Kirchenchöre kämpfen in der Pandemie um Mitglieder

"Ganze Jahrgänge verloren"

Immer wieder mussten Chorproben in den vergangenen zwei Jahren pandemiebedingt ausfallen. Welche Auswirkungen das auf die Kirchenmusik hat, erklärt der Vorsitzende des Verbands katholischer Kirchenmusiker und -musikerinnen.

Vor allem Kinderchöre leiden unter den Probenausfällen / © SpeedKingz (shutterstock)
Vor allem Kinderchöre leiden unter den Probenausfällen / © SpeedKingz ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Manche Chöre haben wegen der Omikron-Variante vor Weihnachten schon das Singen eingestellt. Einige Chöre pausieren nun wegen des Schulstarts. Andere fangen gerade wieder an. Wie einheitlich gehen die Chorleiter im Erzbistum Köln mit der Corona-Pandemie um?

Johannes Koop (Vorsitzender des Verbands katholischer Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker im Erzbistum Köln): Tatsächlich sehr uneinheitlich, weil vieles von der Situation vor Ort abhängt, zum Beispiel, ob die Chorleiter die Möglichkeit haben in großen Räumen zu proben. Viele gehen in die Kirchen, um mit Abständen zu proben, weil Pfarrheime zu klein sind.

Manche Chöre versuchen jetzt auch wieder online zu arbeiten, weil Proben in Präsenz zu gefährlich sind. Die Umsetzung hängt wiederum davon ab, ob die Kirchenmusiker die Möglichkeit haben, mit dienstlichen Geräten entsprechend arbeiten zu können. Viele Chormitglieder sind sehr vorsichtig und sagen von sich aus, dass sie nicht zu den Proben gehen wollen. Es wird also sehr unterschiedlich gehandhabt.

DOMRADIO.DE: Singen im Chor ist zurzeit noch erlaubt. Es ist aber mit umfangreichen Auflagen wie Tests verbunden, vor allem, wenn ohne Maske gesungen werden soll. Wie kommt das an?

Koop: Die meisten Sängerinnen und Sänger möchten gerne ohne Maske proben, weil das Singen mit Maske sehr anstrengend ist. Von daher befürchte ich, dass bei der Testpflicht viele sagen werden: “Das ist mir zu viel Aufwand, deswegen komme ich erstmal nicht”. Ich hoffe, dass das Bistum die Möglichkeit aufnimmt, zumindest Geboosterte ohne Test zu den Proben zuzulassen. Da warten wir noch auf Reaktion des Generalvikariats auf die neuen Bestimmungen des Landes.

DOMRADIO.DE: Im vergangenen Jahr waren über Monate keine Proben in großer Besetzung möglich. Wie sehr hat diese Zwangspause den Chören geschadet?

Koop: Vor allem den Kinderchören hat es immens geschadet. Wir befürchten da ganze Jahrgänge verloren zu haben. Bei den Erwachsenenchören habe ich den Eindruck, dass wir weniger Sängerinnen und Sänger verlieren werden. Momentan kommt gut ein Drittel der Sänger nicht zu den Chorproben. Aber die Erwachsenen wissen um das tolle Hobby und möchten wiederkommen, wenn die Situation es aus ihren Augen wieder zulässt.

DOMRADIO.DE: Warum haben Sie bei den Kindern ganze Jahrgänge verloren? Die könnten doch genauso gut wiederkommen.

Koop: Die Kinder sind dann in einem Alter, in dem es schwierig wird, den Anschluss zu halten. Viele Kolleginnen und Kollegen arbeiten mit Grundschulen zusammen. Wenn die Kinder in die weiterführenden Schulen kommen, verliert man sich aus den Augen. Ich selbst arbeite auch mit einer Grundschule zusammen und weiß, dass ich bestimmte Jahrgänge nicht mehr wiedersehen werde. Momentan erlaubt die Schule keine Chorarbeit. Den tatsächlichen Verlust muss man abwarten.

DOMRADIO.DE: Normalerweise muss im Bereich der Kirchenmusik sehr viel für Konzerte und Gottesdienste organisiert werden. Hinzu kommen die Chorproben. Inwiefern hat sich die Arbeit für Ihre Kolleginnen und Kollegen durch Corona verändert?  

Koop: Wir sind eine Berufsgruppe, die eigentlich sehr viel im Voraus planen muss. Gerade kann man aber nur auf Sicht arbeiten. Das war anfangs sehr schwierig und ungewohnt. Vor allem weil es jetzt schon so lange geht, ist es auch immer mehr bedrückend.

Auf der anderen Seite hatte man jetzt mal die Zeit, über andere Formen nachzudenken. Ich weiß von vielen Kolleginnen und Kollegen, die sehr kreativ damit umgegangen sind und die beispielsweise Streaming-Angebote für kleine Konzerte oder bestimmte Wortgottesdienste genutzt haben.

Neu ist auch die Arbeit mit Kleingruppen. Viele Chöre haben sich zum Proben aufgeteilt. Das ist ein neues, sehr intensives Arbeiten. Es gibt also auch viele positive Ansätze, die man in die Zeit nach der Pandemie vermutlich mitnimmt.

DOMRADIO.DE: Jetzt hat nicht nur die Corona-Pandemie den Kirchenmusikern und -musikerinnen zugesetzt. Das Erzbistum Köln kämpft mit einer Vertrauenskrise und steigenden Austrittszahlen. Spüren Sie das bei Ihrer Arbeit? Wie gehen Ihre Kolleginnen und Kollegen damit um?

Koop: Wir spüren es durch die Äußerungen von Chormitgliedern. Manche sagen, dass sie das nicht mehr mittragen können und verlassen die Chöre tatsächlich auch. Wie viele das sein werden, verschleiert die Pandemie momentan ein bisschen.

Auch die Kirchenmusikerinnen und -musiker müssen mit dieser Situation umgehen können. Ich nenne als Beispiel mal den Pastoralen Zukunftsweg. Daran waren viele Hoffnungen geknüpft. Es gab viele Kolleginnen und Kollegen, die sich da mit Herzblut eingebracht haben. Momentan hat aber Stillstand eingesetzt. Man weiß nicht wirklich, wie es weitergeht.

Und auch am Rückgang der Gottesdienstbesucher merkt man, dass viele die Kirche verlassen haben. Das betrifft auch den inneren Kern von Ehrenamtlichen. Das spüren wir Kirchenmusikerinnen und -musiker natürlich auch.

DOMRADIO.DE: Bei all diesen schwierigen Vorzeichen: Wie erhalten Sie sich die Freude an Ihrem musikalischen Tun?

Koop: Durch das Musizieren an sich. Ich habe für mich zum Beispiel die Orgel wiederentdeckt. Vorher hatte ich nicht so die Möglichkeit, mich so intensiv mit der Orgelmusik zu beschäftigen.

Aber auch die Arbeit mit den Menschen in Kleingruppen bringt sehr viel. Diejenigen, die jetzt kommen, tun das mit innerer Überzeugung und viel Motivation. Das hilft auch über diese Zeit hinweg.

Das Interview führte Heike Sicconi.


Quelle:
DR