensch jeglicher Ansichten und politischer Überzeugungen ehrfürchtig den Hut ziehen kann und nicht verbittert sein wird", betonte er.

Die Kirche halte es für logischer, die Erinnerung an die unverdientermaßen Verdrängten im 20. Jahrhundert zu verewigen, anstatt das Denkmal auf dem Lubjanka-Platz zu restaurieren. "Indem sie jetzt zur Verehrung von Lenin und Stalin aufrufen, treten die Initiatoren der Restaurierung des Dzierzynski-Denkmals die unbekannten Gräber der Neumartyrer, der Bekenner der Kirche Russlands und Hunderttausender unschuldig ermordeter Mitbürger unseres Landes mit Füßen", erklärte Metropolit Ilarion (Alfeev) von Volokolamsk.

25 Millionen Rubel für die Restaurierung

Nach Ansicht des Metropoliten "muss unsere Gesellschaft ihre Prioritäten festlegen und ein Tabu gegen die Verherrlichung von Kriminellen und gleichzeitig gegen die Verschleierung und Rechtfertigung ihrer Verbrechen setzen". 25 Millionen Rubel seien für die Restaurierung des Dzierzynski-Standbilds bereitgestellt worden, "aber gleichzeitig haben wir keine Denkmäler für große heilige Märtyrer und Bekenner des 20. Jahrhunderts", so Hilarion.

Nach ersten Ergebnissen allerdings sieht es so aus, als könnte sich tatsächlich der heilige Fürst gegen den zum Kommunisten mutierten Kleinadeligen aus Polen durchsetzen - wenn auch äußerst knapp, was einen Fortgang der Auseinandersetzung auch nach Ende der Abstimmung erwarten lässt: Am 25. Februar hatte der heilige Aleksandr 74.847 (51 Prozent) erhalten, der "Eiserne" 72.394 (49 Prozent).


Das KGB-Hauptquartier wenige Wochen nach dem Putschversuch kommunistischer Hardliner am 23. August 1991 / © 360b (shutterstock)
Das KGB-Hauptquartier wenige Wochen nach dem Putschversuch kommunistischer Hardliner am 23. August 1991 / © 360b ( shutterstock )
Quelle:
KNA