Stadtrundgang gegen Rechtsextremismus während Kirchentag

Hat Dortmund ein "doppeltes Nazi-Problem"?

Viele Dortmunder wollen den Neonazis nicht den öffentlichen Raum überlassen. Beim bevorstehenden Kirchentag bieten Christen nun einen Stadtrundgang unter dem Motto "Unser Kreuz hat keine Haken" zum Engagement gegen rechts an.

Rechtsextremismus in Deutschland / © Patrick Pleul (dpa)
Rechtsextremismus in Deutschland / © Patrick Pleul ( dpa )

DOMRADIO.DE: Der Fall des ermordeten Kasseler Politikers Lübcke, der mutmaßlich von einem Rechtsextremen ermordet worden ist, bewegt gerade ganz Deutschland. Lübcke hatte sich für Geflüchtete eingesetzt und der rechtsextreme Hauptverdächtige auch in Dortmund mal Krawall gemacht. Was denken Sie, wenn Sie das hören?

Friedrich Stiller (Evangelischer Pfarrer, Referat für gesellschaftliche Verantwortung im Kirchenkreis Dortmund): Es zeigt zum einen, dass die Warnung des Verfassungsschutzes vom Anfang des Jahres, dass wir vor radikalisierten Einzeltätern Sorge haben müssen, sehr berechtigt ist. Der Dortmunder Bezug ist für uns ausgesprochen ärgerlich, weil wir an der Stelle einfach Wert darauf legen, dass dies nicht das Zentrum der Nazis, sondern das Zentrum des Widerstands gegen die Nazis ist.

DOMRADIO.DE: Sie leisten Widerstand gegen Nazis. Jetzt hören Sie von diesem Mann, der ermordet wurde. Macht Ihnen das Angst?

Stiller: Erst mal müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass das Netzwerk funktioniert. Das ist ja auch ein Kern der Beobachtung unserer Szene. Sie ist zwar klein, aber sehr gut vernetzt. Wir müssen alle miteinander sehr vorsichtig und aufmerksam sein. Da ist zuerst der Staat gefragt, dass er repressiv ist. Und wir, die wir aktiv sind, müssen uns natürlich auch gut aufstellen und Gefahren abwägen.

DOMRADIO.DE: Sie sagten auch einmal, Dortmund habe ein doppeltes Nazi-Problem. Können Sie das erklären?

Stiller: Bei unserem Stadtrundgang werden wir das auch immer voranstellen. Wir haben einmal das Problem mit dieser besonderen Gruppe von Rechtsextremisten, die eine besondere Taktik entwickelt hat, uns zu provozieren. Wir haben aber auch das Imageproblem, das Dortmund häufig zugeschrieben wird. Wir seien selber schuld, weil wir uns nicht genug gewehrt hätten. Und das stimmt nun wirklich nicht. Wir als Kirchen sind schon seit fast 20 Jahren unterwegs.

DOMRADIO.DE: Beim Stadtrundgang wollen Sie zeigen, wie Menschen sich gegen die Neonazis wehren?

Stiller: Wir haben gesagt, wir wollen den Leuten den Rechtsextremismus in Dortmund vorstellen, damit die Besonderheit der Gruppe deutlich wird. Wir wollen aber auch erzählen, dass wir hier seit fast 20 Jahren ein breites Bürgerbündnis haben, das wir als Kirchen mitbegründet haben. Ich bin bis heute einer der Vorsitzenden. Dazugehören die Kirchen, Gewerkschaften, Fachhochschule, Parteien und viele andere. Außerdem hat die Stadt - mit einigen Jahren Verzögerung - eine eigene Koordinierungsstelle, die Polizei ist jetzt sehr aktiv mit einer eigenen Sonderkommission und auch wir haben uns aufgestellt.

DOMRADIO.DE: Ihre Tour durch die Dortmunder Innenstadt hat acht Stationen. Da ist zum Beispiel die U-Bahn-Haltestelle, an der ein Punker von einem Neonazi erstochen wurde.

Stiller: Wir wollen damit deutlich machen, dass Rechtsextremismus tatsächlich bis heute tötet. Das zeigt in schrecklicher Weise der Fall Lübcke. In Dortmund wurden in der Zeit von 2000 bis 2006 fünf Menschen durch Nazis ermordet. Und diese Gewaltdimension muss immer wieder deutlich gemacht werden, um auch die Bedrohungsrichtung richtig einzuschätzen. Aber wir erzählen auch über das Alltagsleben mit den Nazis, denn selbstverständlich haben sie keinerlei Einfluss auf unser Leben im Alltag. Trotzdem müssen wir das Risiko einschätzen.

DOMRADIO.DE: Auf Ihrem Rundgang spielt auch die Reinoldi-Kirche eine Rolle. Warum?

Stiller: Die Reinoldi-Kirche ist für alle Dortmunder zum einen die Stadtkirche. Was für die Kölner der Kölner Dom ist, ist für die Dortmunder die Stadtkirche Sankt Reinoldi. Damit identifiziert man sich, egal ob man evangelisch, katholisch oder Muslim ist.

Sie spielte historisch zweimal eine wichtige Rolle: 1934 gab es dort die Auseinandersetzung zwischen den nazi-treuen deutschen Christen und den Bekenntniskräften aus der bekennenden Kirche, die sich damals im Streit getrennt haben. Dann wurde die erste westfälische Bekenntnissynode gegründet. Der Begriff Bekenntnissynode wurde damals auch zum ersten Mal in Deutschland verwendet. Das hat auch einen kirchengeschichtliche Bedeutung.

2016 - ich war leider selber Augenzeuge - war es so, dass die Dortmunder Nazis mit Unterstützung von anderen aus Wuppertal und Aachen den Turm der Kirche besetzt haben. Das galt auch eher der Stadtkirche als uns als Konfession. Während des Weihnachtsmarktes sind sie hoch klettert, haben da oben den Turm besetzt und ein Banner heruntergehängt.

DOMRADIO.DE: Warum ist Ihnen das so wichtig, dass die Leute sehen, Dortmund hat eine Neonazi-Szene? Die allermeisten Dortmunder wollen damit gar nichts zu tun haben.

Stiller: Sie sind ja eine verschwindend kleine Gruppe. Wenn es hochkommt, dann gehören 200 bis 300 zu der Gruppe. Ihre Gefahr geht nicht von der Größe aus, sondern von ihrem Politikkonzept, von den Provokationen und durch die ständige Gewaltbereitschaft. Leider müssen wir das allen Nicht-Dortmundern wegen des Imageproblems immer erklären, was die genaue Lage ist. Darum legen wir so Wert darauf zu sagen, das ist hier für den Dortmunder Alltag nur eine Randnotiz, die man aber ernst nehmen muss.

DOMRADIO.DE: Befürchten Sie, dass die Rechten auch versuchen werden, den Kirchentag für ihre Propaganda zu missbrauchen?

Stiller: Das muss man ganz realistisch einschätzen. Wir wünschen uns alle, dass da nichts passiert, aber sie haben ja auch andere Gelegenheiten genutzt. Da sollte man schon sehr aufmerksam sein. Wir unsererseits haben den Kirchentag jedenfalls deutlich und rechtzeitig darauf hingewiesen.

DOMRADIO.DE: Was wünschen Sie sich für diesen Kirchentag?

Stiller: Ich wünsche mir einmal, dass es ein Zeichen unseres lebendigen Glaubens ist. Es verbindet evangelische und katholische Christen und Christinnen, dass wir in der Öffentlichkeit zeigen, dass unser Glauben nichts für die Hinterzimmer ist. Dann erhoffe ich mir, dass wir wie bei vielen Kirchentagen auch eine gute Zeitansage hinkriegen. Insbesondere im Moment zum Thema Klimawandel. Als Dortmunder erhoffe ich mir auch, dass es eine gute Werbung für die Stadt ist, dass die Menschen sehen, wie schön man hier leben kann und dann auch gerne wiederkommen.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Banner der Kirchen mit der Aufschrift "Unser Kreuz hat keine Haken" / © Dominik Graf (Erzbistum Köln)
Banner der Kirchen mit der Aufschrift "Unser Kreuz hat keine Haken" / © Dominik Graf ( Erzbistum Köln )

Der Turm der Sankt Reinoldi Kirche in Dortmund / © trabantos (shutterstock)
Der Turm der Sankt Reinoldi Kirche in Dortmund / © trabantos ( shutterstock )
Quelle:
DR