Französisches Hilfswerk will Christen in Syrien halten

Das Rückgrat des Landes

"Wenn die einheimischen Christen Syrien verlassen, stirbt Syrien", sagt der Leiter des syrischen Büros der christlichen Organisation "SOS Chretiens d'Orients". Mit Projekten will die Hilfsorganisation syrischen Christen eine Perspektive schaffen.

Christen in Syrien / © Youssef Badawi (dpa)
Christen in Syrien / © Youssef Badawi ( dpa )

KNA: "SOS Chretiens d'Orient" gehört im Reigen der Hilfswerke zur jüngsten Generation. Was stand als Idee hinter der Gründung?

Alexandre Gooderzy (Leiter des syrischen Büros der christlichen Organisation "SOS Chretiens d'Orients"): Frankreich hat immer eine Vertrauensverbindung zum Nahen Osten gehabt und sich selbst als Schutzmacht seiner Minderheiten proklamiert. Seit einigen Jahrzehnten betreibt es jedoch eine gegenteilige Politik. Als Frankreich seine Flugzeugträger in die Nähe der syrischen Küste gebracht hat, wollten wir den Syrern zeigen, dass unsere Regierung uns nicht repräsentiert, dass Syrien und seine Christen nicht vergessen sind. Wir wollten ein etwas anderes Bild Frankreichs zeigen als die Position von Monsieur Hollande. Weihnachten 2013 haben wir als erste Aktion vier Tonnen Spielsachen für christliche Kinder in Syrien gesammelt. 2014 ist eine Gruppe nach Syrien gereist, um dort mit den Christen Weihnachten zu feiern.

KNA: Seither sind mehrere Außenstellen Ihrer Organisation entstanden...

Gooderzy: Die erste feste Mission haben wir im irakischen Erbil eröffnet, weitere im Libanon und in Jordanien. Ich selbst habe seit 1. Juni vergangenen Jahres die Mission in Syrien aufgebaut, und momentan arbeiten wir an einer Mission in Ägypten. Dabei sind die Probleme sehr unterschiedlich. In Syrien ist Krieg, im irakischen Kurdengebiet hingegen ist es ruhig. In Ägypten geht es nicht um Kriegsflüchtlinge, sondern darum, eine Präsenz als christlich-humanitäre Beobachter sicherzustellen. Auch innerhalb der einzelnen Länder ist die Lage in den einzelnen Regionen unterschiedlich. Homs ist nicht Aleppo...

KNA: Wie ist die Lage in Aleppo?

Gooderzy: Katastrophal! In der Stadt lebten mal 150.000 Christen. Heute sind Schätzungen von 25.000 noch optimistisch. Die Kämpfe verlagern sich immer mehr in das Zentrum, und damit sind die Christen mittendrin. Viele jener, die bisher den Mut hatten, zu bleiben, fliehen, weil es über ihre Kräfte geht. Nicht alle verlassen Syrien, aber auch, wenn sie nach Damaskus oder ins Tal der Christen fliehen, ist das ein erster Schritt in Richtung Libanon und dann weiter. Seit Kanada seine Türen geöffnet hat, haben enorm viele das Land verlassen.

KNA: Und das ist etwas, was Ihre Organisation verhindern will...

Gooderzy: Wir haben Verständnis für jene, die gehen wollen und zwingen sie nicht zu bleiben. Aber wir ermutigen sie nicht zur Abwanderung. Das tun andere. Die europäischen Regierungen sind Komplizen dessen, was hier passiert. Auf der einen Seite finanzieren sie scheinbar moderate Rebellen, gleichzeitig verteilen sie Visa, damit die Menschen gehen können. Das ist inkohärent. Man kann nicht vorgeben, den Christen zu helfen, wenn man jenen Geld gibt, die für ihre Entwurzelung verantwortlich sind.

KNA: Was ist so schlimm daran, wenn Christen Syrien verlassen?

Gooderzy: Syrien ist ein ethnisch-konfessionelles Mosaik. Die Menschen hier haben über Jahrhunderte und Jahrtausende gelernt, zusammenzuleben. In Frankreich etwa bringt man uns mit der Einwanderung Menschen von außen und sagt: "Lebt miteinander". Wenn wir dieses Zusammenleben in Frankreich verteidigen, in dem wir die Grenzen öffnen, was ist da natürlicher als das Zusammenleben hier zu verteidigen. Hier ist das Herz der Humanität und der Zivilisation, und es wäre ein Verlust, wenn die Christen gingen. Sie sind die Seele, das Rückgrat des Landes. Sie haben Syrien den modernen Geist gegeben. Wenn die Christen gehen, stirbt Syrien. Vor dem Krieg definierten sich die Menschen stolz an erster Stelle als Syrer. Selbst wenn der Krieg jetzt zu Ende wäre, befürchte ich, dass es zu einer ähnlichen Situation wie im Libanon kommt: An erster Stelle stünde die Identifizierung mit der Religion.

KNA: Wie soll der Abwanderung entgegengewirkt werden?

Goodarzy: Wir setzen neben Nothilfe auf Langzeitprojekte, die es Christen erlauben, in Syrien zu bleiben. Zum Beispiel übernehmen wir Schul- und Universitätsgebühren, weil dies Orte sind, an denen das christliche Erbe wie etwa die syrische Sprache weitergegeben werden.

Wenn es hier zu einer Unterbrechung kommt, ist das ein Generationenbruch - und damit Teil einer Entwurzelung. Die kriegsbedingte Wirtschaftslage darf nicht dazu führen, dass junge Christen nicht mehr von etwas profitieren, was über Jahrhunderte und Jahrtausende übermittelt wurde. Außerdem haben wir in Homs, Maaloula und den Dörfern des Khabour das Projekt "Eine Familie, ein Zimmer". Mit dem Rückkehrversprechen einer Familie restaurieren wir ein Zimmer im zerstörten Haus, so dass die Familie dort leben und Schritt für Schritt den Rest wieder instand setzen kann.

KNA: Stoßen Sie mit Ihren Projekten auf Gegenliebe bei den Ortskirchen?

Gooderzy: Wir wollen Gott dienen und nicht uns Gottes bedienen. Wir arbeiten im Namen der Kirche und mit dem Segen einiger Bischöfe in Frankreich. In Syrien sind wir auf Einladung des griechisch-katholisch melkitischen Patriarchen Gregoire III. Laham tätig. Wir fragen, wo wir helfen können und richten unsere Projekte entsprechend darauf aus, nicht umgekehrt. Anders als andere Organisationen kommen wir nicht mit fertigen Projekten, wir kommen nicht, um die lokale Mentalität zu ändern.

KNA: Und bei den Syrern?

Goodarzy: Ich empfange das ganze Jahr über Freiwillige. Zu sehen, dass es Menschen gibt, die ihre Studien oder ihre Arbeit ruhen lassen und ihr friedliches, komfortables Leben beiseitelegen, um trotz der Risiken hier zu leben, ist ein wichtiges Zeichen für die Syrer. Inzwischen haben wir auch syrische Freiwillige, die von unserem Engagement inspiriert worden sind.

Das Interview führte Andrea Krogmann.


Quelle:
KNA