Sie sei der schwarze Rabe bei den Grünen gewesen, erzählte Christa Nickels jüngst in einem Interview des Magazins "Chrismon". Eine Katholikin bei der jungen Öko-Partei - das passte Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre für viele nicht recht zusammen. Umgekehrt irritierte das scheinbar respektlose Auftreten der Grünen in den Parlamenten - mit Latzhose und Sonnenblume - die Kirchen, und es empörte sie, dass die Partei für die Abschaffung des Paragrafen 218 eintrat.
Im Film "Die Unbeugsamen", der im vergangenen Jahr in den Kinos lief, blickt Nickels auf diese Zeit zurück. In dem Streifen geht es vor allem um die Diskriminierung von Frauen in den Parlamenten in den 60er, 70er und 80er Jahren und wie sich diese - nicht nur bei den Grünen - dagegen wehrten.
Unkonventionelle Gesten
Bei Nickels ist es vor allem eine Geste, die hängen bleibt: Die Abgeordnete überreichte dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) in den 80er Jahren eine Kette mit aus Papier gefalteten Kranichen, ein Friedenssymbol in Zeiten des Kalten Krieges. Dieser habe damals "für einen Augenblick die Maske bieder-grienender Herablassung abgelegt, mit der er bis dahin alle kritischen Argumente angehört hatte", so beschreibt es der ehemalige "Zeit"-Chefredakteur Theo Sommer. Es seien damals oft die Frauen gewesen, die sich unkonventionelle Gesten getraut hätten, meint Nickels dazu.
Bis sie politisch aktiv wurde, war ihr Lebenslauf eher unspektakulär: Sie wuchs mit ihren sieben Geschwistern auf einem Bauernhof in der Nähe von Aachen auf, machte an einem katholischen Gymnasium ihr Abitur und im Anschluss eine Ausbildung zur Krankenschwester. Sie heiratete und bekam zwei Kinder. Zugleich war sie auf Demonstrationen gegen Atomkraft und Aufrüstung aktiv und gehörte 1979 zu den Gründungsmitgliedern der Grünen in Nordrhein-Westfalen. Sie habe gespürt, dass da "eine große Grundwelle" an Land komme. Sie habe gewollt, dass daraus "etwas Gutes" wird und kein Tsunami. Deshalb habe sie beschlossen, dort "meine Kraft einzusetzen".
Karriere in der Politik
Politisch machte sie schnell Karriere. Von 1983 bis 2005 saß sie mit zwei Unterbrechungen für die Grünen im Bundestag. Von 1983 bis 1984 war sie parlamentarische Geschäftsführerin der Fraktion und gehörte dem Fraktionsvorstand von 1984 bis 1985 an. In der rot-grünen Koalition unter dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) war sie von 1998 bis 2001 parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesgesundheitsministerium. Zudem war sie einige Jahre Drogenbeauftragte der Bundesregierung. Und sie wurde die erste kirchenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Bundestag.
Zu einem großen Konflikt mit dem damaligen Kölner Erzbischof kam es 1986: Kardinal Joseph Höffner monierte die Haltung der Grünen in der Abtreibungsfrage. Und der frühere Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Hans Maier, schloss sich an. Mit dem berühmt gewordenen Statement vom "zerschnittenen Tischtuch" lud er Vertreter und Vertreterinnen der Partei von dem im selben Jahr stattfindenden Katholikentag aus. Es sollte Jahre dauern, bis sich die Wogen glätteten. Spätestens 2000 war es soweit: Damals wurde Nickels als erste Grüne Mitglied im ZdK.
Ambivalentes Verhältnis zu Kirche
Zu ihrem Glauben sagte sie in dem "Chrismon"-Interview: "Ein Gott, der Mensch wird, die Menschen begleitet, ermutigt, nicht von deren Seite weicht, auch nicht, wenn ihm Folter droht - das ist ein Gott, den ich annehmen kann, dem ich vertrauen kann." Dieser Glaube habe sie "immer durchgetragen". Dagegen habe sie zur Institution Kirche immer ein ambivalentes Verhältnis gehabt: "Meine katholische Kirche schwört den Heiligen Geist herbei, aber wenn er ausbricht, fegt man ihn beiseite und will ihn nicht sehen." Damit verbaue man dem suchenden Menschen den Zugang zu einem Schatzhaus, schrecke ihn ab. Die Kirche wie auch andere Institutionen müssten sich dringend erneuern.
Nach 2006 gehörte Nickels dem Bundestag nicht mehr an, "nicht ganz freiwillig", wie sie damals betonte. Freundschaftlich wurde sie damals aber vom damaligen Generalsekretär des ZdK, Stefan Vesper, in der Berliner Katholischen Akademie verabschiedet. Das hätte sie sich 20 Jahre zuvor nicht träumen lassen, betonte sie bei der Feier. Für ihre Positionen kämpfte sie engagiert, auch wenn das nicht opportun war; nicht selten überzeugte sie dabei auch Gegner. Nickels sagt dazu, "die Rolle der Rabiata" sei kein Lebensplan gewesen.
Nickels zog sich damals aus der Politik zurück, für ihre Verdienste erhielt sie 2008 das Bundesverdienstkreuz. Zu kirchenpolitischen Fragen bezieht sie aber immer wieder Stellung. So beteiligte sie sich 2018 an einer Ökumene-Petition an den Papst, die forderte, nichtkatholische Ehepartner im Einzelfall und unter bestimmten Voraussetzungen zur Kommunion zuzulassen.
Verhältnis der Partei zu Religionen gestaltet
Bei den Grünen wirkte unterdessen eine Frau an einer Befriedung zwischen Partei und Kirche sowie anderen Religionsgemeinschaften mit, die einige Jahre im Abgeordnetenbüro von Nickels als Referentin gearbeitet hatte: Bettina Jarasch, ebenfalls "ein schwarzer Rabe" in der Partei und seit dieser Legislaturperiode Berlins Umweltsenatorin.
Sie sorgte zusammen mit anderen dafür, dass die Partei 2016 ein Papier vorlegen konnte, das die Delegierten mit großer Mehrheit verabschiedeten. Es gelang darin der Spagat, Positionen von Atheisten, Agnostikern, Christen und Angehörigen anderer Religionen zusammenzubringen. Das grundsätzliche Staat-Kirche-Verhältnis wird darin nicht in Frage gestellt, wohl aber werden Reformen vor allem im kirchlichen Arbeitsrecht gefordert.