Geraten die Christen in Nahost zwischen die Fronten?

"Widerspruch zu den Menschenrechten"

Übergriffe auf Christen, Ärger mit Muslimen in Nazareth und bald vielleicht ein Gesetz gegen christliche Verkündigung? Die Anspannung in Nahost bekommen auch die Christen zu spüren. Am Sonntag wird im Gottesdienst für sie gesammelt.

Blick auf Jerusalem / © Roman Sigaev (shutterstock)
Pfarrer Ludger Bornemann / © Johannes Schröer (DR)
Pfarrer Ludger Bornemann / © Johannes Schröer ( DR )

DOMRADIO.DE: Sie können aus erster Hand berichten. Wie ergeht es denn den Christen im Heiligen Land?

Msgr. Ludger Bornemann (Geistlicher Leiter des Deutschen Vereins vom Heiligen Lande): Die sind natürlich aufgewühlt, wie das ganze Heilige Land zurzeit in Sorge ist. Man merkt das an den Nachrichten über die ständigen Demonstrationen, die auch jetzt noch nicht nachgelassen haben. Die Christen sind eine kleine Minderheit von zwei Prozent, das sind etwa 200.000 bei neun Millionen Einwohnern in Israel. Die ist darauf angewiesen, dass es politisch einigermaßen stabil ist und ist natürlich in Sorge, was mit ihr passiert, wenn extreme Gruppen sich zurzeit stärker fühlen.

DOMRADIO.DE: Hat das denn auch was mit der rechtskonservativen Regierung in Israel zu tun, gegen die ja auch seit Tagen protestiert wird?

Bornemann: Vermutlich schon, denn in dieser Regierung sind eben auch extreme Gruppen. Wenn man alleine daran denkt, dass der sogenannte Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir schon einmal wegen Zugehörigkeit zu einer extremen jüdischen Terrorgruppe verurteilt worden ist. Das war die Gruppe, die damals in Tabgha, wo ich lange gelebt habe, die Brandstiftung an der Brotvermehrungskirche verübt hat. Das bereitet schon große Sorgen.

Manche extremen Gruppierungen haben jetzt das Gefühl, wir haben nun einen Patron in der Regierung und können uns mehr erlauben, als wir das sonst machen würden.

DOMRADIO.DE: Es gibt immer wieder Anschläge auf christliche Einrichtungen, Gewalt gegen Christen in den vergangenen Wochen. Alleine drei Mal sind christliche Einrichtungen in Nazareth angegriffen worden. Wie erklären Sie diesen Hass? Wo kommt er her?

Bornemann: In Nazareth, denke ich, ist das noch mal eine besondere Situation. Eigentlich gab es in Nazareth immer ein gutes Verhältnis zwischen Christen und Muslimen. Vor 23 Jahren gab es ein Problem, das man unmittelbar unterhalb der Verkündigungsbasilika eine Moschee bauen wollte, die größer sein sollte als die Basilika, weil an diesem Ort ein Neffe von Saladin, der damals die Kreuzfahrer besiegt hat, begraben sein soll.

Diese Geschichte ist damals von einer extremen muslimischen Gruppierung initiiert worden, die nicht aus Nazareth stammte, sondern in einiger Entfernung, aus einen Ort nahe Chadeira, der sehr extrem muslimisch ist. Und aus diesem Ort kommen jetzt vermutlich auch wieder diese sehr kleinen Gruppierungen, die versuchen über große Meldungen ein Klima anzuheizen, das in den Konflikt hineingeht, der eigentlich im Alltag in Nazareth so nicht da ist.

Dazu kommt sicher auch noch mal der Ramadan. Der frühere Weihbischof von Nazareth, Bischof Marcuzzo, hat darauf hingewiesen, dass der Ramadan manchen apostolischen Eifer vielleicht auch etwas verstärkt.

DOMRADIO.DE: In Deutschland wird vor allen Dingen gerade viel über die umstrittene Justizreform und Benjamin Netanjahu, der das Ganze forciert hat, berichtet. Da gerät ein bisschen in den Hintergrund, dass zwei Abgeordnete der religiösen Rechten ein sogenanntes Anti-Verkündigungs-Gesetz ins Parlament eingebracht haben, dass die christliche Verkündigung und Mission ausdrücklich verbieten würde. Wie besorgt macht sie so etwas?

Bornemann: Es ist ein weiterer Schritt. Es gab in Israel immer schon ein Missionsverbot, dass man sich gegenseitig keine Leute abwirbt. Im Grunde genommen ist das ein Widerspruch zu den Menschenrechten, zu denen sich Israel ja auch bekennt, die eine Gewissensfreiheit gewährleisten sollen.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass dieses Gesetz tatsächlich durchkommt. Es gibt starken Widerspruch auch von evangelikalen Gruppen, die eigentlich sehr starke Israel-Unterstützer sind. Das zeigt aber im Grunde, wie ermutigt sich solche extremen Positionen zurzeit fühlen.

DOMRADIO.DE: Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass die derzeitigen Proteste in Israel vielleicht auch in einem Bürgerkrieg münden?

Bornemann: Das hofft eigentlich niemand. Nur wenn ein sehr besonnener und sicher nicht linker Staatspräsident von der Befürchtung spricht, dass es so etwas geben könnte, dann hat das schon seinen Hintergrund. Es gab immer schon die Sorge, dass der Konflikt der unterschiedlichsten Gruppierungen, also Siedler, orthodoxe Juden, säkulare Juden, Araber eskalieren könnte.

Der frühere Staatspräsident Reuven Rivlin hat immer erwähnt, dass da ein gegenseitiges Misstrauen existiert. So ganz kann man es nicht von der Hand weisen. Es gibt allerdings genug besonnene Leute, auch in der israelischen Politik, die darauf aufmerksam machen: Wir haben eigentlich ganz andere Probleme, als uns so etwas leisten zu können.

DOMRADIO.DE: Am kommenden Sonntag ist die Kollekte in den Gottesdiensten für die Christen im Heiligen Land geplant. Wofür werden die Spenden dann verwendet?

Bornemann: Die Spenden werden einmal für soziale Projekte verwendet, die nach wie vor ganz wichtig sind und wo Christen eine wichtige Position haben. Spenden werden inzwischen auch verwendet, um Gruppen zu unterstützen, die sich gerade dem interreligiösen Dialog etwas mehr verschrieben haben.

Wir erleben, dass ganz viele Gruppierungen eigentlich keine Ahnung haben, was die anderen glauben, was den anderen wichtig ist. Da Foren zu unterstützen, wo Begegnung möglich ist, ist ein wichtiger Gesichtspunkt.

Ein wichtiger Punkt ist auch die Unterstützung unserer Freiwilligen. Der Deutsche Verein vom Heiligen Lande bietet einige Stellen an, wo Freiwillige im Heiligen Land sowohl im jüdischen Kontext wie im muslimisch, christlichen, palästinensischen Kontext arbeiten und dabei auch so Brückenbauer sein können.

Das Interview führte Elena Hong.

Deutscher Verein vom Heiligen Lande

Seit mehr als 160 Jahren engagiert sich der Deutsche Verein vom Heiligen Lande (DVHL) für die Menschen im Nahen Osten – immer vor dem Hintergrund des interreligiösen Dialogs und friedenspolitischen Engagements. "Mit Erfahrung und Kompetenz sind wir auf einzigartige Weise im Nahen Osten präsent. Wir engagieren uns dort, wo Menschen konkrete Hilfe brauchen, und treten mit ihnen für eine bessere Zukunft ein." Im Spannungsfeld von Judentum, Christentum und Islam stehen sie für Verständigung, Versöhnung und Frieden.

Blick auf Jerusalem / © Kyrylo Glivin (shutterstock)
Quelle:
DR