Informationen zum Internationalen Tag gegen Hexenwahn am 10. August
Schwester Lorena Jenal hat im Laufe ihrer Zeit in Papua-Neuguinea Sachen gesehen und erzählt bekommen, die im 21. Jahrhundert unvorstellbar klingen. "Da wurde eine Frau lebendig verbrannt. Man hat ihr beide Arme nach oben hin festgebunden. Sie war nackt bis auf eine Augenbinde", erzählt die Ordensschwester.
Um die brennende Frau seien 300 bis 500 Menschen herumgestanden. Männer, Frauen und Kinder. "Einige hätten zugeschaut. Andere hätten mit dem Handy gefilmt. Wieder andere haben Buschmesser ins Feuer gehalten und diese anschließend auf die Haut der Frau gepresst", berichtet die Ordensschwester.
Sie wollte zu der Frau, aber durfte nicht. Erst nach langen Gesprächen hätten die Dorfältesten es erlaubt. "Die Frau war so schlimm zugerichtet, dass wir die erste Woche nicht wussten, ob sie es überlebt", so Schwester Lorena.
Suche nach Sündenbock
Dass die Frau mitten auf dem Dorfplatz gequält, gefoltert und misshandelt wurde, lag nicht daran, dass sie etwas getan hätte. Aber die Einflussreichen im Dorf haben sie als "Hexe" gebrandmarkt. Ein Verwandter ist frühzeitig verstorben und die vermeintlich übernatürlichen Fähigkeiten der Frau wären "schuld" gewesen.
Die Gründe, als vermeintliche Hexe gefoltert zu werden, sind so vielfältig wie unbegreiflich. Kriege, Katastrophen und Krankheiten sind Ereignisse, die Menschen Angst machen und oft nicht direkt erklärbar sind.
Eine Überschwemmung im Dorf oder ein unerwartet früher Tod eines Verwandten wird wie ein Unheil ausgelegt, das über das Dorf gekommen ist, erklärt Schwester Lorena. Es wird eine Schuldige gesucht und eine Frau von Hexenjägern als vermeintliche Hexe enttarnt.
Der erste Fall für Schwester Lorena
Die erste Frau, die Schwester Lorena gerettet hat, war Christina Permuka. "Es war schrecklich. Als ich sie gesehen habe, habe ich laut losgeschrien“, erinnert Schwester Lorena den Moment. Es ist das erste Mal gewesen, dass die Ordensfrau überhaupt etwas vom Hexenwahn in Papua-Neuguinea mitbekommen hat.
Das war im Jahr 2012. Danach war der inzwischen 75-Jährigen klar, dass sie die Frauen retten muss, denen so etwas widerfährt. Schwester Lorena startete ein Projekt, um Frauen ihr Recht, ihre Stimme und Würde wiederzugeben, wie sie es nennt.
"House of Hope"
2018 kam ihr dann die Idee, ein "House of Hope" zu errichten. Ein Hoffnungshaus für alle, die Opfer von vermeintlichen Hexenjägern geworden sind. Das haben sie im Hochland von Papua-Neuguinea gebaut. Ihrer Wahlheimat, wie die Ordensfrau die Gegend nennt.
Drei Jahre später haben sie das "House of Hope" eröffnet. 20 Plätze gibt es dort. Die betroffenen Frauen werden psychologisch betreut, nach einigen Tagen werden ihr Mann und die Kinder dazu geholt. Das Ziel ist es, die Frauen wieder in die Dorfgemeinschaft zu integrieren.
"Das ist für die Frauen ein langer und schmerzhafter Prozess", sagt Schwester Lorena. Sie und ihr achtköpfiges Team müssen das Dorfgericht oder den Pfarrer überzeugen, dass es sich bei der Frau nicht um eine Hexe handelt und ihr nichts mehr angetan wird.
Wenn das gelingt, bekommen die Frauen dennoch ein Telefon mit. Damit können sie sich regelmäßig bei Schwester Lorena melden oder anrufen, wenn sie wieder bedroht werden sollten.
Unterstützung durch "missio"
Unterstützt werden das Projekt und das "House of Hope" vom katholischen Hilfswerk "missio". 352 Menschen konnten sie in Papua-Neuguinea so schon vor dem Tod retten, davon 342 Frauen.
Aber Gewalt und Aberglaube sind ein globales Phänomen. In 56 Ländern der Welt sei das bittere Realität, sagt "missio". Die Verfolgung von sogenannten Hexen zeige in zahlreichen Ländern der Welt Parallelen: Nach Katastrophen oder Krankheiten beginnt die Suche nach vermeintlichen Sündenböcken.
Um darauf aufmerksam zu machen, hat "missio" 2020 den Internationalen Tag gegen Hexenwahn ins Leben gerufen.
Hexenwahn nimmt zu
Das scheint immer noch zu funktionieren, denn Schwester Lorena berichtet zurzeit von immer mehr Fällen: "Die letzten drei Monate waren die schwersten für mich, seit ich in Papua-Neuguinea bin", sagt die Ordensschwester.
Allein in der Zeit hätten sie 52 Personen, davon 42 Frauen, in ihrem "House of Hope" aufgenommen. Alle waren Opfer von sexueller Gewalt oder Folter aufgrund eines perfiden Hexenwahns in den Dörfern. In den ersten drei Jahren hatten sie insgesamt 75 Fälle.
Dass die Zahl steige, liege auch an der Weltlage, erklärt Schwester Lorena. "Hinzu kommt, dass wir in den letzten paar Monaten vier Überschwemmungen hatten", sagt die Ordensfrau. Normal sei aber eine alle zwei Jahre. Da werden Sündenböcke gesucht.
Wounded healers
Deshalb wird Schwester Lorena weitermachen, solange sie kann, sagt sie. Sie sei nicht in Papua-Neuguinea, um Menschen zu bekehren. Sie wollte dort die universale Liebe leben, wie sie es selbst nennt.
Nur so könne man den Menschen vom Herzen her erfahren und erfassen können. "Wir haben alle den gleichen Gott und der heißt Liebe." Daraus schöpfe sie auch ihre Kraft, sagt sie, und aus den Momenten, in denen sich zeigt, wie wichtig die Arbeit ist.
Wie im Beispiel der Frau, die lebendig verbrannt wurde. Sie ist inzwischen eine Mitarbeiterin im "House of Hope" und für Schwester Lorena eine "wounded healer", eine verwundete Heilerin. Da sie selbst die Schmerzen und Folter erleben musste und es überlebt hat, gebe sie den Frauen Kraft, die neu im House of Hope ankommen.