Friedensbewegung und Kirchen kritisiert Reaktionen auf Tod bin Ladens

Kein Jubel

Die Friedensbewegung in Deutschland hat die Reaktionen der Politik auf den Tod Osama bin Ladens kritisiert. "Wenn die Tötung eines Menschen, wie groß auch seine Verbrechen sein mögen, von westlichen Politikern mit Erleichterung aufgenommen und gefeiert wird, begeben sie sich auf das Niveau derjenigen Terroristen, denen ein Menschenleben nichts wert ist", erklärte der Bundesausschuss Friedensratschlag am Dienstag in Kassel.

 (DR)

Sein Sprecher Peter Strutynski betonte, der von US-Präsident Georg W. Bush nach dem 11. September 2001 angeordnete "Rachefeldzug" in Afghanistan habe ein Vielfaches an Toten gekostet als der Anschlag auf das World Trade Center. Auch könne nach dem Tod bin Ladens nicht von mehr Sicherheit die Rede sein. In Afghanistan, Pakistan und anderen Ländern hätten sich Terrororganisationen während des 10-jährigen "Krieges gegen den Terror" weiter verbreitet und zahlreiche Regionen destabilisiert. "Ein Ende dieser Entwicklung ist mit der Ausschaltung einer terroristischen Führungsperson nicht zu erwarten."



Die Friedensbewegung forderte ein sofortiges Ende des Afghanistan-Krieges. Nach dem Tod des El-Kaida-Chefs sei ein Hauptgrund für den Afghanistan-Feldzug entfallen. "Zeit also, ihn sofort zu beenden! Leider ist davon in keiner Regierungs-Stellungnahme die Rede", so Strutynski.



Der Vatikan hofft, dass bin Ladens Tod nicht weitere Hassausbrüche auslöst. Bin Laden trage schwerste Verantwortung für Spaltungen und Hass zwischen den Völkern, die den Tod zahlloser Menschen verursacht hätten, erklärte Vatikansprecher Federico Lombardi am Montagmorgen. Er habe die Religion für seine Zwecke instrumentalisiert. Dennoch sei der Tod eines Menschen für einen Christen niemals Grund zur Freude. Vielmehr gelte es, über die große Verantwortung eines jeden vor Gott und den Mitmenschen nachzudenken, so der Vatikansprecher.



Die Deutsche Bischofskonferenz sieht wie der Vatikan in der Tötung von Terrorführer Osama bin Laden keinen Grund zur Freude. "Wir schließen uns da den Äußerungen von Vatikan-Sprecher Federico Lombardi an", sagte eine Sprecherin der Bischofskonferenz am Dienstag in Bonn.



Freiburger Moraltheologe sieht Freude über bin Ladens Tod kritisch

Auch der Freiburger Moraltheologe Eberhard Schockenhoff sieht Äußerungen der Freude über die Tötung des Terroristen Osama bin Laden kritisch. Zwar seien solche Reaktionen zunächst verständlich, der Tod eines Menschen könne jedoch aus christlicher Sicht niemals ein Grund zur Freude sein, sagte Schockenhoff im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dapd. "Denn jeder Mensch ist ein Geschöpf Gottes, sein Leben ist wertvoll", erläuterte der Theologe.



Man könne aber Freude darüber empfinden, dass mit der Tötung bin Ladens der Gerechtigkeit genüge getan worden sei. Denn bin Laden sei als Stratege hinter den Anschlägen von 11. September 2001 ein menschenverachtender Massenmörder gewesen, sagte Schockenhoff, der auch stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Ethikrats ist.



Dass Menschen in den USA öffentlich bin Ladens Tod feierten, erscheine aus der Ferne zwar irritierend. Dennoch hält Schockenhoff diese Reaktion aus psychologischer Sicht für verständlich. Für die USA seien die Terroranschläge eine große Demütigung gewesen. "Das hat Amerikas Seele tief verletzt", sagt der Theologe.



Rachegefühle seien jedoch abzulehnen, da sie zu Gegengewalt führten. "Die Antwort der christlichen Ethik auf erlittenes Unrecht ist Vergebung und Verzeihung." Dies sei zwar besonders bei großer emotionaler Anspannung sehr schwer. Rachegefühle dürften aber in solchen Momenten nicht das letzte Wort sein.



Katholischer CDU-Arbeitskreis: Kein Jubel über Tötung von bin Laden

Die Tötung des Topterroristen Osama bin Laden ist auch für den Arbeitskreis Engagierter Katholiken in der CDU (AEK), kein Grund zum Jubel. Der Sprecher des Arbeitskreises, Martin Lohmann, sagte am Dienstag der Nachrichtenagentur dapd in Köln, er sei froh, dass dieser "böse Mensch" nicht mehr da sei und freue sich, wenn dadurch die Welt sicherer werde. Freude über die Tötung eines Menschen könne er aber nicht empfinden. "Das Lebensrecht ist unteilbar und gilt für alle Menschen", sagte Lohmann.



Er hätte es besser gefunden, wenn bin Laden gefangenen genommen und einer gerechten Strafe zugeführt worden wäre. Nun bestehe die Gefahr, dass der getötete Al-Kaida-Führer von Islamisten zum Märtyrer erkoren werde.



Westfälischer Präses kritisiert Tötung

Der westfälische Präses Alfred Buß hat die Tötung von Terroristenführer Osama bin Laden kritisiert. Gewalt anzuwenden, um Gewalt aus der Welt zu schaffen, sei eine verhängnisvolle Logik, sagte Buß der in Bielefeld erscheinenden "Neuen Westfälischen" (Dienstagsausgabe). Er bezweifele, dass der Tod bin Ladens die Welt friedlicher mache.



Für Christen gelte das fünfte Gebot "Du sollst nicht töten", hob der 64-jährige Theologe Buß hervor. In wenigen eng begrenzten Fällen - wie bei einem Tyrannenmord oder um einen Amokläufer zu stoppen - könne man zwar zu der Einsicht kommen, dass es ethisch geboten sei, sich über dieses Gebot hinwegzusetzen. "Dass ich dabei in jedem Fall schuldig werde, steht außerfrage", betonte der leitende Theologe der Evangelischen Kirche von Westfalen.



Bin Laden sei zweifellos für Terroranschläge und gezielten tausendfachen Mord verantwortlich, erklärte Buß. "Ob sein Tod aber das Töten beendet oder eher forciert, ist offen." Die Ursachen des Terrors seien noch längst nicht besiegt, wenn seine Symbolfigur weg sei, sagte der oberste Repräsentant der viertgrößten evangelischen Landeskirche in Deutschland. "Das Feindbild ist weg, nicht aber die Bedrohung."



Ströbele sieht Tötung bin Ladens skeptisch

Der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele sieht die Tötung Osama bin Ladens skeptisch. Wenn es eine Aktion gewesen sei, "die nur auf die Tötung von Osama bin Laden ausgerichtet war, dann war es eine außerordentliche Hinrichtung", sagte Ströbele am Dienstag im Deutschlandfunk. "Die ist meiner Auffassung nach weder mit einem Grundgesetz noch mit Völkerrecht zu vereinbaren." --
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Es wäre wesentlich besser gewesen, einen Prozess gegen bin Laden stattfinden zu lassen, "in dem man die Hintergründe, seine Rolle, die Rolle von Al Kaida hätte beleuchten können". Es gebe ein Recht auf Notwehr des Einzelnen und des Staates, sagte Ströbele. Aber bin Laden habe nach allem, was man wisse, keine Rolle mehr für den aktiven Terrorismus gespielt. "Er war ja offenbar von der Außenwelt sehr weitgehend abgeschnitten."



Helmut Schmidt ruft zum Dialog mit Muslimen auf

Altbundeskanzler Helmut Schmidt hat vor einem Zusammenprall muslimischer und christlich geprägter Kulturen gewarnt. Ein Grund dafür sei, dass den Menschen in westlichen Gesellschaften wie Deutschland jahrzehntelang beigebracht worden sei, auf Muslime herabzuschauen, sagte der SPD-Politiker in der ARD-Sendung "Beckmann" am Montagabend in Hamburg. Daher sei ein Dialog mit dem Islam dringend erforderlich. Diese Überzeugung setze sich inzwischen auch im Vatikan durch, sagte Schmidt. Wünschenswert sei, dass nicht nur die obersten Verantwortlichen der Kirche, sondern "jeder Priester, jeder Pastor" vor Ort das Gespräch mit den muslimischen Nachbarn suche.



Global gesehen seien islamisch dominierte Gesellschaften zumeist ärmer, aber auch deutlich jünger und im Gegensatz zur westlichen Welt auf Wachstumskurs. "Es gibt mindestens 1,3 Milliarden Muslime auf der Welt, rund 50 Staaten sind muslimisch geprägt. Es wäre ein Wunder, wenn es nicht auf die eine oder andere Weise zu einem Zusammenwirken dieser Staaten käme", sagte der Politiker. Er bedauerte, es sei viel zu wenig bekannt, dass Juden wie auch Christen und Muslime im Grunde die gleichen Grundwerte und Gebote hätten. Dies sollte an deutschen Schulen deutlicher vermittelt werden, um das Verständnis zwischen den Religionen zu verbessern.



Über seine eigene religiöse Haltung berichtete der evangelische Christ, er habe als Soldat im Krieg gelegentlich gebetet, doch könne er inzwischen nicht mehr an die Gerechtigkeit Gottes glauben, weil dieser zu viele Grausamkeiten zugelassen habe. Er und seine im Oktober gestorbene Frau Loki hätten 1942 kirchlich geheiratet, weil sie die Hoffnung gehabt hätten, dass die Kirchen nach dem Krieg für einen gesellschaftlichen Neuanfang mit Anstand und Grundwerten sorgen würden. "Später haben wir gemerkt, dass die Kirchen darauf innerlich nicht vorbereitet waren", sagte der 92-Jährige. In die Kirche ziehe es ihn vor allem wegen der Kirchenmusik. Besonders schätze er Gregorianischen Gesang und die Musik Johann Sebastian Bachs. "Am liebsten ist es mir, wenn seine Kantaten und Passionen auf Latein gesungen werden, weil ich den Text dann nicht verstehe", sagte der Altkanzler.