Hans-Jochen Vogel zum Rentenkonflikt

"Momentane Hysterie"

Im Zuge der außerplanmäßigen Rentenerhöhung kochten in den Medien die Emotionen hoch. Vom "Krieg der Generation" war die Rede.
Altbundespräsident Roman Herzog äußerte gar die Befürchtung, dass die Älteren die Jungen "ausplündern" könnten. Der SPD-Politiker Hans-Jochen Vogel kann darüber nur den Kopf schütteln.

Autor/in:
Karin Wollschläger
 (DR)

KNA: Herr Vogel, "Krieg der Generationen", "Rentengier", "Rentner-Republik" - Schlagworte, die derzeit in den Medien hochkochen.

Vogel: Ich halte das eher für eine momentane Hysterie. Es gibt Interessenskonflikte, ja. Aber die Vokabeln, die dafür verwendet werden, erscheinen mir völlig unangemessen. Altenlüge, Krieg, Diebstahl - wovon reden wir eigentlich? Es ist alles übertrieben. Das klingt so, als sei da ein erbitterter Tarifkonflikt zwischen Jung und Alt im Gange. Davon kann keine Rede sein.

KNA: Gibt es denn noch eine Rentengerechtigkeit? Wenn trotz langem Erwerbsleben die Rente nicht zum Leben reichen wird.

Vogel: Wenn es einen Mindestlohn gäbe, dann würden auch die Renten entsprechend höher liegen. Wenn man den Empfehlungen des jetzigen Papstes sowie seiner Vorgänger Johannes XXIII. und Leo XIII. folgend die Mindestlöhne als eine Ableitung aus der Menschenwürde ernst nimmt, dann wäre ein Teil des Problems gelöst.

KNA: Fordern die heutigen Rentner zu viel?

Vogel: Wie viele Millionen Rentner gibt es? 22 oder noch mehr? Die fordern alle miteinander höhere Renten? Das werden Sie doch nicht im Ernst behaupten wollen.

KNA: Immerhin waren die Forderungen laut genug, dass nun die Rentenformel für zwei Jahr geändert wurde, damit die Renten ansteigen.

Vogel: Der Nachhaltigkeitsfaktor der Rentenformel ist für zwei Jahre außer Kraft gesetzt worden mit einer Begründung, die ich respektiere.
Davon abgesehen: Wer würde nicht gerne höhere Bezüge haben?!

KNA: Können Sie denn den Protest von Jüngeren verstehen?

Vogel: Erstens ist festzuhalten: Der Anteil des Bruttosozialprodukts, der für soziale Leistungen verwendet wird, ist gleich geblieben. Dass die Jungen die Beitragsentwicklung im Auge haben, verstehe ich. Aber man muss doch beispielsweise sehen, dass die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung merklich gesenkt worden sind. Außerdem: Es ist ja nicht so, dass die ältere Generation der jüngeren nicht einiges hinterlassen hätte. Ich weiß noch, wie unser Land 1945 ausgesehen hat. Seitdem ist eine Infrastruktur entstanden, die weltweit den Vergleich aushält. Zudem gehen jährlich mehrere Hundert Milliarden Euro im Erbweg von Alten auf Jüngere über.

KNA: Die Belastungen für die jüngere Generation sind also nicht zu hoch?

Vogel: Ich gebe zu, dass wir, um eine übermäßige Belastung der Jungen zu vermeiden, noch stärker auf die Steuerfinanzierung, gerade auch der Altersversorgung übergehen müssen. Wir haben ja schon einen nicht unerheblichen Steueranteil bei der Altersrente, und der wird sich in Zukunft noch erhöhen müssen.

KNA: Altbundespräsident Roman Herzog hat für seine Rentner-Schelte viel Kritik bekommen.

Vogel: Ich kann nicht erkennen, was diese von Herrn Herzog ja als Tatsache geäußerte Behauptung, dass die Alten die Republik dominieren und beherrschen, wirklich belegen und beweisen würde. Es scheint mir eine wenig hilfreiche Zuspitzung zu sein. Notwendig ist ein kontinuierlicher Dialog zwischen den Generationen, die Suche nach vernünftigen Kompromissen. Das hat bisher zu erträglichen Ergebnissen geführt. Warum soll das für die Zukunft nicht mehr gelten?

KNA: Kann die Kirche im Rentenkonflikt zwischen den Generationen vermitteln?

Vogel: Unsere Kirche sollte ihre Soziallehre ernst nehmen. Die Soziallehre bietet genügend Orientierungspunkte dafür, dass man zu einem vernünftigen Ausgleich kommen kann.

KNA: Die Präsidentin des Familienbunds der Katholiken, Elisabeth Bußmann, kritisierte aktuell die "ständige Flickschusterei" an der gesetzlichen Rentenversicherung als "Bedrohung des sozialen Friedens".

Vogel: Offenbar geht es nun einmal nicht ohne den Vorwurf der "Flickschusterei" und der "Bedrohung". Nur wäre es schon hilfreich, wenn diejenigen, die diese Forderungen verständlicherweise stellen, auch immer ein konkretes Wort zur Finanzierung sagen.