Guardia Sanframondi in Italien bewahrt ein blutiges Ritual

Büßen für die Gottesmutter

Nach sieben Jahren ist in dieser Woche wieder Bußwoche in Guardia Sanframondi im kampanischen Hügelland. Alle sieben Jahre werden die Gassen eines kleinen süditalienischen Ortes zum Schauplatz farbenprächtiger Volksfrömmigkeit - und des wohl blutigsten katholischen Rituals in der westlichen Welt.

Autor/in:
Burkhard Jürgens
 (DR)

Es ist, als träfen sich die Oberammergauer Passionsspiele und die schiitischen Geißelprozessionen von Kerbela: Da schreitet Jesus einher, Kinder segnend, Maria Magdalena mit dem Salbkrug, auch König David mit der Harfe. Ihnen folgen Kapuzenmänner, die sich zu Ehren der Muttergottes die Brust mit Dornen wund schlagen.

Sieben Tage lang geht es für die gut 5.000 Einwohner um nichts anderes als eine jahrhundertealte Zeremonie, in deren Mittelpunkt die "Assunta" steht, die in den Himmel aufgenommene Gottesmutter Maria. Am 15. August, ihrem liturgischen Festtag, begannen die Siebenjahresfeiern; an diesem Sonntag erreichen sie ihren Höhepunkt, wenn in der Kapelle der Madonna der Ruf ertönt: "Brüder, im Namen Mariens, mit Kraft und Mut, schlagt euch!"

"Große Kundgebung des Glaubens"
Eine Viertelmillion Besucher werden an diesem Wochenende erwartet. Für viele ist es ein bizarres Spektakel. Nicht so für die Ansässigen. "Die siebenjährigen Bußriten zu Ehren der Assunta sind kein Patronatsfest und kein Theater. Es gibt kein Feuerwerk, keine Festbeleuchtung, keine Buden oder Spiele." Der das sagt, ist nicht der Pfarrer, sondern Bürgermeister Floriano Panza. Er spricht von einer "großen Kundgebung des Glaubens", von Gebet und innerer Buße. Und ähnlich wie im bayerischen Oberammergau ist praktisch jeder irgendwie beteiligt.

Die ganze Woche hindurch richten die vier Ortsteile Prozessionen mit lebenden Bildern aus. Schweigend und mit erstarrten Gesten ziehen 1.400 "figuranti" durch die engen Straßen. Mehr als 100 Szenen aus Bibel und Kirchengeschichte sind es, die sie oft aufwendig kostümiert nachstellen. Die historische Spanne reicht von Moses in Ägypten bis zu Oscar Romero, dem 1980 ermordeten Bischof von San Salvador. Je zwei solcher Umzüge veranstaltet jedes Viertel: eine "Bußprozession" und eine "Kommunionprozession" - als Vorbereitung zum Empfang des Bußsakraments und der Eucharistie.

"Der einzige große Bußritus, der im Westen geblieben ist"
Am Sonntag schließlich vereint sich der ganze Ort zu einem einzigen großen Zug. Das ist die Stunde der "battenti", der "Schlagenden". Vor der Statue der Gottesmutter knien rund 600 Männer; ihre weißen Gewänder lassen die Brust frei, das Gesicht verdeckt einer hohen Kapuze. Auf das Kommando hin beginnen sie sich mit der "spugna" zu schlagen, einem nadelbesetzten Stück Kork. Rückwärts auf Knien rutschend, verlassen sie das Gnadenbild, um sich der allgemeinen Prozession anzuschließen. Helfer tränken die "spugna" von Zeit zu Zeit mit Weißwein; das soll sie reinigen und die Wunden offenhalten. Am Ende treffen die Büßer noch einmal auf die Madonna, die unterdessen auf einen öffentlichen Platz getragen wurde. Dann treten sie einzeln vor das Bild und steigern die Schläge zum rasenden Wirbel.

Es sei "der einzige große Bußritus, der im Westen geblieben ist", sagt Marino Niola, Anthropologe in Neapel. Für eine vergleichbare Zeremonie verwies er in einem Interview mit der Zeitung "Avvenire" auf die spektakulären Kreuzigungen philippinischer Katholiken. Die heutige Gesellschaft habe keine große Lust auf Buße, so Niola. "Aber Guardia belegt auch, dass es in den Menschen einen starken Drang zur Umkehr gibt, einen Gegensatz zum Glamour und zur Oberflächlichkeit dieser Zeit. Es ist ein bedeutendes gesellschaftliches Signal."

Auch Ortspfarrer Filippo Di Lonardo erinnerte zu Beginn der hohen Woche an den geistlichen Charakter. Die Bußübungen seien ein Akt des Glaubens und kein Schauspiel, gab er seinen Gläubigen mit. "Wir wollen keinen Applaus und auch nicht von Fernsehkameras und Fotografen aufgenommen werden." Die Neugier an diesem fernen Relikt aus den Zeiten der mittelalterlichen Geißlerbewegung lässt sich trotzdem nicht aufhalten. Bei der Bußwoche 2003 war selbst ein Team des arabischen Senders El Dschasira dabei.