Frauenrechtlerin kritisiert fehlende Solidarität mit Juden

"Das Schweigen tut schon weh"

Solidarität mit Jüdinnen und Juden in Deutschland ist nach Worten der Frauenrechtlerin Seyran Ates schon immer so gering gewesen wie in diesen Tagen. Dies sei nur nicht ausgesprochen worden. Antisemitismus sei schon immer da gewesen.

Kundgebung gegen Antisemitismus / © Maja Hitij (dpa)
Kundgebung gegen Antisemitismus / © Maja Hitij ( dpa )

Nur aktuell breche er hervor, sagte die Gründerin einer liberal ausgerichteten Berliner Moschee am Donnerstag im Deutschlandfunk. 

Friedliche Koexistenz sei Schönmalerei

"Das Schweigen ist tatsächlich so laut, dass es schon wehtut", sagte Ates. Es sei das Schweigen vieler Menschen, die in den vergangenen Jahrzehnten der Ansicht gewesen seien, dass es zwischen Judentum, Islam und Christentum eine gute Koexistenz und einen ebensolchen interreligiösen Dialog gegeben habe. Ates kritisierte "Schönmalerei" und "Sonntagsreden".

Unter Polizeischutz: Seyran Ates / © Maurizio Gambarini (dpa)
Unter Polizeischutz: Seyran Ates / © Maurizio Gambarini ( dpa )

Sie fragte, ob man Feindlichkeit gegen Muslime und Juden etwa gegeneinander aufrechnen solle. Es sei doch vielmehr so: "Jeder einzelne Mensch, der angefeindet wird, ist es wert, dass wir uns dafür einsetzen, dass er nicht angefeindet wird."

Rassismus und Judenhass sind strukturelle Probleme

Der jüdische Publizist Michel Friedman sagte in demselben Interview im Deutschlandfunk mit Blick auf die Stimmung in der deutschen Gesellschaft: "Es ist ein aufgeregtes, es ist ein nervöses, es ist ein unsicheres Klima." Auf der einen Seite seien Menschen gleichgültig, wenn Judenhass auf den Straßen mehr und mehr offenbar werde. Auf der anderen Seite engagierten sich aber auch Menschen gegen Antisemitismus - dies sei allerdings der kleinere Teil.

Michel Friedman bei einer Demonstration für Pressefreiheit in Mainz / ©  Kristina Schaefer (epd)
Michel Friedman bei einer Demonstration für Pressefreiheit in Mainz / © Kristina Schaefer ( epd )

Sowohl Rassismus als auch Judenhass seien strukturelle Probleme, betonte Friedman. Es sei ebenfalls zu beobachten, dass sich der Grad an Toleranz gegenüber Minderheiten deutlich verschlechtere. Man dürfe aber nie vergessen, dass Angehörige von Minderheiten Menschen seien.

Steigende Feindlichkeit 

Der Publizist sprach auch von einer "Hasspartei" in Deutschland, die immer mehr Stimmen bekomme. Dieser Prozess werde sich vermutlich bei den im nächsten Jahr anstehenden Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen fortsetzen.

Ates monierte den Umgang demokratischer Parteien mit Menschen, die Kritisches zum Beispiel zum Thema Migration gesagt hätten. Dann habe es stets geheißen, man wolle nicht die AfD bedienen. Stattdessen hätte man sich ansehen müssen, woher Feindlichkeiten gegenüber bestimmten Gruppen gekommen seien.

Religion ist oft nicht Grund für Antisemitismus

Antisemitismus unter Musliminnen und Muslimen in Deutschland ist einer Untersuchung zufolge häufig eher eine Folge konservativ-autoritärer Einstellungen als der Religion an sich. Auch gebe es Hinweise, dass regionale beziehungsweise nationale Diskurse einen stärkeren Einfluss auf negative Einstellungen gegenüber Jüdinnen und Juden hätten als religiöse Zugehörigkeit. So zeigten zum Beispiel auch Menschen christlichen Glaubens entsprechende Ressentiments.

Antisemitismus: Juden in Deutschland sehen wachsende Bedrohung / © Arne Dedert (dpa)
Antisemitismus: Juden in Deutschland sehen wachsende Bedrohung / © Arne Dedert ( dpa )
Quelle:
KNA