Frauen in Lateinamerika leiden oft unter Gewalt

Zwischen Armut und Machotum

Die Palette reicht von verbalen Demütigungen bis hin zu Vergewaltigung und Mord. Gewalt gegen Frauen kennt viele Facetten. In Lateinamerika sorgt ein giftiger Cocktail aus Machtgehabe, Machismo und Armut für eine verschärfte Situation. Hier hat der heutige Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen eine besondere Bedeutung.

Autor/in:
Brigitte Schmitt
 (DR)

"Sie fielen über mich her, schlugen mich und nahmen wichtige Dokumente mit. Weil sie vermummt waren, konnte ich sie nicht erkennen." Cristina Auerbach Benavides sollte einen "Denkzettel" erhalten an jenem Sommertag im Jahr 2007. Die Theologin und Menschenrechtsaktivistin war ins Kreuzfeuer mächtiger Interessen geraten, weil sie sich für die Rechte der zumeist weiblichen Familienangehörigen der 65 Bergarbeiter einsetzt, die im Februar
2006 bei einem Minenunglück im mexikanischen Bundesstaat Coahuila getötet wurden. Seither ist die Katholikin immer wieder Einschüchterungsversuchen ausgesetzt und erhält regelmäßig Drohanrufe.

Offene Brutalität demonstrieren hingegen die "Feminicidios", Frauenmorde, mit denen die Stadt Ciudad Juarez an der Grenze zu den USA traurige internationale Berühmtheit erlangte. Dem Einsatz von Künstlern wie der Schauspielerin Jane Fonda ist es zu verdanken, dass die Welt von den über 400 unaufgeklärten, zumeist sexuell motivierten Frauenmorden in den letzten 15 Jahren spricht. "Als Zeichen der Anerkennung", versteht daher auch Esther Chavez Cano die Geste der mexikanischen Regierung, die der 78-Jährigen in der vergangenen Woche den diesjährigen Nationalen Menschenrechtspreis zuerkannt hat. Geehrt wird Chavez Cano für ihren Einsatz für schutzbedürftige Frauen von Ciuaded Juarez in dem von ihr geleiteten Frauenhaus "Casa Amiga".

"Der Staat tut ja was"
Solchen Ehrungen steht die die Frauenrechts-Aktivistin Cristina Auerbach eher skeptisch gegenüber. Oft zielten sie nur auf die Botschaft ab, "der Staat tut ja was". Den Preis für Chavez begrüßt sie aber, weil er die vielen ungelösten Mordfälle im Licht der Öffentlichkeit halte. Dabei dürfe aber nicht übersehen werden, dass die weniger brutalen Formen der sexuellen Belästigung ein Massenphänomen sei. Gerade am Arbeitsplatz komme sie häufig vor. Doch könnten Frauen dem auf offiziellem Wege wenig entgegensetzen. Ein Grund: "Die Gewerkschaften sind fest von Männern dominiert".

Überproportionale Gewalt gegen Frauen ist nicht auf Mexiko beschränkt. Nichtregierungsorganisationen im benachbarten Guatemala melden allein in diesem Jahr schon über 400 Morde an Frauen; 2007 waren es 590. Auch im kleinen Costa Rica häufen sich die Kapitalverbrechen: Dort wurden nach amtlichen Angaben im ersten Halbjahr 2008 schon 13 "Feminicidios" registriert, gegenüber 17 im gesamten Jahr 2007. Aus Argentinien kommen ebenfalls alarmierende Nachrichten: 92 Frauenmorde haben Menschenrechtler in diesem Jahr registriert.

Wenn sich Männer in ihrer Existenz bedroht sehen
Die Ursachen für diesen bedrohlichen Trend sieht Auerbach in der Armut und Perspektivlosigkeit, von denen viele Menschen betroffen sind. Mexiko sei ein Land der Gegensätze, "in dem die Mehrheit der Menschen, egal ob Mann oder Frau, kaum Rechte besitzt und nur wenige Möglichkeiten zum Erfolg". Da wirke nicht zuletzt die Emanzipation auf dem Arbeitsmarkt als Herausforderung. "Wenn Frauen wie in den letzten Jahren geschehen in Domänen der Männer vordringen, dann sehen diese natürlich ihre Macht, ja ihre Existenz gefährdet."

Zwar sei Gewalt gegen Frauen weltweit verbreitet, ergänzt Esther Chavez Cano. Doch in lateinamerikanischen Ländern wie Mexiko sei das Problem besonders virulent. In dem Gemisch aus Straflosigkeit für die Täter, Korruption, Macho-Kultur und Armut, so befürchtet sie, "wird das Leiden der Frauen trotz aller Aktionstage so bald nicht aufhören".