Grüne legen Abschlussbericht zu pädosexuellen Strömungen vor

"Die wirkliche Achillesferse des Linksliberalismus"

2013 beauftragten die Grünen Wissenschaftler, den Umgang der Partei mit dem Thema Pädophilie aufzuarbeiten. Nun liegt der Bericht vor: Die Grünen haben in ihren Gründungsjahren pädosexuelle Positionen toleriert.

Autor/in:
Birgit Wilke
Simone Peter (dpa)
Simone Peter / ( dpa )

"Die Geschichte ist möglicherweise noch nicht zu Ende", so betonte der Göttinger Parteienforscher Franz Walter. "Und das hat nichts mit mangelnden Fleiß unsererseits zu tun." Am Mittwoch stellte er in Berlin den Abschlussbericht zu pädosexuellen Strömungen in den Anfangsjahren der Grünen vor. Die Untersuchung beinhalte lediglich den Stand von einer rund 13 monatigen Aufarbeitung. Es könne gut sein, dass es weitere Erkenntnis gebe.

Kein Zweifel besteht aber laut Studie schon jetzt, dass die Grünen in ihren Gründungsjahren pädosexuelle Positionen toleriert haben. Ende der 70er- und Anfang der 80er-Jahre habe es in den Reihen der Partei immer wieder Forderungen gegeben, die Straffreiheit pädophiler Beziehungen in den politischen Programmen aufzunehmen. In einigen sei das auch verwirklicht worden. Als Partei hätten sie damit in einer anderen Verantwortung gestanden als etwa ein Hochschulverband, sie hätten derartige Positionen "ideologisch veredelt", so Walter.

Studie: Verweis auf Zeitgeist nicht gestattet

Nach Ansicht des Wissenschaftlers können sich die Grünen dabei auch nicht auf den Zeitgeist berufen. Die Partei sei entstanden, als die Debatte um sexuelle Befreiung, zu der auch die Frage der Pädophilie gehört habe, fortgeschritten war. Es habe längst Zweifel am Projekt einer pädophilen Emanzipation gegeben.

Zugleich ist Walter bemüht, das Verhalten der Grünen historisch einzuordnen. Forderungen nach Straffreiheit für Pädosexuelle seien ab Mitte der 60er Jahre bei Debatten von Linksliberalen aufgetaucht. Der "gute, tolerante Liberalismus" habe solche Haltungen teilweise zugelassen, dies sei seine "wirkliche Achillesferse" gewesen.

Debatten über eine Aufarbeitung in diesen Milieus habe es bislang noch nicht ausreichend gegeben. Er nannte in diesem Zusammenhang unter anderem die Humanistische Union.

Beschlusssuche auf Dachböden

Walter erläuterte auch die "teilweise schwierigen Bedingungen", unter denen er und weitere Wissenschaftler arbeiten mussten. Wie für junge Parteien völlig normal, seien in den Anfangsjahren der Grünen Beschlüsse und Programme nicht geordnet aufgehoben worden. Teilweise hätten sie auf Dachböden gesucht. Es sei deshalb mühsam gewesen, sich einen Überblick zu verschaffen. Gleichwohl sei die Zusammenarbeit mit der Partei insgesamt gut verlaufen, so Walter. 

Die Wissenschaftler machten bei den Grünen zwei sogenannte Trägergruppen aus, die sich innerhalb der Grünen für die Belange von Pädosexuellen engagierten. Zum einen seien entsprechende Initiativen von Teilen der Schwulenbewegung gekommen. Die zweite Trägergruppe seien Aktivisten gewesen, die sich in der Partei im Zuge von Kinderrechten für derartige Forderungen eingesetzt habe. Sie hätten dabei in der Tradition der Antipädagogik wie der Reformpädagogik mit der Gleichberechtigung von Kindern argumentiert.

Die Diskussion über pädosexuelle Verstrickungen der Grünen kochte im vergangenen Jahr wenige Monate vor der Bundestagswahl hoch. Das vergleichsweise schlechte Abschneiden der Partei führen Wahlanalytiker auch darauf zurück.

Partei entschuldigt sich erneut

Simone Peter, die nach der Wahl neue Parteivorsitzende der Grünen wurde, bedauert rückblickend, dass es "in der frühen Parteigeschichte zu solchen Entscheidungen kommen konnte". "Schon viel früher" hätte es Konsequenzen geben müssen.

Sie sprach auch nochmals eine Entschuldigung aus, vor der sich die Grünen lange gescheut hatten, und wendet sich dabei an "alle Opfer sexuellen Missbrauchs, die sich durch die grünen Debatten der 80er Jahre in ihrem Schmerz und ihrem Leid verhöhnt fühlen". Die Partei trage "eine historische und moralische Verantwortung" dafür, dass Täter "unsere Beschlüsse als Legitimation ihrer Taten empfunden haben können", meinte Peter.

Es habe bislang vier Rückmeldungen von Betroffenen sexuellen Missbrauchs gegeben, wobei in drei Fällen keine unmittelbare Verbindung zu den Grünen erkennbar sei, so Peter. Im vierten Fall habe sich der Betroffene bislang nicht näher zu den Umständen des Missbrauchs geäußert.

Nun gehe es darum, Konsequenzen für heutige Debatten zu ziehen. Dies soll auch Thema auf dem Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen in Hamburg vom 21. bis 23. November sein.


Quelle:
KNA