Gastkommentar zur Auflösung der Linken-Bundestagsfraktion

"Genosse Trend" war vorgestern

Nach 18 Jahren hat sich die Bundestagsfraktion der Linkspartei aufgelöst. Der Politologe Andreas Püttmann sieht darin durchaus eine Symbolkraft. Er übt aber auch Kritik an der oft verzerrten Wahrnehmung der Partei. Ein Gastkommentar.

Autor/in:
Andreas Püttmann
Bundestagsfraktion der Linken löst sich nach 18 Jahren auf / © Kay Nietfeld (dpa)
Bundestagsfraktion der Linken löst sich nach 18 Jahren auf / © Kay Nietfeld ( dpa )

Dass die Bundestagsfraktion der Partei "Die Linke" sich nun auflöst, ist nicht ohne Symbolkraft für die politischen Kräfteverhältnisse in Deutschland, Europa und der ganzen freien Welt. "Genosse Trend" war vorgestern. 

Dr. Andreas Püttmann (privat)
Dr. Andreas Püttmann / ( privat )

In vielen Ländern, auch bei uns, gibt es seit Jahren einen Rechtsruck, von dem meistens nicht die traditionellen Mitte-Rechts-Konservativen und Christdemokraten profitieren, sondern Rechtspopulisten und Neofaschisten. Die Parteien links der Mitte kommen bei uns in Umfragen zusammen gerade noch auf ein Drittel der Stimmen. 

Eine nie dagewesene Unwucht der Lager-Balance. Eine Radikalisierung gibt es zwar auch Linksaußen, doch überwiegend spielt sie sich auf der rechten Seite ab; den Radikalen dort gelingt es auch besser, sich Resonanzräume in der bürgerlichen Mitte zu eröffnen. 

Politischer Rechtstrend und die Entwicklung der Linken

Während immer größere Teile der AfD vom Verfassungsschutz beobachtet werden, gibt es bei der Linken eine gegenteilige Entwicklung. Nur kleinere Teile von ihr werden noch in Verfassungsschutzberichten erwähnt. 

Für ihren demokratischen Entwicklungsprozess steht vor allem Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow, den sich wegen seines eher sozialdemokratischen Profils sogar Christdemokraten im Notfall als Koalitionspartner vorstellen können, um die rechtsextreme Höcke-AfD von der Macht fernzuhalten. 

Dass ausgerechnet Sahra Wagenknecht, die einstige Ikone der linksextremen "Kommunistischen Plattform", sich nun Rechtsaußen einer beachtlichen Beliebtheit erfreut und nach einer Parteigründung der AfD mehr Stimmen abjagen könnte als ihrer Herkunftspartei, veranschaulicht einerseits die Sogwirkung des Rechtstrends auch ganz links; andererseits verschafft es der lange verpönten "Hufeisentheorie", wonach die politischen Ränder weniger voneinander entfernt sind als das Links-Rechts-Spektrumsdenken nahelegt, Plausibilitätsgewinne. 

Unterschiede in der Zufriedenheit

Als Infratest Dimap zum 70. Geburtstag der Bundesrepublik die Bundesbürger fragte: "Sind Sie mit der Art und Weise, wie die Demokratie in Deutschland funktioniert, alles in allem zufrieden?", erklärte sich eine Zweidrittelmehrheit "(sehr) zufrieden", Parteianhänger der Linken deutlich weniger (45 Prozent), aber dreimal so oft wie die der AfD (14 Prozent). Auf die Frage: "Wie hat sich das Grundgesetz Ihrer Meinung nach alles in allem bewährt?", meinten 30 Prozent der Bundesbürger "sehr gut", 58 Prozent "eher gut". Linken-Anhänger gaben der Verfassung mit 22 Prozent noch dreimal so oft ein "sehr gut" wie AfD-ler (7 Prozent). 

Dass Volksentscheide bessere Entscheidungen als Parlamente ergeben, meinten 50 Prozent der Linken- und 86 Prozent der AfD-Anhänger, dass Staat und Verwaltung insgesamt gut funktionieren 42 Prozent der Linken und 25 Prozent der AfD-ler. 

Nach der Bedeutung (im Sinne von Bedeutsamkeit) von Grundrechten gefragt, gaben die Antwort "sehr groß" bei der "Würde des Menschen" 85 Prozent der Linke-Wähler und 68 Prozent der AfD-ler. Signifikante Unterschiede ergaben sich auch bei der Gleichberechtigung von Mann und Frau (72:51 Prozent), dem Verbot von Diskriminierung aufgrund von Abstammung, Sprache, Religion oder politischer Einstellung (83:43), der Glaubensfreiheit (56:27) und dem Asylrecht (53:20), weniger ausgeprägt beim Recht auf Demonstration und Versammlung (62:58). 

Etwa gleich stark betonten die Anhänger der beiden Randparteien die Meinungs- und Pressefreiheit (63:64); nur beim Schutz der Wohnung und Privatsphäre kehrte sich das Verhältnis um (44:64).

Geringe Differenzierung bei AfD und Linken

Man mag das Programm der Linken wirtschafts-, innen- und gesellschaftspolitisch für verfehlt halten und ihren Pazifismus, Antiamerikanismus sowie anti-israelische Tendenzen (meist aus einer kruden Idee von "Antikolonialismus" heraus) zurückweisen. Doch unter staatspolitischen Gesichtspunkten ist die AfD die weitaus größere Gefahr als eine bei 4 Prozent dümpelnde Linkspartei, die nun im Bundestag allenfalls in ein oder zwei "Gruppen" mit weit weniger Finanzmitteln und Personal weiter existiert. 

Die unter Konservativen beliebte "Gleichsetzeritis" von AfD und Linken, die manche auch 33 Jahre nach Ende der DDR noch gern "SED" nennen, ist aus der Zeit gefallen und wissenschaftlich ignorant. Für die Lieferung von Leopard 2-Kampfpanzern an die Ukraine sprachen sich laut "Politbarometer" im Januar übrigens nur 7 Prozent der AfD-Anhänger aus, aber 31 Prozent derer der Linken. Auch wenn es prima vista paradox klingt: Jenseits ideologischer Phrasen könnte in der AfD durchaus mehr vom Geist der DDR stecken als in der "SED-Nachfolgepartei".

Christliche Bezüge

Aus christlicher Sicht wird die Linke wohl eine eher kirchenferne Partei bleiben, trotz des dezidierten Glaubensbekenntnisses ihres einzigen Regierungschefs und einer regelrechten Tradition von Wertschätzungs-Bekundungen linker Spitzenpolitiker für religiöse Gemeinwohldienste, von Gregor Gysi ("Auch als Nichtgläubiger fürchte ich eine gottlose Gesellschaft") über Oskar Lafontaine (Kirchen als Werte stabilisierende Dämme gegen eine "Gesellschaft mit einem rasanten Werteverfall") bis Dietmar Bartsch ("Ich finde, dass eine Gesellschaft ohne Glauben sehr problematisch wäre"). 

Dass es aber immer wieder Anknüpfungspunkte etwa in humanitären und sozialen Fragen gibt, machte noch vor wenigen Tagen das Linke-Vorstandsmitglied Daphne Weber auf Twitter mit einer Empfehlung deutlich, die auf Internetseiten des Vatikan verlinkte: "Ich möchte jeder und jedem diesen klaren und einfachen Text 'Laudate Deum' von Papst Franziskus @Pontifex_de über die Klimakrise, Verantwortlichkeit, Macht und einen weltzugewandten christlichen Glauben ans Herz legen. Habt einen schönen 1. Advent." Sowas bekommt man als Katholik sogar von Christdemokraten heute nicht mehr zuverlässig geboten.

Zum Autor: Dr. Andreas Püttmann ist Politikwissenschaftler und katholischer Publizist aus Bonn.

Quelle:
DR