Friedensnobelpreisträgerin Menchú wird 50

Stimme der Urvölker

In Lateinamerika herrscht ein hartnäckiger Rassismus gegenüber der eigenen Urbevölkerung. Die Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchú gilt bei ihren Anhängern als die authentische Stimme der unterdrückten Indianer.

Autor/in:
Matthias Knecht
 (DR)

Doch bei ihrem eigenen Volk, den Maya-Nachfahren Guatemalas, ist die Menschenrechtsaktivistin, die heute alt wird, zunehmend isoliert. Die Angestellten des Luxushotels im mexikanischen Badeort Cancún staunten nicht schlecht, als ihnen klar wurde, wen sie da soeben voreilig vor die Tür gesetzt hatten. Die vermeintliche Straßenhändlerin, wie immer in bunter Indiotracht, war Rigoberta Menchú, Friedensnobelpreisträgerin und damals gerade Präsidentschaftskandidatin Guatemalas. Die Regierung Mexikos hatte sie eingeladen.

Auf dem internationalen Parkett ist Menchú indes erfolgreich wie kaum eine andere Lateinamerikanerin. 1986 wurde sie Beraterin der Vereinten Nationen für die Rechte der Urvölker. Weitere UN-Mandate folgten. 1992 erhielt sie den Friedensnobelpreis für ihren Einsatz für soziale Gerechtigkeit in Guatemala. Dort wirkte sie schließlich an der Beendigung des über 30-jährigen Bürgerkrieges im Jahr 1996 mit, mit Sicherheit ihr größter Erfolg im eigenen Land.

1999 machte sie erneut weltweit Schlagzeilen. Sie verklagte in Spanien acht frühere Juntachefs und Offiziere Guatemalas wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Denn 200.000 Menschen waren im Bürgerkrieg getötet worden. Die meisten waren Indios, wie auch Menchús Eltern.

Internationale Aufmerksamkeit durch Autobiografie
Erste internationale Aufmerksamkeit erhielt Menchú durch ihre Autobiografie "Rigoberta Menchú, Leben in Guatemala", die 1983 erschien. Darin verknüpft sie ihre eigene Geschichte mit dem Schicksal eines ganzen Volkes. Sie erzählt von ihrer Kindheit als Tochter eines armen Arbeiters, die nie in die Schule gehen durfte, weil sie bereits mit fünf Jahren auf den Kaffeeplantagen schuften musste. Mehrere Brüder starben an Unterernährung, durch den Umgang mit Planzengiften oder wurden von der Armee ermordet.

Nach Erscheinen des Buches wurde Menchú weltweit eingeladen und machte den Genozid in Guatemala an der Urbevölkerung zum Thema. Doch
1999 kam heraus, dass Menchús Geschichte in Teilen erfunden war.

Gemäß dem US-amerikanischen Anthropologen David Stoll war Menchús Vater ein relativ wohlhabender Großgrundbesitzer. Sie verbrachte mindestens acht Schuljahre in einem katholischen Internat.
Unglaubhaft ist nach Stolls Recherchen auch die Beschreibung des Todes ihrer Brüder.

Skepsis in der Heimat, Verehrung im Ausland
Im Ausland taten diese Ungereimtheiten Menchús Popularität kaum Abbruch, war sie doch bereits eine Ikone. Dies zeigt sich auch in der Interpretation Stolls, der darauf hinweist, dass Menchús Autobiografie für das Schicksal vieler Ureinwohner stehe: Auch wenn das Buch nicht Menchús eigenes Leben abbilde, so hätten doch viele Menschen das beschriebene Schicksal erlitten.

In ihrer Heimat rief Menchús internationaler Erfolg immer mehr Skepsis hervor. Dies musste sie schmerzhaft erfahren, als sie 2007 für die Präsidentschaft Guatemalas kandidierte. Die erste Nachfahrin der Mayas, die sich für das höchste Staatsamt bewarb, erhielt mit nur 3,1 Prozent der Stimmen eine unerwartet deutliche Abfuhr.

"Die Menschen zollen ihr Respekt für den Friedensnobelpreis. Sie sehen sie aber nicht als Politikerin", erläutert der guatemaltekische Politologe Manfredo Marroquín. Denn die Frau in der bunten Tracht bewegt sich zwar selbstbewusst zwischen New York und Genf, wird zu Hause jedoch von keiner eigenen Organisation gestützt. Im Wahlkampf paktierte sie mal mit den Linken, mal mit den Rechten. Und so wiederholte sich für die Maya-Aktivistin die Hotel-Erfahrung von
Cancún: Niemand wusste so recht, wer sie ist und wofür sie steht.

Doch von der Wahlniederlage zeigte sich Menchú ebenso unbeeindruckt wie von der Diskussion um ihr Buch - sie macht unbeirrt weiter. Erst vergangenen Monat kündigte sie an, mit einer eigenen politischen Organisation bei den nächsten Wahlen "mit mehr Kraft" anzutreten. Das wird voraussichtlich 2011 sein.