Große Missstände in deutschen Gefängnissen

Hinvegetieren in verdreckten Zellen

Ein Haftraum in ekelerregendem Zustand, zwei Mann auf 8,3 Quadratmetern und kein Platz für einen seelisch kranken Gefangenen in der Psychiatrie: Der Bericht der Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter sieht keine Anzeichen für illegale Gewaltanwendung. Dafür aber listen die Inspekteure zahlreiche Mängel in deutschen Hafteinrichtungen auf - zum Teil sind die Fälle haarsträubend.

Autor/in:
Joachim Peter
 (DR)

"Die Nationale Stelle ist auf keine Anzeichen von Folter gestoßen. Allerdings hat sie in mehreren Fällen Missstände festgestellt, die nicht akzeptiert werden können", lautet das Fazit des Berichts, der am Dienstag in Wiesbaden veröffentlicht wurde. Die Experten prüften Gewahrsamseinrichtungen in ganz Deutschland bei Polizei, Zoll, Bundeswehr und Justiz. Die Nationale Stelle ist eine unabhängige Einrichtung, die auf Initiative der Vereinten Nationen seit 2008 arbeitet und in eine Bundesstelle sowie eine Länderkommission gegliedert ist. Ihr Bericht geht an die jeweiligen Regierungen und Parlamente in Bund und Ländern.



Ein gravierender Fall, der darin Erwähnung findet, ist offenkundig die Jugendstrafanstalt Berlin. Dort betraten die Inspekteure einen Haftraum, der sich in einem "unhygienischen, ekelerregendem Zustand" befand. Die Schaumstoffmatratze sei voller "undefinierbarer Flecken" gewesen, übersät mit Insekten und ohne Überzug. "Die Toilette sowie der Trinkwasserspender waren völlig verdreckt", heißt es in dem Bericht.



Der Berliner Senat reagiert

Ähnliche grobe Mängel beanstandete die Kommission auch in anderen Räumen der Berliner Haftanstalt. In dem Bericht ist von "kärglicher Ausstattung" und einem "hohen Verschmutzungsgrad" die Rede. Zudem seien zahlreiche Fenster mit Sichtblenden ausgestattet, die verhinderten, dass genug Tageslicht und frische Luft in das Gebäude hinein kämen. Dass die Inspekteure in ihrer Bewertung größtenteils richtig lagen, dokumentiert die Reaktion der verantwortlichen Behörde: "Die Senatsverwaltung teilte mit, dass die hygienischen Mängel zwischenzeitlich abgestellt worden seien."



Dem Bericht zufolge gibt es in Deutschland 186 organisatorisch selbstständige Justizvollzugsanstalten. Die Kommission besichtigte davon sieben - sie entnahm also lediglich eine Stichprobe. Über die Gesamtsituation in deutschen Gefängnissen lässt sich auf dieser Grundlage sicher kein abschließendes Urteil fällen. Allerdings: In jeder der sieben Einrichtungen stellten die Experten Missstände fest.



Einblick in Personalakten

In der Justizvollzugsanstalt Bernau am Chiemsee betreuen beispielsweise zweieinhalb Psychologen 859 Gefangene. Auch hier bemängelte die Kommission die hygienischen Verhältnisse: "Haus 9 verfügt über lediglich 12 Gemeinschaftsduschen für circa 200 Gefangene." In einem Haftraum im Chemnitzer Frauengefängnis zeigte das Thermometer andauernd 28 Grad Celsius an. Der Justizvollzugsanstalt Werl fehlte es an Fachpersonal in der Abteilung für Sicherheitsverwahrte. Die Liste ließe sich fortsetzen.



Die Inspekteure nahmen auch Einblick in die Personalakten von Gefangenen. Auch hier gab es Auffälligkeiten: "Die Länderkommission ist besorgt über die Umstände, unter denen die Einzelhaft an zwei angetroffenen Insassen vollzogen wird", notierten die Inspekteure nach der Besichtigung der Justizvollzugsanstalt Dresden. Einer der beiden Straftäter sei bereits seit 2009 in Einzelhaft. Beide Gefangene befänden sich in Räumen mit wenig Tageslicht, die durch eine Gittertür gesichert seien. "Durch die Gittertür findet jegliche Kommunikation mit den Gefangenen statt", kritisieren die Experten. Mit den Befunden konfrontiert versicherte das sächsische Justizministerium, der Fall werde "in einem Konzil" beraten.