Geraldine Chaplin hielt ihren Vater Charlie für "größer als Gott"

Als die Nonnen ausflippten

In Berlin beginnt Ende der Woche das Festival "Chaplin Complete". Die Tochter der Schauspiel-Ikone Charlie Chaplin ist schon jetzt in Deutschland – und spricht über ihre erste Begegnung mit Gott, ein Missverständnis dabei und warum ihr Vater eine katholische Klosterschule für den perfekten Erziehungsort hielt.

 (DR)

dapd: Mal ganz ehrlich, haben Sie alle 80 Filme gesehen?

Chaplin: Ja, ich glaube schon. Aber ich habe sie noch nie alle auf einmal gesehen. Es muss fantastisch sein, hier in 24 Tagen von Film zu Film zu reisen, das ist wie eine Zeitreise.



dapd: Als Achtjährige spielten Sie in seinem Film "Rampenlicht" (1952) selbst Ihre erste Rolle. Blicken Sie hier also nicht nur auf Ihren Vater zurück, sondern auch auf sich selbst?

Chaplin: Nein, es war nur ein Drehtag, und ich erinnere mich gar nicht mehr daran. Ich weiß nur noch, dass wir uns gefreut haben, dass wir nicht zur Schule gehen mussten.



dapd: Wann haben Sie denn das erste Mal bemerkt, dass ihr Vater berühmt ist?

Chaplin: Das wussten wir Kinder immer. Wir hielten ihn sogar für den berühmtesten Mann der Welt. Als wir in die Schweiz zogen, kam ich in eine katholische Nonnenschule. Dort redeten alle von Gott, und ich hatte noch nie von Gott gehört. Ich dachte, er sei der Besitzer der Schule. Dann klärten mich die Nonnen auf, und ich dachte: Au Mann, Gott ist wirklich große Klasse. Als mich mein Vater mal von der Schule abholte, flippten die Nonnen aus vor Begeisterung. Und ich dachte: Wow, mein Vater ist noch größer als Gott.



dapd: Warum steckte Ihr Vater Sie in eine Klosterschule, wenn Sie vorher überhaupt nicht religiös aufgewachsen waren?

Chaplin: Mein Vater war sehr streng. Also suchte er auch die strengste Schule für mich aus - und hielt ein katholisches Nonnenkloster für perfekt.



dapd: Man kann sich kaum vorstellen, dass ihr Vater so streng war...

Chaplin: Nun, er wurde 1889, im Viktorianischen Zeitalter, geboren. Er durchlebte lange Zeit Armut und Elend. Er war ein Kämpfer und glaubte an Disziplin.



dapd: Sahen Sie einen großen Unterschied zwischen dem Komiker auf der Leinwand und dem Vater zu Hause?

Chaplin: Ich habe den Mann aus den Filmen nie für meinen Vater gehalten. Mein Vater war Charlie Chaplin, der "Vagabund" war mein Held. Natürlich wusste ich, dass es derselbe Mensch war. Aber mein Vater war für mich ein weißhaariger, etwas stämmiger Mann - und vor allem mit einer Stimme, einer sehr tiefen Stimme.



dapd: Ihr Vater war zu Hause aber nicht nur streng, oder?

Chaplin: Nein, er war auch lustig. Und er war immer dann besonders gut, wenn er ein Publikum hatte. Ich glaube manchmal, deswegen hatte er so viele Kinder. Wenn wir alle zusammen am Abendbrottisch saßen, machte er immer viele Späße - das war brillant.



dapd: Haben Sie und Ihre Geschwister seinen Humor geerbt?

Chaplin: Wir haben alle viel Humor, aber noch witziger als mein Vater war meine Mutter. Das war ein Teil ihrer Schönheit und Attraktivität, die meinen Vater wohl so anzog. Sie konnte aus jeder Situation etwas zum Lachen machen.



dapd: War die Arbeit ihres Vaters ein großes Thema in der Familie?

Chaplin: Wir schauten alle seine Filme zu Hause. Aber mein Vater zierte sich immer sehr, sie vorzuführen. "Ach nein, nachher lacht niemand", sagte er. Wenn wir ihn dann überredet hatten, den Film zu gucken, sprach er von dem Mann auf der Leinwand in der dritten Person: "Oh schaut mal, der ist wirklich gut. Er ist so lustig."



dapd: Welche Spuren hat Ihr Vater Ihrer Meinung nach hinterlassen?

Chaplin: Seine Filme sind absolut modern und zeitlos. Mit seinen Rollen konnte und kann sich jeder identifizieren. Er wurde oft als Genie bezeichnet, aber er hasste das Wort. Er entgegnete dann immer: "Das klingt so anmaßend. Ich würde mich selbst einzigartig nennen."



Hintergrund: Alle 80 Filme Charlie Chaplins werden ab Freitag (15. Juli) bei dem Festival Chaplin Complete in Berlin gezeigt. Zur Eröffnung kommt auch Chaplins Tochter, Schauspielerin Geraldine Chaplin ("Das Waisenhaus").



Das Gespräch führte Nadine Emmerich.