Gott ist auch im Neuen Testament zornig

"Das gehört zur Botschaft Jesu"

"Weg von mir, ihr Verfluchten" klingt wenig nach Jesus, stammt aber von ihm. Martialische Töne gibt es am Ende des Kirchenjahres immer wieder, etwa in der Johannes-Apokalypse. Theologe Ansgar Wucherpfennig erklärt die Zusammenhänge.

Die Unterscheidung zorniger Gott im Alten Testament und lieber Gott im Neuen Testament ist falsch. (dpa)
Die Unterscheidung zorniger Gott im Alten Testament und lieber Gott im Neuen Testament ist falsch. / ( dpa )

DOMRADIO.DE: Wer im November öfters in den Gottesdienst geht, hört Texte aus der Bibel, die sehr ungewöhnlich klingen: "Weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer" – so heißt es am Christkönigssonntag im Matthäus-Evangelium von Jesus. Und auch die berühmt-berüchtigte Johannes-Apokalypse wird im Gottesdienst in Auszügen verlesen. Jesus betont immer wieder die Nächsten- und Gottesliebe, wie kommt es, dass jetzt zum Ende des Kirchenjahres solche drastischen Botschaften kommen?

Theologe Ansgar Wucherpfennig / © Angelika Zinzow (KNA)
Theologe Ansgar Wucherpfennig / © Angelika Zinzow ( KNA )

Prof. Dr. Ansgar Wucherpfennig SJ (Lehrstuhlinhaber für Exegese des Neuen Testaments an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt am Main):

Ihre Frage hat mehrere Dimensionen. Die erste ist vielleicht die Frage: Was meint eigentlich Liebe? Und ich glaube, dass das oft zu entleiblicht verstanden oder zu sehr nur mit romantischen Emotionen verbunden wird.

Dabei hat Liebe im Grunde genommen ein gesamtes breites Spektrum von Emotionen, vor allem, wenn man sie biblisch nimmt. Da gehört natürlich Zärtlichkeit dazu, aber auch Mut.

Aber auch solche Gefühle wie Eifer oder Eifersucht. Sogar Zorn gehört zur Liebe. Zorn ist ja im Grunde genommen ein Gefühl, das auf verletzte Gerechtigkeit reagiert. Und gerade in einer Liebesbeziehung ist verletzte Gerechtigkeit vehement und schmerzt besonders.

Pater Ansgar Wucherpfennig SJ

"Beide Gebote, sowohl das der Gottesliebe wie auch das der Nächstenliebe, stehen im Alten Testament."

Insofern glaube ich, wenn Jesus von Nächsten- und Gottesliebe spricht, dass das gar nicht dagegen spricht, dass seine Aussagen manchmal sehr hart sind.

Die zweite Dimension ist, dass damit oft ein Bild verbunden ist, das das Alte Testament dem gerechten Gott zuschreibt, und das Neue Testament dem sogenannten "lieben" Jesus.

Ich glaube, dass das weder dem Alten noch dem Neuen Testament wirklich gerecht wird. Beide Gebote, sowohl das der Gottesliebe wie auch das der Nächstenliebe, stehen im Alten Testament; die Nächstenliebe im Buch Levitikus, in der Mitte der Thora, das Hauptgebot im Buch Deuteronomium. Und Jesus greift mit beiden Geboten auf das Alte Testament zurück, das ja seine Bibel ist.

Von daher ist die Abwertung, die damit leicht gegenüber dem Alten Testament verbunden ist, gerade in diesen Tagen um den 9. November herum verheerend, weil sie in der Vergangenheit oft zu antisemitischen Einschätzungen des Alten Testaments von Bibeltheologinnen und Bibeltheologen geführt hat.

Symbolbild Thorarolle / © Olesya Baron (shutterstock)

Und die dritte Dimension ist: Zu Jesu Botschaft gehört auch die Botschaft vom Gericht. Das übersehen wir vielleicht schnell oder genauer: Es wird in einem verbreiteten Jesusbild schnell übersehen, aber Gericht meint, dass wir sowohl als Einzelne wie auch als Gesellschaft Verantwortung vor Gott haben.

Und zwar jetzt schon, aber dann auch am Ende der Tage, wenn Gott auf alle Menschen zukommt. Das sieht die Bibel so und auch Jesus sieht es so. Deswegen gehören zu Jesus zum Teil auch Gerichtsworte wie das, das Sie gerade erwähnt haben. Menschen tragen Verantwortung vor Gott, das gehört zur Botschaft Jesu.

DOMRADIO.DE: Und wenn es jetzt immer wieder heißt, dass das Reich Gottes nahe ist, das hören wir jetzt in diesen Tagen immer wieder, was für eine Art Reich ist das? Und warum wird das immer so kurz vor dem ersten Adventssonntag thematisiert?

Wucherpfennig: Im Grunde genommen feiern wir genau das im Advent. Advent heißt ja "Ankunft“, es ist das lateinische Wort für Ankunft. Und wenn man im Griechischen schauen würde, welches Wort Advent entspricht, dann wäre das Parousia.

Und Parousia meint natürlich einerseits, dass ein Herrscher ankommt, also ein Basileus, ein König, kommt in seine Stadt oder zurück in sein Land, das ist seine Parousia. Aber das meint auch schon die Gegenwart dessen, der da erwartet wird. Parousia kann für beides stehen, sowohl für die Gegenwart wie auch das zukünftige Ankommen.

Pater Ansgar Wucherpfennig SJ

"Dieses königliche Herrschen Gottes ist eine Klammer, die beide Testamente umfasst, von der ersten bis zur letzten Seite der Bibel."

Die Basileia, die Jesus erwartet, ist die Königsherrschaft Gottes, von der das Alte Testament schon auf den ersten Seiten spricht. Im ersten Schöpfungsbericht wird Gott im Grunde genommen als eine Art universaler Herrscher dargestellt, der ordnet und trennt und den einzelnen Wesen und Seinsbereichen ihren eigenen Raum gibt, der ihnen Nahrung zuteilt, der ihnen dann auch aufträgt, und zwar nicht erst dem Menschen, sondern auch der Erde, mitschöpferisch tätig zu sein.

Adam und Eva im Garten Eden / © jorisvo (shutterstock)

So wird Gott gleich in den ersten Seiten der Bibel beschrieben. Und dieses königliche Herrschen Gottes ist eine Klammer, die beide Testamente umfasst, von der ersten bis zur letzten Seite der Bibel.

Was mir besonders gefällt, sind zum Beispiel die Gott König-Psalmen im Alten Testament, die auch für Jesu Rede von der Basileia, also der Königsherrschaft, dem Reich Gottes, wichtig gewesen sind. Etwa Psalm 93, der Gott als Herrscher beschreibt, wie er mit Himmelsglanz umkleidet ist und wie er den Erdkreis fest gründet. Und zwar so, dass Menschen in Gerechtigkeit leben können, der aber auch eine eigene Beziehung zur nichtmenschlichen Schöpfung hat und mit ihr in Kommunikation ist.

Blick auf einen hebräischen Psalm von König David, der als Verfasser vieler Psalmen in der Bibel gilt / © ChameleonsEye (shutterstock)
Blick auf einen hebräischen Psalm von König David, der als Verfasser vieler Psalmen in der Bibel gilt / © ChameleonsEye ( shutterstock )

Oder in Psalm 94 wird Gott dann vor allem als der beschrieben, der auch als sozialer Herrscher eintritt für die Armen in Israel, im Volk Gottes, also für die Witwen, Fremden und Waisen. Er zieht diejenigen zur Rechenschaft, die diese Armen bedrängen und ihnen noch mehr Schmerz und Not verschaffen.

DOMRADIO.DE: Wir haben jetzt ja in diesen Tagen auch noch ein anderes Buch, was sehr prominent im Gottesdienst zu hören ist, nämlich die Offenbarung des Johannes, das ist das letzte Buch der Bibel. Offenbarung könnte man mit Enthüllung übersetzen. Dort gibt es wilde Himmelsvisionen mit Engeln, Drachen und sonstigen Ungeheuern. Warum wird zum Beispiel an Allerheiligen, also am 1. November, aus der Johannes-Apokalypse vorgelesen?

Wucherpfennig: Da höre ich zwei Fragen aus dem, was Sie gesagt haben. Die eine ist nach den "wilden" Visionen, die andere ist zu der Allerheiligen-Lesung: Apokalypse heißt Enthüllung. Und das hängt mit dem griechischen Verständnis von Offenbarung zusammen. Da wird etwas enthüllt. Auch das griechische Wort für Wahrheit ist damit verbunden. Es meint im Grunde genommen "das Unverborgene", also das, was zutage tritt, das, was sichtbar wird.

Gleichzeitig ist es so, dass das, was die Johannes-Offenbarung beschreibt, eine große Geschichtstheologie ist, die in die Zukunft hineinprojiziert wird, nicht in genaue konkrete Ereignisse, aber die Gottes Handeln in Geschichte und in Zukunft beschreibt: "Der ist, der war und der kommen wird“, so heißt es über Gott und über Jesus Christus.

Und wie das geschieht, beschreibt die Johannes-Offenbarung. Diese Offenbarung ist aber immer so, dass sie, wenn sie enthüllend ist, zugleich verhüllt, weil das Handeln Gottes auch so ist, das Menschen rätselhaft bleibt und eigentlich als enthülltes immer auch verhüllt bleibt.

Pater Ansgar Wucherpfennig SJ

"Dafür werden Bilder benutzt, die zum Teil wirklich sehr unheimlich und erschreckend sind."

Dafür werden Bilder benutzt, die zum Teil wirklich sehr unheimlich und erschreckend sind. Über viele Kapitel hin fließt da Blut und ist von Gewalttaten und Katastrophen die Rede. Und da sind Ereignisse beschrieben, die uns in den letzten Monaten und Jahren nähergerückt scheinen, aber immer schon nahe waren - vielleicht nicht uns in Europa, aber anderen Menschen.

Ich erinnere mich an einen Professor, den ich selbst im Theologiestudium gehört habe, der die Johannes-Offenbarung mit dem Kommunistischen Manifest verglichen hat: "Ein Gespenst geht um in Europa". So fängt es an. Da werden also im Kommunistischen Manifest als Widerstandsliteratur Bilder aufgegriffen, um soziale Verhältnisse zu beschreiben.

Das Gespenst ist dann im Kommunistischen Manifest der Kommunismus, der dann mit seinem Programm auch enthüllt wird. Gerade wenn Menschen unterdrückt sind, dann neigen sie zu Bildern, weil sie oft nicht offen sprechen können. Und dies trifft in gewisser Weise, glaube ich, auch auf die Johannes-Offenbarung zu.

DOMRADIO.DE: Beschrieben werden zum Beispiel ja auch die sieben Engel mit den sieben Schalen des Zorns. Das fand ich ein sehr eindrucksvolles Bild. Spricht da auch so etwas wie eine Art religiöse Verzückung, eine Art Rausch aus dem Text?

Wucherpfennig: Nein, das glaube ich nicht. Also ich kann mir schon vorstellen, dass am Anfang tatsächlich vielleicht auch so etwas wie visionäre Erfahrungen standen. Aber die Johannes-Offenbarung, wie wir sie vorliegen haben, ist "Schreibtisch-Prophetie".

Pater Ansgar Wucherpfennig SJ

"Die Johannes-Offenbarung, wie wir sie vorliegen haben, ist 'Schreibtisch-Prophetie'."

Es gibt kaum ein Buch im Neuen Testament, in dem so viele alttestamentliche Anspielungen und Schriftbezüge vorhanden sind, wie in der Johannes-Offenbarung. Das heißt, selbst wenn da am Anfang eine visionäre Erfahrung von Johannes auf der Insel Patmos stand, dann ist sie noch mal sehr stark literarisch verarbeitet.

Es ist es ein Buch, auf das ich ungern verzichten möchte in der Bibel. Oder andersherum: Die Offenbarung ist eines der Bücher, in dem ich sehr gern lese, weil ich glaube, sie lässt sich letztendlich als Trostbuch verstehen.

DOMRADIO.DE: Als Verfasser wird hier ein Johannes genannt. Wer ist das überhaupt? Was weiß man von ihm?

Wucherpfennig: Das Eigenartige ist ja, dass bei den Johannes-Schriften, die wir im Neuen Testament haben -das sind das Evangelium und die drei Briefe nur in der Johannes-Offenbarung- der Name Johannes in der Schrift selber auftaucht. Und er ist dort als ein Seher erkennbar, der in der Ich-Form schreibt.

Die ganze Schrift hat eine Briefform und in diesen Brief sind dann die verschiedenen Visionen eingefangen. Ich habe mal die Deutung gehört und finde sie ganz schön, dass dadurch, dass die letzte Schrift in der Bibel eine Briefform hat, die ganze Bibel zu einem Brief an uns persönlich wird, an uns, die wir heute leben.

Der Seher Johannes auf der Insel Patmos - Fresco-Darstellung in einer orthodoxen Kirche auf Patmos / © Theastock (shutterstock)
Der Seher Johannes auf der Insel Patmos - Fresco-Darstellung in einer orthodoxen Kirche auf Patmos / © Theastock ( shutterstock )

Johannes war ein Visionär und ein Prophet, zu dem auch eine Propheten-Schule gehörte. Es ist auch nicht auszuschließen, dass auch Frauen zu dieser Schule gehörten. Diese Propheten waren offenbar in den Gemeinden tätig, die am Anfang als Adressaten von Briefen genannt sind, in den sieben sogenannten "Sendschreiben". Dort war diese Prophetenschule wohl tätig und ist dort auch im Gottesdienst aufgetreten. Dieser Johannes nun hat offenbar eine erneute Berufung auf der Insel Patmos erfahren, auf die es ihn aus nicht genauer angegebenen Gründen verschlagen hatte.

Es gibt Leute, die sagen Patmos war eine Art antikes Alcatraz, also eine Gefangenen-Insel. Aber das ist nicht sicher. Immerhin erfährt er dort eine neue Berufung, sein Propheten-Amt wieder wahrzunehmen und es auch noch einmal auszuweiten. Das bedeutet: Er soll seine Einsichten und Visionen im damals bekannten Erdkreis verbreiten und deswegen schreibt sie dann auch auf.

DOMRADIO.DE: Wir haben am Anfang unseres Gesprächs schon ein bisschen drüber gesprochen. Ein wenig besteht ja heute die Gefahr, dass man aus vermeintlich pädagogischen Gründen sagt, dass solche martialischen Töne ja nur symbolisch gemeint gewesen seien. Wie lesen Sie als Bibel-Wissenschaftler solche Bücher wie eben die Johannes-Offenbarung? Meinen die das wirklich so, wie es klingt?

Wucherpfennig: In der Johannes-Offenbarung, wie auch beispielsweise bei den Gleichnissen Jesu oder allen Texten, die eine metaphorische Bedeutung haben, ist zu unterscheiden zwischen der Bildebene und der Sachebene. Und dazu ist zu sagen, dass militärische Bilder auf der Bildebene auch in der Bibel und in der Umwelt des Neuen Testaments durchaus häufig sind.

Qumran Schriftrollen / © ChameleonsEye (shutterstock)

In den Qumran-Rollen haben wir zum Beispiel die Kriegs-Rolle, wo die Zeit als eschatologischer Krieg beschrieben ist, in dem verschiedene Heerscharen aufeinanderprallen. Und so ist es auch in der Johannes-Offenbarung, die wir als Ausschnitt in der Lesung zu Allerheiligen im Gottesdienst hören. Da wird beschrieben, wie ein großes Heer zunächst aus den Stämmen Israels rekrutiert wird, dann aber werden große unzählige Menschenmengen in dieses Heer zusammengeführt. Diese werden am Fest Allerheiligen als das "Heer der Heiligen" gedeutet.

Die Bildebene ist auf jeden Fall zu unterscheiden von der Sachebene und was die Bildebene auf der Sachebene immer ganz genau bedeutet, das herauszufinden, ist Aufgabe von Exegetinnen und Exegeten.

Pater Ansgar Wucherpfennig SJ

"Es bedeutet einfach Einsatzbereitschaft und die Bereitschaft, Verantwortung wahrzunehmen, auch im Widerstand gegen das übermächtige Rom."

Hier würde ich sagen: Es bedeutet einfach Einsatzbereitschaft und die Bereitschaft, Verantwortung wahrzunehmen, auch im Widerstand gegen das übermächtige Rom und dessen Herrscher-Kult, also einen religiös begründeten Herrschaftsanspruch, den Rom überall durchsetzen will.

In dieser Situation im jetzt metaphorischen Sinn gerüstet zu sein, das ist, glaube ich, hier gemeint. So ist zunächst die Bildebene zu verstehen. Aber dann hat die Bildebene natürlich auch Auswirkungen auf die sachliche Aussage.

Beide lassen sich nicht komplett sauber trennen. Das ist auch bei den Gleichnissen Jesu so: Die Bildebene hat ihren eigenen Wert und trägt zur Aussage bei. Deswegen finde ich eine "rein symbolisch" gemeinte Bedeutung problematisch. Wir müssen die Bildebene auch als Bildebene mit ihren Auswirkungen auf die Aussage des Textes ernst nehmen. Es lässt sich nicht fein säuberlich trennen zwischen Bild- und Sachebene.

Das Interview führte Mathias Peter.

Die Bibel

Bibel ist die Schriftensammlung, die im Judentum und Christentum als Heilige Schrift gilt. Auf den Schriften fußt jeweils die Religionsausübung. Die Bibel des Judentums ist der dreiteilige Tanach, der aus der Tora, den Nevi’im und Ketuvim besteht. Diese Schriften entstanden seit etwa 1200 v. Chr. im Kulturraum der Levante und Vorderen Orient und wurden bis 135 n. Chr. kanonisiert. Das Christentum übernahm alle Bücher des Tanachs, ordnete sie anders an und stellte sie als Altes Testament (AT) dem Neuen Testament (NT) voran.

Eine Bibel liegt aufgeschlagen auf einem Tisch (KNA)
Eine Bibel liegt aufgeschlagen auf einem Tisch / ( KNA )
Quelle:
DR