Fundamentaltheologe sieht Synodalität als Weg aus der Krise

"Da ist echtes Potenzial drin"

Nur noch ein Bruchteil vertraut der Kirche. Für den Fundamentaltheologen Gregor Maria Hoff liegt der Weg aus der Krise darin, ein neues katholisches Profil zu stärken. Vor allem Synodalität ist für ihn da ein wichtiges Schlagwort.

Ein Bischof und eine Ordensfrau bei der Weltsynode / © Lola Gomez (dpa)
Ein Bischof und eine Ordensfrau bei der Weltsynode / © Lola Gomez ( dpa )

DOMRADIO.DE: Eine neue Studie, die gemeinsam von katholischer und evangelischer Kirche in Auftrag gegeben wurde, besagt, dass nur neun Prozent der Menschen noch Vertrauen in die katholische Kirche hat. Hat Sie dieser sehr niedrige Wert überrascht?

Gregor Maria Hoff (privat)
Gregor Maria Hoff / ( privat )

Prof. Dr. Gregor Maria Hoff (Fundamentaltheologe an der Universität Salzburg): Nein, er hat mich nicht überrascht und trotzdem schockiert. Überrascht deshalb nicht, weil die katholische Kirche in Deutschland ihr Missbrauchsproblem nicht in den Griff bekommt. Die Ursachen des systemischen Missbrauchs von Macht - sei es sexuelle Gewalt, sei es geistlicher, sei es pastoraler Machtmissbrauch - werden zwar seit vielen Jahren thematisiert und auf dem Synodalen Weg bearbeitet, aber letztlich zeigen die immer wieder neu durchschlagenden, aufkommenden Berichte aus den verschiedenen Diözesen, dass keine wirkliche Lösung gefunden worden ist.

Es gibt die erschütternden Nachrichten darüber, wie die beiden ehemaligen Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Zollitsch und Lehmann, mit dem Thema umgegangen sind. Das zerstört wirklich jedes Vertrauen. Insofern: Nein, es überrascht nicht.

DOMRADIO.DE: Zugleich sagt die Studie auch, dass die Religiosität der Menschen abnimmt. Etwas salopp wurde das bei der Vorstellung so formuliert: Glaube nein, Kirche auch nein. Wie kann die Kirche da überhaupt noch Vertrauen zurückgewinnen?

Hoff: Zunächst mal eine Voraussetzung: transparenterer Umgang mit Macht. Das, glaube ich, ist ein ganz wichtiger Aspekt. Da überschneiden sich zwei verschiedene Problemfelder, die Druck ausüben auf die katholische Kirche.

Das eine sind einfach Säkularisierungsprozesse, die zwar nicht geradlinig verlaufen, aber doch innerhalb der letzten 30 oder 40 Jahre klare Tendenzen zeigen. Die werden auch von der Kirche nicht einfach so aufgelöst werden können.

Aber das, was sie auflösen kann, ist das Machtproblem - und das überschneidet sich damit. Immerhin sind die Zahlen gegenüber der Studie vor zehn Jahren noch einmal dramatischer, also problematischer für die Kirche geworden.

Was heißt das also? Transparenter Umgang mit Macht bedeutet unter anderem auch für diejenigen, die sich mit der Kirche verbunden fühlen, mehr Gestaltungsräume. Da sehe ich in der Tat einen Ansatzpunkt für die Kirche. Denn es zeigt sich in dieser Studie auch, dass sich gerade in der Kirche Menschen viel stärker als in anderen gesellschaftlichen Räumen engagieren.

Prof. Dr. Gregor Maria Hoff

"Es braucht vor allen Dingen Authentizität, auch in der Form, in der das Evangelium verkündet wird."

Wie kann die Kirche Vertrauen gewinnen? Ich denke, es braucht vor allen Dingen Authentizität, auch in der Form, in der das Evangelium verkündet wird. Es braucht eine kulturelle Deutungskompetenz, nicht zuletzt auch für existenzielle Probleme von Menschen. Und verlangt ist auch eine kritische Anschlussfähigkeit an gesellschaftliche Entwicklungen. Gerade nicht der Selbstabschluss in Tradition! Also dort, wo sie hermetisch in sich selbst abgeschlossen wird, wo sie klerikalistisch wird, wird sie sicherlich nicht Vertrauen zurückgewinnen! Wo sie es kann und wo sie es auch jetzt erhält, ist etwa in ihrem Eintreten für soziale Gerechtigkeit, für geflüchtete Menschen, für die Bewahrung der Schöpfung. Das sind Themen und Bereiche, in denen die Kirche Vertrauen aufbaut.

DOMRADIO.DE: Schauen wir auf diejenigen, die überhaupt noch Mitglieder in der katholischen Kirche sind. Von denen haben 43 Prozent eine hohe Austrittsneigung, also über ein Drittel. Aber umgekehrt ausgedrückt, sind angesichts der Missbrauchsskandale fast 60 Prozent noch dabei. Das ist doch ein halbwegs gutes Ergebnis.

Hoff: Es ist und bleibt erst mal ein katastrophales Ergebnis. Vor diesem Hintergrund muss man sich ganz klar vor Augen führen: Was sind die Gründe dafür, neben diesen Säkularisierungsprozessen? Offensichtlich ist das die Missbrauchsstudie gewesen. Das ist etwas, das die Menschen einfach hinaustreibt und was tatsächlich auch viele, die in der Kirche sind, fragen lässt: Ist die Kirche im Stande, nicht nur dieses Missbrauchsproblem, sondern ihren Reformstau auch aufzulösen?

Aber es gibt nach wie vor auch eine recht starke Kirchenbindung derjenigen, die Sie gerade eben genannt haben. Knapp 60 Prozent, die nicht austreten wollen. Das ist eine sehr belastbare Zahl und damit kann man etwas machen.

Prof. Dr. Gregor Maria Hoff

"Das Evangelium lässt sich nicht glaubwürdig von einer Kirche vermitteln, die systemischen Missbrauch zulässt."

Das muss allerdings auch konsequent umgesetzt werden. Diese Zahlen sind dramatisch genug, weil deutlich wird: Das Evangelium von der Menschenliebe Gottes lässt sich nicht glaubwürdig von einer Kirche vermitteln, die systemischen Missbrauch zulässt und intern kein glaubwürdiger Anwalt für Menschenrechte ist. Stichwort Frauen, Stichwort queere Menschen.

DOMRADIO.DE: Sie sprachen gerade mehrfach die Reformen an. Fast 100 Prozent der Mitglieder wollen, dass es Reformen gibt, ein anderes Frauenbild, Mitbestimmung bei der Wahl kirchlicher Führungspersonen et cetera. Aber das Reformprojekt Synodaler Weg, das diese Punkte auf der Agenda hat, wurde vom Vatikan immer wieder kritisiert und zum Teil auch ausgebremst. Was hat das Ergebnis dieser Studie jetzt im Umkehrschluss für Folgen? Was bedeutet das für die Verantwortlichen in Deutschland, zum Beispiel die Bischöfe?

Hoff: Zum einen sind die Zahlen doch etwas disparat präsentiert in der Studie. Sieben Prozent stimmen voll zu, 52 Prozent stimmen eher zu, dass Reformen in der Kirche richtig sind. Es gibt aber auch einen nicht unerheblichen Teil, der es als problematisch ansieht. Was heißt das? Es gibt ganz objektiv einfach auch Spannungen in dieser Kirche. Das ist etwas, das sicherlich auch noch mal für weitere Reformschritte eine Herausforderung, auch ein Problem darstellt.

DOMRADIO.DE: Also Reformen ja, aber zum Beispiel keine Frauen als Priester?

Hoff: Zum Beispiel. Das ist jetzt nicht genau differenziert, soweit ich das auf den ersten Blick gesehen habe, aber es gibt auch unterschiedliche Reformagenden.

Der zweite Punkt, den Sie ansprechen, und das betrifft Rom, ist einer, der ja selber im Aufbruch sich befindet. Die deutschen Bischöfe haben bei ihrem Ad-limina-Besuch vor einem Jahr die Leviten gelesen bekommen und vor ihrer letzten Vollversammlung vor dem Synodalen Weg im Februar noch mal eindringlich vom Nuntius gehört.

Zum Beispiel ist es ausgeschlossen, dass so etwas wie ein Synodaler Rat installiert wird. Es ist ausgeschlossen, dass Nicht-Bischöfe und nicht zuletzt auch Frauen auf Synoden mitbestimmen können. Aber genau das hat der Papst ermöglicht. Der synodale Prozess, der jetzt in Rom sich vollzogen hat und weiter vollzieht und nächstes Jahr in die Endkurve einbiegt, ist nicht nur in den Themen in mancherlei Hinsicht verwandt mit dem, was der Synodale Weg getan hat, sondern er eröffnet neue Reformperspektiven. Da ist echtes Potenzial drin. Da, glaube ich tatsächlich, da sind Chancen.

DOMRADIO.DE: Jetzt sagt der Papst aber auch, dass wir keine zweite evangelische Kirche in Deutschland brauchen, zum Beispiel wenn es um die Wahl kirchlicher Ämter geht. Wie kann sich die katholische Kirche erneuern, ohne an Profil zu verlieren?

Hoff: Diese sehr böse und theologisch nicht sonderlich durchdachte Rede von der zweiten evangelischen Kirche macht nicht fürchterlich viel Sinn. Wenn eins doch auf dem Synodalen Weg in Deutschland klar war, dann dass gerade auch den Bischöfen eine hohe Bedeutung zugesprochen wird, die sie aber auch tatsächlich einlösen müssen.

Die Krise der katholischen Kirche hat auch viel mit einer Bischofskrise oder Krise des bischöflichen Amtes zu tun. Diese Parallele zur evangelischen Kirche an diesem Punkt ist einfach unterkomplex. Manchmal hört man von Franziskus eben so einen Spruch, den er spontan heraushaut.

Wie kann sie ihr Profil schärfen? Das ist genau die Frage: Worin liegt dieses Profil? Dieses Profil besteht doch darin, dass sie die Botschaft vom Reich Gottes vermittelt. Das heißt, ihr Raum gibt. Sakramente als Zeichen dieses Lebens zu setzen: nah bei den Menschen sein. Dafür bietet Kirche vor Ort Chancen. Aber das geht nur, wenn man auch in menschenrechtsbasierten Fragen erkennen lässt: Die Botschaft vom Reich Gottes ist eine, die den Menschen Nähe Gottes bringt.

DOMRADIO.DE: Aber die Botschaft vom Reich Gottes zu verkünden, nehmen auch andere Konfessionen in Anspruch. Was macht gerade das katholische Profil aus? Nur die Sakramente?

Hoff: Zunächst einmal ist es ein ökumenisches Profil, und das halte ich für sehr wichtig. Das wird auf Dauer auch sehr viel stärker werden. Diese Studie ist selber ein kleines ökumenisches Projekt.

Das katholische Moment darin ist tatsächlich auch, den Zusammenhang von Schrift und Tradition noch einmal neu zu buchstabieren und die Dynamik von Tradition zur Geltung zu bringen.

Schrift und Tradition bilden für die katholische Theologie einen anderen Zusammenhang als in der evangelischen Theologie. Das ist ein Wechselwirkungszusammenhang, sich auf eine Dynamisierung von Traditionen hin zu entwickeln, also die Spielräume dort zu entwickeln. Das ist urkatholisch.

Prof. Dr. Gregor Maria Hoff

"Vielleicht ist es manchmal auch hilfreich, dass der römische Katholizismus an Profil verliert."

Es geht weniger darum möglichst stark das Amt auszubauen. Vielleicht ist es manchmal auch hilfreich, dass der römische Katholizismus an Profil verliert, dafür aber ein wirklicher, umfassender Katholizismus gewinnt, der auch in Gegensätzen Einheit herzustellen und zu bewahren vermag. Das halte ich für katholisch.

DOMRADIO.DE: Also katholisch als allumfassend.

Hoff: Das ist vielleicht ein neues Profil von katholischer Kirche, sich als synodal auch zu entdecken. Das muss nicht in der Abgrenzung zur evangelischen Kirche sein. Das katholische Profil kann viel stärker auch ökumenisch werden.

DOMRADIO.DE: Schauen wir zum Abschluss noch mal auf unsere Gesellschaft in Deutschland. Immerhin gibt es da noch einige positive Ansätze. Die Studie sagt, dass die Kirchen immer noch eine wichtige zivilgesellschaftliche Rolle spielen und die Demokratie stärken. Wie kann hier die katholische Kirche anknüpfen und vielleicht auch wieder attraktiver für die Menschen insgesamt werden? Auch für die Menschen in Deutschland, die nicht zur katholischen Kirche gehören?

Hoff: Ein gutes Beispiel sind katholische Schulen, auch mithin der Religionsunterricht. Offene Räume anzubieten, in denen man in Kontakt kommen kann mit dem, wofür die katholische Kirche letztlich auch steht.

Offene Glaubensräume zu entwickeln, zum Beispiel wenn es um das Thema Schöpfung geht. Das ist nicht eine klare Zuordnung zu einer Kirchenmitgliedschaft. Aber die ganzen spirituellen Kompetenzen, die die Kirche in ihrer Tradition hat, mit ihren Liturgien hat, näher an die Menschen heranzubringen. Das ist kein pastorales, durchkomponiertes Programm, aber hier muss man gesellschaftliche Relevanz nicht erst erzeugen, hier kann man sie einfach abrufen.

Ein anderes Beispiel ist der Kampf gegen Antisemitismus. Da kann und hat auch die katholische Kirche in Deutschland echte Zeichen gesetzt. Überall dort, wo Ausschließungsprozesse sich vollziehen, kann die Kirche Anwalt der Schwächsten und Ärmsten sein. Das ist etwas, wo Gestaltungsräume in gesellschaftlicher, politischer und kultureller Hinsicht wirksam werden können.

Das Interview führte Jan Hendrik Stens.

Wichtige Daten aus der Mitgliederstudie der Kirchen im November 2023

Die katholische und die evangelische Kirche in Deutschland haben erstmals eine gemeinsame Mitgliederuntersuchung vorgelegt. Forsa hatte dafür im Herbst 2022 insgesamt 5.282 repräsentativ ausgewählte Menschen über 14 in Deutschland befragt. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) nennt wichtige Zahlen und Fakten aus der Studie:

Gottesdienstbesucher / © Corinne Simon (KNA)
Gottesdienstbesucher / © Corinne Simon ( KNA )

 

Quelle:
DR