DOMRADIO.DE: Wie finden Sie denn persönlich den Rückzug von Annegret Kramp-Karrenbauer?
Dr. Claudia Lücking-Michel (Vizepräsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken und CDU-Mitglied): Ich persönlich finde den Rückzug von Annegret Kramp-Karrenbauer sehr bedauerlich. Als ich das gestern gehört habe, bin ich einerseits aus allen Wolken gefallen, andererseits hat es mir sehr leid getan. Und zwar vor allen Dingen um unsere Partei und auch für die Zukunft unseres Landes.
Irgendwie ganz versteckt im hintersten Winkel des Herzens fragt man sich aber auch, wie lange hätte Frau Kramp-Karrenbauer AKK das alle denn noch mit sich machen lassen müssen? Ist es nicht auch verständlich, wenn jemand die Sachen einfach hinwirft?
DOMRADIO.DE: Sie hatte einfach zu wenig Autorität in der eigenen Partei. Diese Einschätzung haben wir jetzt immer wieder gehört. Teilen Sie die?
Lücking-Michel: Ja, unter dem Strich muss man sagen, sie hatte zu wenig Autorität. Die Frage ist natürlich, warum das so war? Ob man Autorität hat oder nicht, ob man erfolgreich agieren kann oder nicht, das hängt natürlich an den eigenen persönlichen Voraussetzungen und Fähigkeiten.
Aber es hängt andererseits auch immer daran, wie viel Kompetenz und Autorität einem zugeschrieben wird. Frauen müssen da gegen einen ganz anderen Berg anarbeiten, als Männer. Von daher ist ihr vieles auch wirklich schwerer gemacht worden, als es nötig gewesen wäre.
DOMRADIO.DE: Glauben Sie denn, dass ein Mann in dieser Situation jetzt auch anders gehandelt hätte? Hätte ein Mann das Ganze vielleicht eher ausgesessen?
Lücking-Michel: Es hängt immer an jeder einzelnen Person und wir haben auch schon genügend Männer erlebt, die dann überraschend in schwierigen Situationen zurücktreten. Aber ich glaube, es gibt auch vieles, was vielleicht typisch für Frauen ist. Zum Beispiel, dass sie manches sehr, sehr persönlich nehmen, an sich nagen lassen und die Selbstzweifel füttern lassen, wo der Mann doch eher darüber wegwischt und sagt, das seien halt die Umstände.
Was aber absolut typisch für Frauen ist, dass sie jetzt sagt: "Ich stelle mich in den Dienst der Partei, um das Nachfolgeverfahren gut zu moderieren." Sie verzichtet auf eine Kanzlerkandidatur und wird auf Dauer dann konsequenterweise auch den Parteivorsitz aufgeben. Offensichtlich braucht es dringend jemanden an der Parteispitze, der das gut regeln und moderieren kann. Aber den Mann suche ich noch, der in so einer Situation für sich sagen würde: "Ich kandidiere nicht mehr, aber ich stelle mich in den Dienst der Partei und versuche das Verfahren, was jetzt nötig ist, noch gut zu moderieren."
DOMRADIO.DE: Die AfD, so haben wir es erlebt, blickt mit Genugtuung auf den Rückzug von Annegret Kramp-Karrenbauer. Ist das nicht auch ein problematisches Signal, sich von den Rechten treiben zu lassen?
Lücking-Michel: Das ist natürlich ein problematisches Signal, was die Partei in Thüringen, die CDU insgesamt und auch die ganze Parteienkonstellation jetzt von sich abgibt. Das würde ich aber auf keinen Fall der Parteivorsitzenden zuschreiben.
Da sind wirklich die bisherigen Volksparteien, die großen wie die kleinen Parteien, der AfD voll auf den Leim gegangen. Das ärgert mich an dem Vorgang überaus maßlos, dass die lachenden Dritten jetzt in Talkshows sitzen, grinsen und darauf warten, dass es für sie mehr Prozentpunkte einbringt.
DOMRADIO.DE: Schlagen wir mal die Brücke zu Ihnen. Sie selbst sind ja 2017 nicht mehr in den Bundestag gewählt worden. Können Sie es vor diesem Hintergrund vielleicht nachfühlen, wie es ist, keinen Rückhalt mehr zu haben?
Lücking-Michel: Meine Situation war zwar nicht vergleichbar. Ich habe mich zur Wahl gestellt und bin nicht gewählt worden. Aber ich weiß, das ist eine bittere Erfahrung, sehr bitter. Ich habe große Pläne gehabt, was ich weiterhin im Bundestag mit den angesammelten Erfahrungen und Vorarbeiten produktiv erreichen wollte. Ich habe dann von jetzt auf gleich erfahren, das war es, denn ich bin nicht wiedergewählt worden. Aber es ist noch einmal ein anderer Schritt, von sich aus die Entscheidung zu treffen und zu sagen: Es reicht, in diesem Kontext mache ich nicht mehr weiter.
Das Interview führte Michelle Olion.