Appelle zu Schutz und Kinderrechten

"Grundgesetz gehört in keine Risikogruppe"

Es war ein denkwürdiger Tag: Am 23. Mai 1949 wurde das deutsche Grundgesetz feierlich verkündet. Ein Anlass für Politiker und gesellschaftliche Akteure, um für Demokratie und Kinderrechte zu appellieren.  

Grundgesetz / © Jens Kalaene (dpa)
Grundgesetz / © Jens Kalaene ( dpa )

Zum Tag des Grundgesetzes am Samstag hat Bundesratspräsident Dietmar Woidke dazu aufgerufen, gegen eine Vereinnahmung der deutschen Verfassung durch Verschwörungstheoretiker und Demokratiefeinde Widerstand zu leisten. Es sei "gut und wichtig, dass gerade jetzt viele Menschen sich der Grundrechte bewusst sind, sie verinnerlichen und für diese auch eintreten", sagte Woidke am Freitag. Umso perfider sei es, dass einige wenige versuchten, diese Phase zu nutzen, um das Grundgesetz für Verschwörungstheorien zu vereinnahmen.

"Mit kruden Weltbildern wird versucht, Staat und Demokratie in unserem Land zu diskreditieren", warnte Brandenburgs Ministerpräsident. "Lassen wir nicht zu, dass einzelne Artikel des Grundgesetzes herausgehoben werden, um sie einseitig über andere zu stellen. Nur wer für das Grundgesetz in Gänze steht, schützt unser freiheitlich demokratisches Miteinander."

In der Corona-Pandemie müsse Politik mit Sorgfalt abwägen, welche Maßnahmen zum Schutz des Einzelnen nötig und zumutbar seien, sagte der Bundesratspräsident weiter. Richtschnur sei auch hier das Grundgesetz mit seinen Werten und Prinzipien. Die Einschränkungen seien klar begrenzt. Und dort, wo die Verhältnismäßigkeit infrage stehe, funktioniere der Rechtsstaat wie gewohnt.

Steinmeier: Grundgesetz stellt Freiheit und Leben unter hohen Schutz

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sieht zum Tag des Grundgesetzes an diesem Samstag keinen Anlass für Kleinmut. Gerade in der Corona Pandemie zeige sich, "wie lebendig unsere Demokratie, wie tief verankert und wie hoch geschätzt ihre Grundwerte sind", schreibt Steinmeier in einem Gastbeitrag für die "Süddeutsche Zeitung" (Wochenende). Er freue sich, dass über die Entscheidungen im Bund und in den Ländern lebhaft diskutiert und gestritten werde.

Die Menschen hätten einen "gesamtgesellschaftlichen Kraftakt" geleistet, betonte das Staatsoberhaupt. Nicht aus Zwang, "sondern weil wir eine lebendige Demokratie mit verantwortungsbewussten Bürgerinnen und Bürgern sind". Die aktuellen Einschnitte in die Freiheitsrechte spürten alle, "sie sind massiv und sie sind einmalig in unserer Geschichte". Sie seien aber kein Selbstzweck. "Sie dienen dem Schutz von Gesundheit und Leben."

Das Grundgesetz stelle Freiheit und Leben unter hohen Schutz. "Das Ziel, beide zu schützen, kann durchaus einen Widerstreit erzeugen", erklärte Steinmeier. "Aber dass das Grundrecht des einen dort seine Grenze findet, wo das Grundrecht eines anderen beginnt - das ist verfassungsrechtliche Normalität, nicht schon eine Krise des freiheitlichen Verfassungsstaats."

Beschränkungen werden wieder aufgehoben 

Steinmeier zeigte sich überzeugt davon, dass das Grundgesetz die Pandemie überdauern werde, ohne Schaden zu nehmen. "Es spricht nichts für die Befürchtung, dass die Beschränkungen nicht wieder aufgehoben werden, sobald die Entwicklung der Pandemie das erlaubt. Das Grundgesetz gehört in keine Risikogruppe - nicht nur, weil 71 Jahre für eine Verfassung kein Alter sind."

Noch immer wisse man nicht genug über das Coronavirus, und ein Ende der Pandemie sei nicht abzuschätzen, schreibt der Bundespräsident. "Aber auch wo die Umstände nicht eindeutig sind, muss die Politik trotz aller Ungewissheiten entscheiden - nach bestem Wissen und Gewissen."

Steinmeier betonte: "So spinnert manche Verschwörungstheorie auch daherkommen mag - vergessen wir nicht, dass hinter ihr harte politische Ziele stehen, die wir nicht ignorieren dürfen." Eine Diskreditierung von gewählten Volksvertretern, von einer seriösen Berichterstattung, von demokratischen Verfahren, wissenschaftlichen Erkenntnissen und Vernunft sei "nichts weniger als ein Angriff auf unsere Demokratie, und just auch auf die Freiheit, die sie zu verteidigen vorgeben".

Appelle: Kinderrechte in Verfassung aufnehmen 

Unicef Deutschland forderte in einem öffentlichen Appell zum Tag des Grundgesetzes erneut die Aufnahme der Kinderrechte in die Verfassung. "Jedes Kind hat Rechte. Doch im deutschen Grundgesetz, das morgen 71 Jahre alt wird, kommen die Kinderrechte bis heute nicht vor", hieß es in dem Text.

Die Rechte von Kindern würden in Deutschland noch immer nicht ausreichend berücksichtigt. "Dies hat uns nicht zuletzt die Covid-19-Pandemie vor Augen geführt", betonte der Vorsitzende von Unicef Deutschland, Georg Graf Waldersee. Zu den Unterzeichnern des Appells gehören Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und dem Kulturbereich sowie Fachleute und Ehrenamtliche.

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) sagte, der Verfassungstag sei Anlass daran zu erinnern, dass im Koalitionsvertrag ganz klar vereinbart sei, Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern. Dazu liege von ihr ein maßvoller und ausgewogener Entwurf vor. "Wir sollten keine Zeit mehr verlieren und zügig das parlamentarische Verfahren beginnen. Das ist der Ort, um offene Fragen zu diskutieren", meinte Lambrecht.

Der Vorsitzende des Bundeszuwanderungs- und Integrationsrats, Memet Kilic, sagte, grundlegende Werte müssten jeden Tag neu erkämpft werden: "Das Grundgesetz basiert auf universellen Menschenrechten und bildet die Basis für unsere freie, demokratische, soziale und pluralistische Gesellschaft." Die Auslegung dieser Werte sei unabhängig von Herkunft und Kultur. Der gemeinsame Nenner, der in der Gesellschaft Identität stifte und Zusammenhalt stärke, sei "keine homogene deutsche Leitkultur", sondern die Verfassungskultur. Sie sei "Garant und Kompass für ein Miteinander in Vielfalt, Würde und Freiheit".

Der Tag des Grundgesetzes wird am 23. Mai gefeiert. 1949 war es an diesem Tag feierlich verkündet worden. Einen Tag später trat es in Kraft.


Grundgesetz / © Jens Kalaene (dpa)
Grundgesetz / © Jens Kalaene ( dpa )
Quelle:
KNA