Geistliche in den USA stoßen sich an der laxen Kleidung in ihren Gotteshäusern

Dresscode für die Kirche

Die USA sind als ein Land legeren Freizeitverhaltens und vor allem - diplomatisch ausgedrückt - unprätentiöser Freizeitkleidung bekannt. Mehreren überwiegend katholischen Geistlichen wird es jetzt allerdings der Lockerheit zu viel.

Autor/in:
Ronald Gerste
 (DR)

Flip-Flops und T-Shirts, abgeschnittene Jeans-Shorts und Damenoberbekleidungen mit tiefem Ausschnitt und aus transparentem Material fänden immer häufiger Eingang in Stunden und Stätten der Andacht und des Gebets, beklagten mehrere Seelsorger im TV-Sender ABC.



Deacon Greg Kandra beispielsweise war bei der Austeilung der Kommunion in seiner Gemeinde in Forest Hill im Bundesstaat New York geschockt, eine junge Frau in einem T-Shirt der Restaurantkette Hooters vor sich zu sehen: ein Kleidungsstück, das mit extrem wenig Stoff auskommt. Ein Freund von ihm, so berichtete Kandra, habe ein noch weiterreichendes Erlebnis gehabt, als eine ähnlich lax gekleidete Gläubige die Hostie zu des Geistlichen Entsetzen in ihren Ausschnitt habe fallen lassen.



Reverend Edward Beck von St. Malachy"s in Manhattan fragte sich, so erklärte er im Fernsehen, während der Samstagabendmesse beim Anblick einer Gläubigen, ob die Ablenkung, die er verspürte, seine Schuld oder die der Frau war. Und er entschied sich für Letzteres: "Das Buch der Prediger sagt, dass es für alles eine Zeit gebe - vielleicht sogar für knappe Kleidung."



Früher Tag des Besten Anzugs

Dass die Menschen relaxed sind und dies auch in ihrem Verhältnis zu Gott sein wollen, sei keine schlechte Sache, meint der Reverend. Doch die Kirche sei eine formelle Zusammenkunft der unterschiedlichsten Menschen, und das müsse auch in der Kleidung respektiert werden - "locker ja, verführerisch nein!". Das gelte übrigens für Männer genauso: Enge Jogginghosen gehörten in den Fitness Club. Damit kämen sie in kein gutes New Yorker Restaurant hinein - aber in das Haus Gottes? Ein weiser Priester sagte einmal: "Wir freuen uns, Sie in der Kirche zu sehen. Nur nicht so viel von Ihnen..."



Früher war der Sonntag der Tag, an dem der beste Anzug, das beste Kleid für die Messe angezogen wurde. Inzwischen hat sich der "Casual Friday" - der lässige Freitag, an dem in vielen Großraumbüros in den USA bis hin zur Wall Street zumindest die Krawatte zu Hause bleibt - zu einem "Casual Sunday" in der Kirche weiterentwickelt.



"Katholiken sind heutzutage", meint Reverend Gregory Pilcher von der Erlöserkirche in El Dorado im Bundesstaat Arkansas, "viel lockerer geworden. Aber wenn ich mein Messgewand trage, ist es vielleicht nicht zu viel verlangt, wenn auch die Gemeinde angemessen gekleidet ist." Schließlich handele es sich ja nicht "um eine Messe für Campinggeräte oder Jagdartikel, sondern um die Heilige Messe".



Blicke scharf wie Dolche

Die zu offenherzig gekleideten weiblichen Gemeindemitglieder deutlich auf den Couture-Lapsus hinzuweisen, fällt vielen Geistlichen - der verschiedensten Denominationen - nicht leicht. Zahlreiche Kirchen beklagen einen Mitgliederschwund, der nicht nur leere Kirchenbänke, sondern auch weltliche Einbußen bedeutet: In den USA gibt es im Gegensatz zu Deutschland keine vom Staat eingezogene Kirchensteuer. Die Kirchen sind vielmehr überwiegend auf Beiträge und Spenden ihrer Mitglieder angewiesen. So zögert der eine oder andere Priester, Gläubige zu verprellen.



Father Pilcher wies eine sehr durchsichtig gekleidete Teenagerin auf die Notwendigkeit hin, ihre Haut bei der Messe großflächiger zu bedecken. Nicht nur dass die junge Frau heftig widersprach - auch ihre Eltern verteidigten dem Geistlichen gegenüber das Recht ihrer Tochter, zumindest in den Sommermonaten luftig zu erscheinen. Die Familie wurde zu Pilchers Erleichterung zwar nicht abtrünnig - doch der Pfarrer verspürt seither bei der Messe zuweilen Blicke, scharf wie Dolche.