Hannoveraner Marktkirche weiht neues Reformationsfenster ein

Luther, Schröder und die Fliegen

In Hannovers evangelischer Marktkirche wird am Reformationstag ein neues Buntglasfenster eingeweiht. Damit geht ein fast acht Jahre dauernder Streit um Spendengelder von Altkanzler Schröder, dicke Fliegen und Urheberrechte zu Ende.

Autor/in:
Ina Rottscheidt
In der evangelischen Marktkirche in Hannover sind die Arbeiten für den Einbau des mehr als 13 Meter hohen Reformationsfensters vollständig abgeschlossen (Foto vom 30.10.2023). / © Jens Schulze (epd)
In der evangelischen Marktkirche in Hannover sind die Arbeiten für den Einbau des mehr als 13 Meter hohen Reformationsfensters vollständig abgeschlossen (Foto vom 30.10.2023). / © Jens Schulze ( epd )

Das Motiv des 13 Meter hohen Buntglasfensters wirft Fragen auf: eine große weiße Figur mit zum Segen erhobenen Händen und erschrockenem Gesicht. Martin Luther steht da, belagert von fünf dicken, schwarzen Fliegen. Ist es eine Anspielung darauf, dass sich der Reformator zu Lebzeiten selbst als "stinkender Madensack" bezeichnet hatte?

Eine der fünf dicken, schwarzen Fliegen, die auf dem Reformationsfenster der Marktkirche in Hannover zu sehen sind. / © Insa Becker-Wook (Stadtkirchenverband Hannover)
Eine der fünf dicken, schwarzen Fliegen, die auf dem Reformationsfenster der Marktkirche in Hannover zu sehen sind. / © Insa Becker-Wook ( )

Pastor Marc Blessing lacht: "Nein. Der Legende nach soll Luther, als er auf der Wartburg eingesperrt war und das Neue Testament übersetzte, vom Teufel in Versuchung geführt worden sein." Erbost soll der Reformator ein Tintenfass nach ihm geworfen haben. Diesen Moment hat Markus Lüpertz, einer der bekanntesten deutschen Künstler der Gegenwart, in dem Fenster eingefangen. Die Fliegen als Symbole für das Böse, den Teufel und die Vergänglichkeit.

Ein menschlicher Luther

Aber es sei mehr als die Darstellung dieser Szene, sagt Blessing, der Pastor der Marktkirche in Hannover ist, es gehe auch um ein verändertes Lutherbild. Oft werde der Mann als Heldenfigur dargestellt, der Papst und Kaiser sein „Hier stehe ich, ich kann nicht anders!“ entgegenschleuderte. "Aber hier wird der angefochtene, umgetriebene, von Repressionen geplagte Reformator gezeigt", sagt Blessing. "Und das macht ihn aus meiner Sicht menschlicher und anschlussfähiger an die Gefühlslage der Menschen heute."

Marc Blessing, Pastor der Marktkirche in Hannover. / © Melina Will (Stadtkirchenverband Hannover)
Marc Blessing, Pastor der Marktkirche in Hannover. / © Melina Will ( )

Das neue Fenster musste viele Hürden nehmen, bevor es an diesem Reformationstag 2023 feierlich eingeweiht werden kann. 2016 hatte Altkanzler Gerhard Schröder als Ehrenbürger der Stadt Hannover und als Mitglied der evangelischen Kirche ein solches Projekt angeregt und Spenden in Höhe von rund 135.000 Euro gesammelt. "Das machte auch Sinn", findet der Pastor der Marktkirche, "denn in Hannover wurde die Reformation von unten eingeführt, von den Bürgerinnen und Bürgern. Sie wurde nicht von den deutschen Fürsten befohlen."

Geld vom Putin-Freund

Doch nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und wegen Schröders Beziehungen zu Russland war das nach 2022 umstritten. "Wir hätten uns gewünscht, dass Gerhard Schröder sich von Putin distanziert und klar Position für die Einhaltung des Völkerrechts bezieht", erinnert sich Blessing. Weil er das nicht tat, entschied der Kirchenvorstand im März, die Spendengelder umzuwidmen. Jetzt kommen sie Geflüchteten in der Ukraine-Hilfe der Marktkirche zugute. Die Kosten für das Fenster wurden teilweise von anderen, neuen Spenderinnen und Spendern übernommen.

Der Künstler Markus Lüpertz ist ein enger Freund von Altkanzler Gerhard Schröder. Er zeigte sich nach dieser Entscheidung enttäuscht und kritisierte die Kommunikation. Er habe von der Entscheidung des Kirchenvorstands erst erfahren, nachdem dieser die Öffentlichkeit bereits informiert hatte, beklagte er in einem Interview.

Kunstwerk selbst sprechen lassen

Blessing hingegen versichert: "Wir haben versucht, so gut wie möglich zu kommunizieren!" Mit seinem Büro habe man im regelmäßigen Austausch gestanden, Lüpertz selbst sei nicht so leicht zu kontaktieren gewesen. "Aber wir wollen diesen Reformationstag dazu nutzen, die Wunden zu heilen und das Kunstwerk selbst sprechen zu lassen. Wir wünschen uns, dass dieser Streit jetzt ruht“, sagt der Pastor.

Ein erster Schritt scheint gemacht. Sowohl Schröder und seine Frau als auch der Künstler Lüpertz haben ihr Kommen bei der feierlichen Einweihung am Reformationstag zugesagt. "Das wäre mein Wunsch. Dass wir die Reformation als einen Moment feiern, in dem wir uns die Hände reichen und uns versöhnen", sagt Blessing.

Urheberrecht vs. Religionsfreiheit

Dass es soweit kommen würde, hätte man zwischenzeitlich bezweifeln können. Bereits 2018 gab es einen Konflikt mit dem Stiefsohn des Architekten Dieter Oesterlen, der den Kirchenraum Ende der 1940er-Jahren neugestaltet hatte. Der aus dem 14. Jahrhundert stammende Bau gilt als ein Wahrzeichen Hannovers und war im Zweiten Weltkrieg stark zerstört worden.

Der Stiefsohn Georg Bissen lehnte das Fenster ab, weil es seiner Meinung nach das Gesamtbild zerstöre. Der Streit um das Urheberrecht ging bis vor das Oberlandesgericht. Am Ende einigte man sich darauf, mit einem Schild auf die ursprüngliche Konzeption des Architekten hinzuweisen.

Wie das Kölner Richter-Fenster?

Das von Markus Lüpertz für die Hannoveraner Marktkirche geschaffene Fenster wird schon jetzt mit dem Richter-Fenster des Kölner Domes verglichen. / © Insa Becker-Wook (Stadtkirchenverband Hannover)
Das von Markus Lüpertz für die Hannoveraner Marktkirche geschaffene Fenster wird schon jetzt mit dem Richter-Fenster des Kölner Domes verglichen. / © Insa Becker-Wook ( )

Jetzt sind die Erwartungen groß. Der Vorsitzende des Kirchenvorstands, Reinhard Scheibe, hatte das Reformationsfenster bereits mit dem Richter-Fenster verglichen, das 2007 im Kölner Dom eingebaut wurde. "Schönheit pur! Es war, als es vorgestellt wurde, trotzdem umstritten. Wie sollte es bei einem Fenster von Markus Lüpertz anders sein!", schwärmte er 2018 in einem Gemeindebrief.

Auch Pastor Marc Blessing ist überzeugt. Das Reformationsfenster wird – ähnlich wie das Richterfenster - die Atmosphäre in der Hannoveraner Marktkirche neu prägen. Er hofft auf neue Impulse für Gespräche über den Glauben und die Gegenwart. "Dafür ist Martin Luther gut geeignet, weil ihn auch die Fragen seiner Zeit umtrieben“, sagt er. "Er kannte die Erfahrung von Not und Verzweiflung und ich glaube, wenn wir darüber ins Gespräch kommen und uns fragen: Was hilft uns? Was heilt uns? Und was gibt unserem Leben Halt? - Dann wäre schon viel gewonnen und das neue Fenster erfüllt seine Aufgabe in der Marktkirche!"

Quelle:
DR