Für den MS-kranken Künstler Maximilian Dorner ist Schweigen das Schlimmste

Kampf gegen eiskalte Scham

Vor vier Jahren ist der Schriftsteller Maximilian Dorner an Multiple Sklerose erkrankt. Heute ist er behindert - und weiterhin erfolgreich. In seinem neuen Buch seziert er nun Scham und Peinlichkeit aus der Perspektive von behinderten und nicht behinderten Menschen.

Autor/in:
Verena Mörath
 (DR)

Ein rasanter Lebenslauf: Mit zwölf Jahren sitzt Maximilian Dorner schon an der Schreibmaschine und produziert unzählige Sehnsuchtsgedichte, mit 19 Jahren inszeniert er sein erstes Theaterstück, später produziert er Hörspiele und studiert Dramaturgie. 2007, er ist 34 Jahre alt, wird sein Roman "Der erste Sommer" mit dem Bayerischen Kunstförderpreis ausgezeichnet. Aber zu diesem Zeitpunkt hat sich in seinem Leben längst alles verändert, denn ein Jahr zuvor wurde bei ihm Multiple Sklerose, eine unheilbare Nervenkrankheit, diagnostiziert.

Heute ist der Dramaturg, Autor und Lektor Maximilian Dorner behindert - und weiterhin erfolgreich. Ohne Gehstock, Krücken oder Rollstuhl kann er sich nicht mehr fortbewegen. Doch er hat früh damit begonnen, seinen eingeschränkten Lebensalltag öffentlich zu machen und schon 2008 das Buch "Der Dämon ist ein Stubenhocker. Tagebuch eines Behinderten" publiziert. Hier zeigt sich Dorner mal trotzig und zornig, mal traurig und leise, stets aber auch humoristisch und komisch.

Ohne Larmoyanz beschreibt er die Probleme, seien sie zwischenmenschlicher oder ganz praktischer Art, die sein Leben bestimmen. Aber mit einem Gefühl wird er trotz der Offenheit im Umgang mit seinen Behinderungen nicht fertig: mit seiner Scham. Mit der Scham der anderen. Mit der Scham, die das Verhältnis zwischen Nichtbehinderten und Behinderten prägt.

In seinem neuen Buch "Ich schäme mich. - Ein Selbstversuch" seziert Dorner deshalb die Scham und die Peinlichkeit aus der Perspektive von behinderten und nicht behinderten Menschen. "Der Satz, ich schäme mich, ist für mich ganz zentral geworden, seit ich behindert bin. Es ist diese eiskalte Scham, die meinen Handlungsspielraum so eingeengt hat", begründet Dorner seine Themenwahl.

Gleich einem Jäger und Sammler war Dorner bei Bekannten und Freunden, bei seiner Familie und bei Unbekannten, gar in der Bibel unterwegs, experimentierte mit sich selbst und seiner Scham, um das Phänomen des Schämens zu beobachten, darüber zu reden und vor allem um sich zu überwinden, diesen einen Satz auszusprechen: Ich schäme mich, weil ich behindert bin. "Das hätte ich früher nie gewagt zu denken, gar auszusprechen", erinnert sich Maximilian Dorner.

Als Leserin ist man sofort mittendrin in Dorners Alltag und Erleben: Wenn er mit seinen engsten Freunden spricht, wenn er sich dem Postboten nackt zeigt oder wenn er einen Discobesuch wagt und verzweifelt, wenn er sich mutlos im Bett verkriecht und dann doch wieder ins Leben eintaucht. "Die Art und Weise, wie ich schreibe, ähnelt immer mehr dem Fotografieren", meint Dorner. Denn Fotografieren bedeute Hinschauen und nicht Wegschauen und den Blick aus Scham nicht zu senken.

Für ihn ist die Scham und das Ignorieren der Scham schuld daran, dass die Menschen mit Behinderungen so verkrampft umgehen. "Ich habe gelernt, mir meine Hilflosigkeit in vielen Situationen anzuschauen und Hilfe einzufordern, aber auch Hilfe abzulehnen, wenn ich mich bevormundet fühle", sagt Maximilian Dorner.

Aber sein Buch handelt gar nicht nur von ihm. Er falle zwar besonders durch sein unsicheres Gehen auf, sagt der Scham-Beobachter. Aber jeder Mensch sei in irgendeiner Weise - wenn auch nicht sichtbar körperlich - behindert, gar mehr als er, und schäme sich dafür. Für Dorner war die Auseinandersetzung mit der Scham auf jeden Fall ein Gewinn: "Ich schäme mich. - Das kann ich nun aussprechen, ohne den Blick zu senken. Wie schon gesagt, ein unscheinbares Geschenk, aber tröstllich", schreibt er am Ende seines Buchs.