Gottes lange Abwesenheit an Karsamstag

Gedanken über einen unterschätzten Tag

Die 24 Stunden zwischen Karfreitag und Ostersonntag sind oft wenig greifbar. "Da passiert doch nichts", heißt es hier und dort. Doch gerade darin liegt die Stärke des Karsamstags. Gedanken über einen unterschätzten Tag.

Autor/in:
Annika Schmitz
Verhülltes Kreuz im Kölner Dom / © Alexander Foxius (DR)
Verhülltes Kreuz im Kölner Dom / © Alexander Foxius ( DR )

Auf dem tiefsten Grund der Hölle ist es nicht heiß. Kein alles verzehrendes Flammenmeer ist dort, wo es nicht mehr weiter hinuntergeht, weiß Dante. Stattdessen ewiges Eis, in dem Luzifer harrt, der gefallene Engel, das absolut Böse. Kälte überzieht den Ort, an dem Gott maximal weit weg ist. So zumindest die Vorstellung des Autors der "Göttlichen Komödie".

Hölle Mittelmeer

Vielleicht herrschen in der Hölle aber auch ungefähr 13 Grad – nicht eiskalt, nicht sonderlich warm. Es ist die durchschnittlicheTemperatur auf dem Boden des Mittelmeeres. Zur Hölle wurde das Meer, an das es nicht nur die Deutschen zum Jahresurlaub zieht, für mehr als 25.000 Menschen auf der Flucht. Es ist die geschätzte Anzahl derer, die seit 2014 dort ertrunken sind. Allein in diesem Jahr waren es bislang mindestens 383.

Geflüchtete treiben in einem Boot auf dem Mittelmeer / © Bruno Thevenin (dpa)
Geflüchtete treiben in einem Boot auf dem Mittelmeer / © Bruno Thevenin ( dpa )

Im fünften Artikel des Apostolischen Glaubensbekenntnisses sprechen Christinnen und Christen allsonntäglich, Christus sei "hinabgestiegen in das Reich des Todes". Die älteste Auslegung dazu findet sich bei Rufinus von Aquileia (345-411/12), der den Artikel mit dem Hymnus aus dem biblischen Philipperbrief verbindet. Im Namen Jesu solle sich jedes Knie beugen, das über, auf und unter der Erde – also in der Hölle – ist. Auch die Unterwelt also habe sich Gott unterworfen – und fortan gibt es keinen Ort mehr, an den die Macht Gottes nicht hinreicht.

Gottesferne 

Die Vorstellung eines "Descensus ad Inferos", eines Höllenabstiegs Christi, hat sich ab dem frühen 2. Jahrhundert in der christlichen Literatur entwickelt. Christus steigt in die Unterwelt, um die vorchristlichen Gerechten, die Propheten, zu erlösen, deuteten Kirchenväter. In der Theologie gibt es Stimmen, die damit auch den Zuspruch Gottes an jene Menschen verbinden, die sich von ihm abgewandt haben. Die Hölle, das ist in dieser Vorstellung der Ort der Gottesferne, in den der Mensch aus freien Stücken gelangt – weil er sich von seinem Schöpfer abgekehrt hat. Christus steigt hinab, um ihnen erneut die Hand zu reichen.

Der Tag zwischen den Tagen

Wenig überraschend ist es daher auch, dass der Karsamstag, der sich vom althochdeutschen Kara – der Sorge, dem Kummer – ableitet, im allgemeinen Sprachgebrauch oft fälschlicherweise zum "Ostersamstag" wird, bei dem die Vorschau auf das Leben schon im Wort mitschwingt. Doch der Höllenabstieg kann auch weniger glorreich gelesen und der Karsamstag zum vielleicht unterschätztesten aller christlichen Feiertage werden: Er ist der Tag zwischen den Tagen, die Momentaufnahme zwischen Kreuzigung und Auferstehung. Wer einmal einen geliebten Menschen zu Grabe getragen hat, kennt die Zeit, in der die Welt still zu stehen scheint.

Aushalten der Abwesenheit

Karsamstag bedeutet dann, die Abwesenheit aushalten zu müssen. Karsamstag ist nicht der Tag der Worte, schon gar nicht des Jubels. An diesem Tag spitzt sich die Frage, warum Gott Leid zulässt, hin zu der Frage, wo Gott ist, wenn Menschen leiden. Der Höllenabstieg Christi wird dann zur radikalen Zusage Gottes, den Menschen auch dort nicht allein zu lassen, wo er von anderen längst fallen gelassen worden ist. Die "Hölle auf Erden" hat hier ihren Platz: Wo Menschen hungern, leiden, Gewalt erfahren. Und wo die qualvoll Gestorbenen längst vergessen sind, auf dem Grund des Mittelmeeres liegen oder mit einem Schulterzucken hingenommen werden.

Keine Gottesdienste an Karsamstag

Das Kreuz in der Apsis einer Kirche in Bonn wird mit einem schwarzen Tuch verhüllt. Es ist nur noch der Kopf von Jesus mit der Dornenkrone zu sehen. / © Harald Oppitz (KNA)
Das Kreuz in der Apsis einer Kirche in Bonn wird mit einem schwarzen Tuch verhüllt. Es ist nur noch der Kopf von Jesus mit der Dornenkrone zu sehen. / © Harald Oppitz ( KNA )

Der Karsamstag zeigt aber auch, dass es ein stilles Versprechen Gottes ist und keines, das sich laut aufdrängt. Die Liturgie des Tages weiß darum. Es ist der einzige Tag im Jahr, an dem es keine Gottesdienste gibt. Einzig die Tageszeitenliturgie, also die Gebete vor allem in Klöstern am Morgen, Mittag und Abend, findet statt.

Jesus Christus war tot, führt das Gebetsbuch der Benediktiner von Münsterschwarzach zum Karsamstag hin: "Er war einsam mit den Einsamen, tot mit den Toten. Er hat unser Leben dort geteilt, wo es am Ende ist, in der Dunkelheit und Kälte der Erde." Die Hoffnung auf einen Gott, der die Pforten der Hölle sprengen möge, mischt sich nur leise unter das Psalmengebet. Der Karsamstag ist eben der Tag, an dem der verzweifelte Schrei nach Gott, der manchmal längst verstummt ist, seinen Platz hat.

Quelle:
KNA