Harald Schmidt im Interview

"Wir alle haben Platz im Haus des Herrn"

Der engagierte Katholik Harald Schmidt plaudert mit domradio.de-Chefredakteur Ingo Brüggenjürgen über sein Leben, seine Karriere, seine katholische Sozialisation und die Kirche von heute. Hier das gesamte Interview im Wortlaut.

Brüggenjürgen und Schmidt (Archiv) (DR)
Brüggenjürgen und Schmidt (Archiv) / ( DR )

domradio.de: Wo wurden Sie eigentlich geboren? 

Schmidt: In Neu-Ulm, das ist gerade noch Bayern. Die Donau ist die Grenze, und auf der anderen Seite ist dann Baden-Württemberg. 

domradio.de: Und es ist schon ziemlich lange her? 

Schmidt: Das ist jetzt mittlerweile 57 Jahre her. Das war 1957, also eigentlich 58, aber ich bin ja vorsichtig. Man weiß ja nie, ob der Herr uns nicht vorher abberuft. 

domradio.de: Das sieht noch nicht so aus, als wenn der Herr Sie auf der Liste hat. 

Schmidt: Das ist ja häufig so, dass es nicht so aussieht, nicht? Gerade bei denen, die spontan abberufen werden, sagt man dann: "Und dabei hat er so viel Sport getrieben." Aber das mache ich ja nicht. 

domradio.de: Und bei jeder Beerdigung wird für den gebetet, der der Nächste aus der Mitte heraus ist, und alle gucken die alte Oma an, und dann ist es meist gar nicht die alte Oma. 

Schmidt: Ja, ich finde es auch so erstaunlich, wenn man sagt: "Wenn meine Mutter mal nicht mehr lebt." In der felsenfesten Annahme, dass da irgendeine biologische Reihenfolge eingehalten wird. Gerade in der letzten Zeit haben wir es doch von vielen erlebt, dass die unerwartet abberufen wurden. "Viel zu früh" sage ich nicht, weil da hat der große Kolumnist Johannes Groß einmal angemerkt, wenn er das in Todesanzeigen lese, würde er sich immer fragen, wann es denn Recht gewesen wäre. 

domradio.de: Wenn wir nun schon die Mutter im Spiel haben, wie sind Sie denn groß geworden? Wer hat Sie geprägt? Wie war Ihr Elternhaus? 

Schmidt: Sehr katholisch. Also, da ging man sonntags einfach in die Kirche, weil man sonntags in die Kirche ging. Da wurde getauft, da wurde erstkommuniziert, da wurde gefirmt, da sprach der Pfarrer bei der Beerdigung und nicht der Laienprediger, der sich noch eine halbe Stunde im Architekturbüro nachmittags freinehmen muss. Ich war im Kirchenchor, ich habe an der Kirchenmusikschule Rottenburg die sogenannte C-Prüfung für Hilfsorganisten gemacht. Das ist so ein bisschen für Desperate Housewives, also es sind überehrgeizige Menschen hauptsächlich, die sich unglaublich überfordern, mit dem, was sie da auf der Orgel spielen wollen. Und ich war Pfadfinder, deutsche Pfadfinderschaft St. Georg. Also eine klassische, katholische Diaspora-Jugend. 

domradio.de: Und warum hat es nicht zum Pfarrer gereicht? 

Schmidt: Weiber! (lacht) 

domradio.de: Wann stand denn fest, dass Sie auf die Bühne wollten?  

Schmidt: Na ja, das hätte ja das Priestertum nicht ausgeschlossen, oder? Ich finde ja, es gibt eine starke Parallele zwischen, zum Beispiel dem Ablauf der Show, die ich moderiert habe und einer Liturgie, nicht unbedingt inhaltlich, aber dieser streng formatierte Ablauf, das ist ja auch eine große Qualität und das stand eigentlich schon so mit 15 Jahren fest.  

domradio.de: Wie haben Sie es dann eingestielt? 

Schmidt: Ich bin drei Mal in der Woche ins Theater gerannt. In Stuttgart war das nächstgelegene Theater von Nürtingen, wo ich aufgewachsen bin. Und dann habe ich die Aufnahmeprüfung gemacht. An der Musikhochschule, Schauspiel, staatliche Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Stuttgart. Habe die auch bestanden und dann war ich drei Jahre auf der Schauspielschule. Mein erstes Engagement war dann drei Jahre am Theater Aachen. Ach, Entschuldigung, Augsburg.  

domradio.de: Das hat einen prägenden Eindruck hinterlassen? 

Schmidt: Absolut. Das war definitiv so. Es gab auch konkrete Ensembles, bei denen ich spielen wollte, das habe ich natürlich nicht geschafft. Aber ich wollte Schauspieler werden, weil ich ganz klare Vorbilder hatte auf der Bühne. Es waren einzelne Schauspieler.

domradio.de: Wer war das? 

Schmidt: Der mittlerweile leider auch verstorbene Gerd Voss zum Beispiel. Und die ganze Peymann-Ära damals in Stuttgart: Peter Sattmann, Manfred Zapatka. Schauspieler, die einem größeren Publikum vielleicht gar nicht so bekannt sind, aber eben wirklich erstklassige Leute von der Bühne. Auch Kirsten Dene als Schauspielerin und so. Also da ging man hin wie als Fan. Damals gab es noch die großen Ensembles, das heißt, man konnte einen Schauspieler über fünf, zehn Jahre hinweg in seiner Entwicklung verfolgen.  

domradio.de: Groß geworden sind Sie dann auf den Kleinkunstbühnen dieser Welt, wo Sie im direkten Dialog mit dem Publikum waren. Wie sind Sie da hingekommen? 

Schmidt: Ich kam von Augsburg ans Düsseldorfer Kom(m)ödchen, was damals das renommierteste Kabarett in Deutschland war. Da spielte noch Lore Lorenz, die Prinzipalin. Ich merkte aber sehr schnell, dass ich mir, auch, um mich innerhalb des Kom(m)ödchens zu positionieren, schon ein Standing erarbeiten muss. Wir waren ja nur drei Leute im Ensemble. Und jeden Tag sozusagen mit dem Eigentümer zugange. Das funktionierte nur, indem ich mich als Solo-Kabarettist etablieren konnte. Also habe ich angefangen, ein eigenes Programm zu schreiben, und bin damit dann richtig in einer Ochsentour über die Lande getingelt. 

domradio.de: Wie kamen Sie dann in die Medienlandschaft? 

Schmidt: Indem ich Klinken geputzt habe. Die Nähe zum WDR war ein großer Vorteil. Ich meine, wir reden hier über die Jahre 1986, 1987. Das ist ja schon Steinzeiten her. Der WDR hatte da einmal pro Jahr das Programm des Düsseldorfer Kom(m)ödchens aufgezeichnet. Dadurch war die Verbindung schon mal hergestellt, und ich habe einfach erbarmungslos Klinken geputzt und gesagt, dass ich auch eine Unterhaltungssendung moderieren möchte. Ich kann das auch, was Rudi Carell kann. Man sah das nicht auf Anhieb so seitens des WDR. Aber irgendwann haben sie mir dann doch mal eine Chance gegeben. Ich habe sofort die erste Chance genutzt, das war eine Sendung, die hieß "MAZ up!" damals. Dann habe ich alles moderiert, was man mir angeboten hat: 50 Jahre Deutscher Schlager und so eine Open-Air-Sendung in Köln-Bocklemünd nachmittags im Dritten. Und dann ging das immer schrittweise in die nächstgrößere Kategorie, und plötzlich galt ich als der kommende Mann, zumindest der ARD.  

domradio.de: Sie haben sich zunächst bei der ARD sehr, sehr wohlgefühlt? 

Schmidt: Ja. Aber dann hat Fred Kogel, der damals der Chef von Sat1 war, mir angeboten, eine tägliche Late-Night-Show zu machen, was völlig neu war für Deutschland. Ich glaube, bei der ARD kannte man den Begriff damals gar nicht …

domradio.de: Aber die waren auch schon in Amerika gewesen, oder? 

Schmidt: Die waren auch schon in Amerika, aber die haben irgendwie dann doch lieber versucht, alte Dallas-Folgen zu kaufen und so. Und ich hatte da gerade drei Jahre "Verstehen Sie Spaß?!" moderiert. Es zeichnete sich ab, dass es zu Ende ging. Und dann bin ich im Anschluss an "Verstehen Sie Spaß?!" zu Sat1 gewechselt und habe dann dort insgesamt fast 2.000 Late-Night-Shows gemacht. 

domradio.de: Was macht so eine tägliche Late-Night-Show aus, was macht diese Regelmäßigkeit aus? Warum war das Ihr Produkt letztendlich? 

Schmidt: Weil es im Grunde absolut von der Befindlichkeit des Moderators lebt. Und ich hatte ein sehr gutes Team, das auch über lange Jahre kaum gewechselt hat, bei mir geblieben ist und für mich gearbeitet hat. 

domradio.de: Wie viele Leute sind das, die da so im Hintergrund sind, damit wir da so eine kleine Vorstellung haben?

Schmidt: Ich hatte fünf Autoren. Zu Spitzenzeiten waren 120 Leute beschäftigt. Aber da sind natürlich die ganze Technik und die Kostüme und so weiter mit dabei. Und es ist eine Sendung, die im Grunde behauptet, der Moderator erklärt abends nochmal, wie der Tag so gelaufen ist. Das kann man eigentlich nur mögen, oder man kann es nicht mögen, dazwischen gibt es nichts. Jetzt ist die Zeit vorbei, aber eine Zeit lang in war das doch ein Format, was sehr gut funktioniert hat, und was ich mit großem Spaß betrieben habe. 

domradio.de: Sie haben die Sendung mitentwickelt, mitgeprägt - gerade auch durch Ihre freche Schnauze. 

Schmidt: Ja, das war es ja auch. Denn es lebt ja davon, dass man als Moderator auch wirklich die eigene Befindlichkeit ausstellt. Dass man sagt, ich bin jetzt seit drei Tagen erkältet, oder ich habe eine komplizierte Zahnbehandlung vor mir. Also alles das ist ja das Wesen einer Late-Night-Show, denn wenn man nicht das Publikum hat, das das hören will, dann funktioniert das nicht.  

domradio.de: Wenn Sie zurückdenken, an all die vielen Sendungen, gab es Sachen, die sich bei Ihnen richtig eingeprägt haben? 

Schmidt: Na ja, musikalische Gäste zum Beispiel, wo es großartig war, die so unmittelbar zu erleben. In der Klassik waren das Künstlerinnen wie Anne Sophie Mutter oder Ellen Grumond. Auch die Cellistin Sol Gabetta. Dann Leute wie Prince, David Bowie und Iggy Pop. Da habe ich mit Sicherheit noch einige vergessen, aber das war eigentlich schon eine unglaubliche Sache zu erleben, wie da mittags Prince mit Band anrückt, und das Management dir erstmal sagt: "Sprich ihn nicht an und frage ihn nichts!" Und dann entscheidet Prince aufgrund der Probenatmosphäre nachmittags, er spielt nicht nur einen Song sondern zwei. Und das verdirbt einen natürlich ein bisschen für nachfolgende Künstler, die sich einfach einen Zauselbart zugelegt haben und eine Pudelmütze, aber ansonsten nicht ganz Prince sind …

domradio.de: Aber Sie mussten auch nehmen, was kam? 

Schmidt: Ich habe die dann auch genommen. Die waren ja auch dann zum Teil menschlich ganz nett, aber wie gesagt, wenn Sie mal wenige Meter neben Prince saßen, während er mit Band live gespielt hat, das setzt schon einen Maßstab.  

domradio.de: Gab es eigentlich auch in der Late-Night-Show richtige Niederlagen, wo Sie auch mal ans Aufhören gedacht haben?

Schmidt: Nein. Also ich war zwischendurch mal müde und vielleicht musste ich mich mal ein bisschen zwingen. Aber für mich war klar, dass ich nicht aufhöre, sondern dass man mir den Stecker ziehen muss. Und so ist es ja dann auch gekommen.

domradio.de: Haben Sie das eigentlich als einen tragischen Abgang wahrgenommen? Die Quote war schlecht.

Schmidt: Nein. Also ich habe es dann, als es letztlich vorbei war, doch als Befreiung und Erleichterung erlebt, was mir gar nicht klar war, dass es so sein würde. Aber ich habe es keine Sekunde lang vermisst. Die Zahl der Zuschauer war für mich immer unbedeutend, ich hatte ja über die gesamte Zeit die identische Atmosphäre im Studio. Ich hatte ja jeden Abend mein Studio mit 200 belegten Plätzen. Das heißt, ob das draußen überhaupt noch einer geschaut hat oder nicht, war für mich eigentlich unbedeutend. Ich habe die Show eigentlich für die eine Stunde gemacht, die wir aufgezeichnet haben.  

domradio.de: Wie haben Sie das Berufsleben mit dem Familienleben vereinbart? 

Schmidt: Ich habe ja in der Show nicht eine andere Welt betreten, sondern die Show war ja dann ein Teil meines Alltag. Ich sagte ja nicht, ab 16 Uhr bin ich Künstler, sondern man lebt sein ganz normales Leben und geht dann einfach abends hin und macht diese Show und lässt ja auch möglichst viel von diesem normalen Leben in die Show einfließen. Also das habe ich nie als Widerspruch empfunden. 

domradio.de: Wenn man so lange so aktiv auch mit so vielen Schlagzeilen im Medienbereich unterwegs war und immer wieder herausgefordert wurde, wo haben Sie eigentlich Ihre Energie hergenommen? 

Schmidt: Na ja, ich habe eigentlich sehr diszipliniert gelebt. Alles in Maßen. Ich habe nie Drogen genommen. Aber gar nicht mal, weil ich nicht wollte, sondern weil ich nicht mit dem Umfeld zu tun haben wollte, das man braucht, um Drogen zu beschaffen. Ich wusste auch nicht, was bei einer Droge bei mir noch erweitern sollte, weil ich sowieso 24 Stunden am Tag unter Strom war. Und ansonsten steckt in mir einfach so eine amerikanische Mentalität. Man hat einen Job zu erledigen, und man hat sich so in Form zu halten, dass man diesen Job jeden Tag machen kann. Ich bin ja auch sehr gut dafür bezahlt worden, also das war für mich immer so eine professionelle Haltung.

domradio.de: Die professionelle Einstellung und das Geld sind eine Sache, trotzdem: Gibt es da so etwas wie eine innere Energie? Wo tanken Sie Ihren Akku eigentlich auf? 

Schmidt: Durch Nichtstun.  

domradio.de: Konsequentes Nichtstun? Das ist aber schwer. 

Schmidt: Eigentlich nicht. Man muss sich ja nur nicht einreden lassen, dass man Hobbys bräuchte. Ich renne auch nicht ins Museum oder zu irgendwelchen Festivals, wo man angeblich hin muss. Ich mache nichts. Ja. Im wahrsten Sinne, ich gehe spazieren. Weil das meiste mich eigentlich, muss ich doch sagen, langweilt. Vieles habe ich natürlich auch schon gesehen. Und was Reisen und so weiter angeht, ist doch nahezu jede Reise in der Fantasie besser, als wenn man sie tatsächlich antritt. 

domradio.de: Gibt es denn Menschen, die Ihnen sehr wichtig sind, wo Sie sagen, da möchte ich nicht drauf verzichten, das Gespräch ist mir wichtig, das brauche ich? 

Schmidt: Das Selbstgespräch ist für mich doch mit das Allerwichtigste und da stehe ich, glaube ich, auch in der Tradition des Alten Testaments. Also, das war doch diese Abteilung, wo man dann in die Wüste zurückging und erleuchtet zurückkam, nicht?

domradio.de: Wie sieht die Suche nach Gott bei Harald Schmidt aus?

Schmidt: Ich suche Gott nicht.  

domradio.de: Sie haben ihn gefunden? 

Schmidt: Das würde ich nicht unbedingt behaupten, aber ich glaube doch daran, dass es etwas gibt, was größer ist als wir, und das gibt mir doch eine große Gelassenheit und Beruhigung. Also, ich glaube an das ewige Leben, womit man natürlich für Irritationen sorgt, wenn man das außerhalb einer blutleeren Kutte verkündet. Aber dieser Choral "Wir sind nur Gast auf Erden und wandern ohne Ruh, mit mancherlei Beschwerden, der ewigen Heimat zu", der war immer einer meiner Lieblingschoräle. Ist auch eine sehr, sehr, sehr schöne Musik. Und ich meine, den nehme ich ernst, und die Zeitspanne ist ja nun relativ kurz. Ob Sie also jetzt 40 werden, 50 werden, 60 werden, 80 werden: Wir sind ja gerade in der katholischen Kirche gewohnt, von Ewigkeit zu Ewigkeit zu denken. Da sollte man sich nicht mit allzu viel belasten, für die Jährchen, die wir hier auf Erden wandeln. Sondern wir sollten sagen: "Rechtes Bein geht, linkes Bein geht. Rechtes Auge sieht, linkes Auge sieht. Wird ein guter Tag." 

domradio.de: Beten Sie eigentlich? 

Schmidt: Ja.  

domradio.de: Regelmäßig? 

Schmidt: Ja.  

domradio.de: Wie lange? Wie sieht das aus? Können wir uns ein bisschen... 

Schmidt: Eigentlich das "Vater unser". Und dann noch irgendwie der Versuch, eben so etwas wie in Dialog mit Gott zu treten. Kein Mensch weiß, wie viel Zeit einem bleibt. Und ich bin sehr vorsichtig, weil die großen Mahner und Warner, die uns immer mit jedem Jahr mit einem Buch erfreuten, mit Ratschlägen, worauf wir im Alter achten müssen und so, die sind plötzlich alle weg, nicht? Kurz nach dem Frühstück haut es die um. Aber vielleicht ist das ja eine Möglichkeit. Dass man es krachen lässt, und danach kommt etwas völlig anderes, nicht? Nehmen Sie zum Beispiel Franz von Assisi. Oder Augustinus. Man ist vorher auf bestimmte Art unterwegs gewesen, und dann kommt nochmal was völlig anderes. Ich wundere mich immer, wenn ich gefragt werde, was ich jetzt so mache. Und das ich gleich irgendwie ein blödes Quiz oder sowas aus dem Ärmel schütteln soll oder irgendwelche irren Pläne mit irgendwelchen Fernsehsendungen. Aber ich sage: "Kinder, das hatte ich jetzt, und jetzt bin ich erstmal Investmentbanker in eigener Sache." Und als Banker ist ja eigentlich der Einstieg in der Kirche dann vorgezeichnet.  

domradio.de: Warum das denn? 

Schmidt: Das ist ja nun eine ganz, eine ganz, ganz enge... Also ich meine, ich möchte ja gar nicht da erwähnen, wie viele Banker hängend unter Vatikanbrücken gefunden werden. 

domradio.de: Na, sie sind noch überschaubar. 

Schmidt: Ja gut. Aber das kann ich doch als leidenschaftlicher und überzeugter Kirchensteuerzahler in der reichsten Diözese der Welt aus vollem Herzen sagen, Kirche und Geld, da muss man nicht lange nach einem Zusammenhang suchen. 

domradio.de: Gut.  

Schmidt: Finde ich übrigens auch in Ordnung. Ich zahle ja aus vollem Bewusstsein Kirchensteuer, und ich weiß nicht, ob nicht die nächsten Jährchen, die ich noch auf Erden wandle, etwas völlig anderes kommt, was in den Bereich der Selbstfindung, wie auch immer, geht. Aber das heißt nicht, dass ich von einem WDR-Kamerateam begleitet in ein Kloster in der Eifel ziehe und "om, om" mache, den ganzen Nachmittag. Aber ich finde die Zeiten, in denen wir leben, so fantastisch und aufregend, dass ich mich nicht damit belaste, mich ständig zu fragen, welchen Plan ich für morgen haben könnte. Sondern ich gucke mal, was auf mich zukommt. 

domradio.de: Das Beste liegt für einen Christen immer noch vor einem? 

Schmidt: Zwei weitere Lieblingschoräle von mir sind "Ein Schiff, dass sich Gemeinde nennt" und "Ein Haus voll Glorie schauet". Letzteres wird ja von vielen kritischen Kirchenmenschen kritisch gesehen, weil es so selbstreferenziell und bombastisch ist. Ich fand den Choral immer toll. Wenn man da so in die Vollen geht, und wenn da ein Spitzenorganist rangeht, der das auch für jede Strophe neu harmonisiert, was ich nicht konnte, dann ist das schon eine feine Sache, fernab jeden Zweifels, ja. Also da würde ich direkt, wenn das gut gespielt ist, die Wiedereintrittsformulare für die evangelischen Brüder und Schwestern auslegen. Die ja, wie ich hörte, an höchster Stelle im Vatikan als morsches Holz bezeichnet werden, richtig? 

domradio.de: Wir werden mal mit unserem Domorganisten Böning, mit dem Sie ja auch schon auf der Bühne waren, sprechen. 

Schmidt: Ja, ein großartiger Künstler übrigens, muss man sagen. Also fantastisch. Ich habe jetzt wieder an Fronleichnam gedacht, wo ich Ihnen auch mal ein Kompliment machen muss für die Technik. Die Prozession war technisch super bestückt.  

domradio.de: Herzliches Dankeschön. Wir machen das ja schon seit einigen Jahren.  

Schmidt: Es war jederzeit überall perfekt zu hören. Sehr gut, wie diese Lautsprecher da in der Prozession mitgetragen wurden. Es gab kein Pfeifen, kein Zischen. Also da habe ich bei WDR-Shows schon Deprimierenderes erlebt, wo ein Künstler live nochmal aufgezeichnet werden musste, weil man vergessen hatte, die Mikros aufzuziehen. 

domradio.de: Bei der Fronleichnamsprozession hatten Sie eine Kutte an, Sie hatten eine Fahne, wie kam es dazu? 

Schmidt: Ich bin mit der Gemeinde von St. Peter mitgelaufen. Da spielt auch ein fantastischer Organist, Dominik Susteck, der allerdings ausschließlich zeitgenössisch spielt. Und da hieß es, wir nehmen alle eine Kutte, als wir losgingen. Wusste ich vorher gar nicht, aber ich dachte mir, ziehe ich mal eine Kutte an. Und ich habe mich auch sehr gefreut, als im Internet sofort eine Beziehung zum Ku-Klux-Klan hergestellt wurde, was ich als Kabarettist natürlich unterschreiben muss, optisch. 

domradio.de: Im Internet gab es aber auch viele Komplimente, nach dem Motto: "Hut ab, Dirty Harry in der Fronleichnamsprozession". Das hatten viele nicht erwartet. 

Schmidt: Aber es war absolut fantastisch. Es war ja großartiges Wetter. Und der Domplatz ist schon eine Umgebung, die weltweit nicht viel Vergleich zu scheuen braucht. Und es war für mich auch faszinierend, diese ganzen Innungen, die Metzgerinnung, die Bäckerinnung, die Burschenschaften zu sehen. 

Und auch einzelne Orden, wo ich sage, da sind nun auch Gesichter zu sehen, die nicht nur das positive Image der katholischen Kirche prägen. Also da ist manches noch auf dem Weg in die Moderne begriffen. 

domradio.de: Aber sie sind mit dem Volk Gottes unterwegs ... 

Schmidt: Und wir alle haben Platz im Haus des Herrn, das ist ja das Schöne. 

domradio.de: Stimmt die Gesamtrichtung, in die die Kirche geht? 

Schmidt: Es gibt ja unglaublich viele Richtungen. Wir haben natürlich jede Menge übelster Themen aufzuarbeiten. Das ist ja ganz klar. Die ganze Missbrauchsgeschichte, da kann es ja keine zwei Meinungen geben, das ist undenkbar. Da ist die Kirche ja nicht im rechtsfreien Raum, da haben wir ganz klare Vorschriften, wie sowas behandelt werden muss. Aber im Rahmen der 2000-jährigen Geschichte hatten wir schon viele finstere Kapitel. Der Scheiterhaufen wird ja eigentlich, außer bei privaten Festivitäten, kaum noch angeworfen. Aber es heißt ja: "In guten wie in schlechten Zeiten"

Ich habe die Übertragung des Gottesdienstes im Kölner Dom für die Opfer der Germanwings-Katastrophe gesehen. Da fand ich schon beeindruckend, dass Kardinal Woelki dann in der Kirche sagte: "Falls Sie überhaupt an Gott glauben". Das fand ich doch eine bemerkenswerte Haltung vom Kardinal. 

domradio.de: Um wirklich alle mit hineinzunehmen? 

Schmidt: Ja. Und bei solchen Anlässen sehe ich immer unsere staatlichen Repräsentanten in den vordersten Reihen sitzen. Oft sind das eher kirchenferne Leute. Da wundere ich mich. Also ich meine, wenn ich Atheist bin, bin ich Atheist. Oder Agnostiker. Aber dann mal vorbeizuschauen, das hat mich immer irgendwie irritiert. Aber im Haus des Herrn sind viele Wohnungen. Und das Schöne ist ja, die Türen sind immer offen. Wenn ich an das Bild vom verirrten Schaf denke, es ist nie zu spät, zurückzukehren, nicht? 

domradio.de: Wie geben Sie den Glauben an die nächste Generation, an Ihre Kinder weiter? 

Schmidt: Da kann ich mit Woody Allen antworten. Ich versuche, Gott in die Kinder einzuprügeln. 

domradio.de: Mit welchem Erfolg? 

Schmidt: Nein, im Ernst. Wir sind katholisch. Und ich hätte durchaus Verständnis, wenn die Kinder sagen: "Ich sehe das kritisch oder ich bin durch einzelne Sachen so irritiert und auch abgestoßen, ich trete aus der Kirche aus." Warum nicht? Man kann ja auch wieder eintreten, ja? Also die Sache ist lebendig, und es ist mal besser, mal schlechter. Es lebt ja wie alles von den Menschen, die die Sache betreiben. Und das ist ja auch das Interessante. 

domradio.de: Herzliches Dankeschön, dass Sie bei uns waren, dass sie so bereitwillig von sich selber, von Ihrem Glauben, von Ihrem Leben gesprochen haben. Vergelte es Gott! 

Schmidt: Segne es Gott! Ich komme jetzt in die Generation, die das noch weiß. Und liebe Grüße von Franziskus an die Hörerinnen und Hörer. Hat er mir persönlich aufgetragen, als ich neulich mit ihm gefrühstückt habe. 

domradio.de: Was will man mehr.

Das Interview führte Ingo Brüggenjürgen (Chefredakteur domradio.de)


Quelle:
DR