Hans Joas über Religion, Säkularisierung und den Papst

"Von Pseudo-Gewissheiten verabschieden"

Am Mittwoch nimmt der zurzeit in Freiburg und Chicago forschende deutsche Soziologe Hans Joas an der Universität Regensburg seine Tätigkeit als Gastprofessor auf. Die Professur wurde gestiftet durch den Schülerkreis von Papst Benedikt XVI., der von 1969 bis 1977 in Regensburg seine Karriere als Hochschullehrer beschloss. Im Interview spricht Joas über diese Herausforderung - und sein Verhältnis zum Papst.

Hans Joas (KNA)
Hans Joas / ( KNA )

KNA: Herr Professor Joas, wie sind Sie zu der neuen Aufgabe gekommen?

Joas: Wie der Entscheidungsprozess verlaufen ist, weiß ich nicht. Ich habe nur die Einladung bekommen und nicht lange gezögert, weil man mir signalisiert hat, und darauf lege ich Wert, dass meine Aufgabe nicht darin besteht, die Schriften Joseph Ratzingers auszulegen. Dafür gäbe es Geeignetere als mich. Ich soll aus meinem eigenen Schaffen heraus eine Vortragsreihe zu Themen halten, die Joseph Ratzinger bewegen. Man hat mir da große Freiheit gelassen.



KNA: Sind Sie dem Papst schon einmal begegnet?

Joas: Ich kenne viele kirchliche Würdenträger persönlich, der Papst zählt leider nicht dazu, auch wenn ich Joseph Ratzinger seit seiner Zeit als Erzbischof in meiner Heimatstadt München wiederholt bei Messen erlebt habe.



KNA: Was haben Sie in Regensburg vor?

Joas: Ich werde mich mit einigen nicht-theologischen Denkern befassen, die sich seit dem 18. Jahrhundert mit Religion beschäftigt haben: David Hume, Fustel de Coulanges, William James und andere. Einige haben ihr wissenschaftliches Arbeiten als Teil eines Säkularisierungsprozesses verstanden. Mich interessiert nun die sehr unterschiedliche Wirkungsgeschichte dieser Autoren: In Frankreich schmiedete man etwa aus Humes Erkenntnissen Waffen im Kampf gegen die Religion. In Deutschland wurden sie ebenfalls aufgegriffen, etwa von Johann Gottfried Herder, allerdings ohne dass der Atheismus als Konsequenz akzeptiert wurde. Vielmehr sah Herder darin die Herausforderung, den Glauben neu zu denken.



KNA: Was bedeutet das für das Gespräch von Gläubigen und Ungläubigen heute?

Joas: Ich denke, beide Seiten müssen sich von je einer Pseudo-Gewissheit verabschieden: Es war ein Fehlschluss der Gläubigen, zu meinen, mit der fortschreitenden Emanzipation einer Gesellschaft von Gott werde diese immer amoralischer und verliere ihren sozialen Zusammenhalt. Das ist empirisch heute nicht mehr haltbar. Dasselbe gilt für eine vermeintliche Gewissheit der anderen Seite: Gerade offensiv auftretende Säkulare meinen, dass Religion im Zuge von Modernisierungsprozessen automatisch verschwindet. Wo sie sich heute noch zeigt, gilt sie ihnen als bloßes Relikt der Vergangenheit. Es kann befreiend für das Gespräch über den Glauben sein, auf solche überholten Vorstellungen zu verzichten.



KNA: Haben Sie Berührungspunkte zum Denken des Papstes?

Joas: Ich habe hohen Respekt vor seiner tiefen und breiten historischen Bildung. Und ich schätze seine schriftstellerischen Qualitäten. Es macht Freude, ihn zu lesen. Seine Versuche, die Spannung zwischen Glaube und Vernunft zu halten, ohne sie in eine Richtung aufzulösen, entsprechen auch meinen Intentionen. Sein Jesus-Buch finde ich methodisch interessant. Ich meine, Ratzinger zeigt darin, dass historische Bibelforschung nicht zwangsläufig den Glauben erschüttern muss, dass sie aber auch keinen Gottesbeweis erbringen kann. In manchen Fragen habe ich aber auch eine völlig andere Meinung als er.



KNA: Nennen Sie eine.

Joas: Ich habe den Eindruck, Joseph Ratzinger hängt einem idealisierenden Geschichtsbild an. Er geht von einer Phase in der europäischen Geschichte aus, in der eine glückliche Synthese zwischen christlichem Glauben und griechischer Vernunft bestand, die dann seit dem Spätmittelalter in mehreren Schüben zerbröselte. So kommt er zu einem pessimistischen Blick auf das 18. Jahrhundert, das ich ganz anders sehe, nämlich nicht als Teil einer Verfallsgeschichte. Es gibt in dieser Zeit geradezu einen Schub zunehmenden Respekts vor dem Menschen, das beste Beispiel dafür ist die Abschaffung der Folter.



KNA: Wenn Sie wie Ihr Kollege Habermas die Gelegenheit hätten, mit dem Papst persönlich in einen Disput zu treten, was würden Sie mit ihm erörtern?

Joas: Ich würde Benedikt XVI. gern fragen, ob seine Gedankengänge angemessen sind für eine Epoche der Globalisierung des Christentums. Ob er nicht herausmüsste aus seiner Idealisierung eines Teils der europäischen Geschichte, gerade auch um die Chancen für eine Revitalisierung unseres Glaubens wahrzunehmen, die sich aus der weltweiten Expansion des Christentums ergeben.



KNA: Nachdem sich der Ratzinger-Schülerkreis weiterhin Jeden Sommer mit seinem Lehrer in der päpstlichen Sommerresidenz Castelgandolfo trifft, nimmt er Sie vielleicht ja mal mit.

Joas (lacht): Ihr Wort in Gottes Ohr - und das des Schülerkreises.



Das Interview führte Christoph Renzikowski.