Haltern am See vier Monate nach dem Germanwings-Absturz

"Jeden Tag Mitleiden"

Vier Monate nach dem Germanwings-Unglück wurden nahe der Absturzstelle die Leichenteile beigesetzt, die keinem Opfer zugeordnet werden konnten. Von den täglichen Begegnungen mit trauernden Familien in Haltern erzählt Dechant Martin Ahls im Interview.

Trauerflor am Ortsschild  (dpa)
Trauerflor am Ortsschild / ( dpa )

domradio.de: "Jetzt kann das Abschiednehmen zu einem Abschluss kommen", das hat Steffen Rudolph, der Beauftragte der Bundesregierung für Hinterbliebenen, zur Beisetzung der Leichenteile heute. So einfach ist das aber nicht oder?

Martin Ahls (Dechant in Haltern am See): So einfach ist das ganz sicher nicht. Das ist heute ein ganz schwerer Weg für die Angehörigen. Die Botschaft, dass nicht alle Leichenteile zugeordnet werden konnten und dass es für diese menschlichen Überreste eine Beisetzung in Frankreich geben wird, ist für viele noch einmal ein völlig aufwühlendes Ereignis.

domradio.de: Sie kennen viele der Angehörigen persönlich, sie kommen aus Ihrer Gemeinde. Wie geht es ihnen inzwischen, vier Monate später? 

Ahls: Natürlich  ist es bei jeder Familie anders gelagert. Aber dass der unendliche Schmerz bei jedem tief drin sitzt, ist unbestritten und keine Frage. Das wird auch noch lange so bleiben. 

domradio.de: Kann man sagen, dass jetzt - wo nicht mehr jeden Tag in den Medien berichtet wird und nicht mehr jeden Tag jemand fragt, wie es geht - eine ganz neue schwierige Phase beginnt?

Ahls: Ob es eine ganz neue Phase ist, weiß ich nicht. Hier in der Stadt ist es Gott sei Dank so, dass es jeden Tag neue Begegnungen mit den Angehörigen im Mitleiden und Mitfühlen gibt. Das ist nicht einfach nach vier Monaten weg. Die Familien sind ja nicht verschwunden, sondern leben hier im Alltag und begegnen Menschen, die um ihre Situation wissen. Keine der Familien lebt damit, dass sie sagt, wir wollen nicht daran erinnert werden. Überhaupt nicht. In der ganz normalen Begegnung in der Schule oder anderswo ist man jeden Tag aufs Neue damit konfrontiert. 

domradio.de: Jetzt ging in den letzten Tagen eine Debatte um die Entschädigung der Angehörigen durch die Medien. 25.000 Euro pro Opfer und 10.000 Euro für die Gesundheitsversorgung enger Angehöriger. Das ist vielen zu wenig. Kann man das Leid überhaupt in finanziellen Dimensionen bemessen?  

Ahls: Ich glaube, das kann man ganz einfach mit Nein beantworten Was dort geschehen ist und was der Verlust eines Menschen - eines jungen wie eines alten - bedeutet, das kann kein Mensch in Geld fassen. Ich glaube, das es bei dieser Diskussion, die jetzt geführt wird, auch im tiefsten Inneren um den unendlichen Schmerz geht und viel weniger um die Frage, was ein Menschenleben in finanzieller Hinsicht wert ist.

 

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.


Quelle:
DR