Franziskanerin fordert besseren Schutz für Wälder

Den Eigenwert der Natur anerkennen

Zum Tag des Waldes an diesem Dienstag ist vor allem der schlechte Zustand des Waldes Thema. Schwester Theresia Wittemann schreibt Bäumen auch eine spirituelle Kraft zu. Der Mensch könne von Bäumen lernen, betont die Franziskanerin.

Schwester Theresia Wittemann sieht Geschwisterlichkeit zwischen Menschen und Bäumen / © simona pilolla 2 (shutterstock)
Schwester Theresia Wittemann sieht Geschwisterlichkeit zwischen Menschen und Bäumen / © simona pilolla 2 ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Ein Gedicht von Günter Eich sagt: "Wer möchte leben ohne den Trost der Bäume?" Was macht für Sie diesen Trost der Bäume aus? 

Schwester Dr. M. Theresia Wittemann osf / © Christopher Beschnitt (KNA)
Schwester Dr. M. Theresia Wittemann osf / © Christopher Beschnitt ( KNA )

Schwester Theresia Wittemann (Franziskanerin im Bistum Augsburg): Dieses Gedicht von Günter Eich ist eines meiner Lieblingsgedichte und es ist vielleicht überraschend, dass die zweite Zeile heißt: "Wie gut, dass sie am Sterben teilhaben." Also, der Trost der Bäume liegt sicher auch darin, dass wir uns als Menschen in ihnen wiederfinden, uns spiegeln können. Auch Bäume leiden - wir sprechen ja auch vom Waldsterben. Von daher ist da eine Geschwisterlichkeit, die mir als Franziskanerin natürlich sehr nah ist. 

DOMRADIO.DE: Manche Menschen sagen, wie gut es ihnen tut, einen Baum zu umarmen. Machen Sie das manchmal auch? 

Schwester Theresia Wittemann

"Der Baum hat eine Orantenhaltung, wie wir im Christentum sagen - also, er betet von Natur aus."

Wittemann: Ja, vor allen Dingen, wenn ich mich unbeobachtet weiß, dann umarme ich Bäume. Vor allem solche, die ich wirklich umgreifen kann. Ich war letztes Wochenende in Darmstadt und habe einen Waldkunstpfad abgelaufen. Da hat mich eine Skulptur aus Bambusstäben sehr berührt. Die ist überlebensgroß und stellt einen Menschen dar, der einen verschwundenen Baum umarmt. Die Arme sind im luftleeren Raum einfach zu einem Kreis geschlossen. Das hat mich doch sehr erschüttert, weil ich nicht wünschen will, dass das unsere Zukunft wäre, dass wir uns dann quasi nur noch Bäume vorstellen müssen. 

DOMRADIO.DE: Bäume sind ja tief verwurzelt in der Erde und sie strecken ihre Äste weit in den Himmel. Eigentlich ein gutes Symbol für ein Leben aus dem Glauben, oder? 

Erhebung: Zustand der deutschen Wälder weiter angespannt 

Der Zustand der Wälder in Deutschland bleibt nach neuen bundesweiten Daten angespannt. Insgesamt seien die Baumschäden "weiterhin auf einem sehr hohen Niveau", heißt in der Waldzustandserhebung 2022 des Bundesagrarministeriums, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Dabei hätten sich nun "keine deutlichen Verbesserungen des Waldzustands eingestellt, aber auch keine deutliche Verschlechterung im Vergleich zu 2021". 

Wald, Waldfpad / © TSN52 (shutterstock)

Wittemann: Ja, das stimmt. Bäume repräsentieren zunächst die Vertikale, aber man hat schon in der Antike auch von betenden Bäumen gesprochen. Interessanterweise hat sich der Mensch wahrscheinlich solange er denken kann im Baum gespiegelt. Und die Äste, wenn sie wirklich frei wachsen dürfen, breiten sich ja auch in die Horizontale aus. Von daher hat der Baum eine Orantenhaltung, wie wir im Christentum sagen - also, er betet von Natur aus.

DOMRADIO.DE: Sie sind ja als Dillinger Franziskanerin der Spiritualität des heiligen Franz verpflichtet. Der war ja auf ganz besondere Weise den Mitgeschöpfen verbunden. Gibt es da auch konkrete Bezüge zu Bäumen?

Wittemann: Nicht zu einzelnen Bäumen. Dazu habe ich nichts gefunden, als ich recherchiert habe, aber ganz sicher zum Wald als Ganzem. Denn der Wald hatte ja in Märchen und Sagen meist finsteren Charakter, weil er dunkel ist. Man kann sich im Wald verlaufen. Man kann aber auch Räubern in die Hände fallen. Und das war im 13. Jahrhundert, als Francesco Bernardone lebte, auch wirklich der Fall.

Es gibt eine Geschichte in den Quellen, wo erzählt wird, dass er im Wald gebetet und gesungen hat und dann Räubern begegnete, denen er ganz begeistert entgegen gerufen hat: Ich bin der Herold eines großen Königs. Die haben ihn angeschaut und haben gemerkt: Von dem armen Schlucker ist nichts zu holen und haben ihn in den Schnee geworfen. Aber das hat Franz, so sagt die Quelle, nicht verdrießt. Er hat den Wald auch immer wieder zum Beten aufgesucht - einfach, weil er ein Rückzugsort war, wo man vor den Blicken der Menschen etwas geschützt war. Diese Idee der Spiritualität des Waldes hat mich so fasziniert, dass ich mein Buch geschrieben habe "Beten unter Bäumen", in dem all diese Quellen, von denen die franziskanische Literatur berichtet, auch aufgearbeitet sind. 

DOMRADIO.DE: Im Herbst kommt dieses Buch heraus. Heute ist der Tag des Waldes, und deshalb die Frage, worin für Sie die besondere Bedeutung des Waldes als Gemeinschaft verschiedener Bäume liegt. 

Wittemann: Es ist wie in allen Sozialsystemen: Die hängen aneinander. Ein Baum allein tut sich schwer, weil er den Winden und auch den Witterungen schutzlos ausgeliefert ist. Gemeinsam sind wir stark. Das gilt natürlich auch für die Bäume - für das Wurzelwerk, für die Pilze. Der Förster Peter Wohlleben hat uns das ja auch nahegebracht in den letzten Jahrzehnten, dass Bäume ein Ökosystem bilden. Ich glaube, da können wir viel lernen, wenn wir uns wieder unserer eigenen Natürlichkeit bewusst werden. 

Schwester Theresia Wittemann

"Ich glaube, da können wir viel lernen, wenn wir uns wieder unserer eigenen Natürlichkeit bewusst werden."

DOMRADIO.DE: Unsere Wälder in Deutschland sind bedroht. Sie leiden unter Dürre und Hitze. Leiten Sie für sich aus der geistlichen Bedeutung des Waldes auch umweltpolitische Forderungen ab? 

Wittemann: Ja, auf jeden Fall. Es gibt auch viele franziskanische Initiativen zur Bewahrung der Schöpfung, gerade in Deutschland und auch weltweit. Die Franziskanische Familie (Franciscans International) ist zum Beispiel als Nichtregierungsorganisation in New York bei der UN tätig.

Es ist interessant, dass es seit einigen Jahren eine Bewegung weltweit gibt, der Natur einen Eigenwert zuzuerkennen. Das spricht mir als Franziskanerin aus dem Herzen, weil der Eigenwert der Mutter Erde, der Pflanzen, jeder einzelnen Blume auch im Sonnengesang des heiligen Franziskus betont wird, gerade in der Mit-Geschöpflichkeit und in der Geschwisterlichkeit.

Also, wir müssen aktiv werden und der Natur wieder ihre Rechte geben. In Indien und Bangladesch, habe ich mir sagen lassen, gibt es sogar die Bestrebung, Flüsse wieder zu juristischen Personen zu erklären. Die werden dann ja auch vor Gericht vertreten durch Anwälte, die genau die Interessen eines Flusses vertreten. Ich finde, das ist eine sehr schöne Idee. 

Das Interview führte Hilde Regeniter.

Quelle:
DR