Frankreich ehrt Abbe Pierre mit Trauerakt - Papst kondoliert

Trauer um "Vater der Obdachlosen"

Frankreich gedenkt am Freitag des verstorbenen "Vaters der Obdachlosen", Abbe Pierre, mit einem Trauerakt in der Pariser Kathedrale Notre-Dame. An der nationalen Gedenkfeier nimmt auch Staatspräsident Jacques Chirac teil, wie der Elyseepalast mitteilte. Auch die Mitglieder der Regierung werden anwesend sein. Ebenfalls am Freitag wird Abbe Pierre in der Gemeinde Esteville in der Normandie beigesetzt, wo er einen Teil seines Ruhestands verbrachte. Auch Papst Benedikt XVI. bekundete in einem Trauerschreiben sein Beileid sowie seine Dankbarkeit für den Einsatz des Ordensmanns für die Ärmsten.

 (DR)

Abbe Pierre habe damit ein Zeugnis christlicher Nächstenliebe abgegeben. Eine Seligsprechung des im Alter von 94 Jahren Verstorbenen steht nach Einschätzung der französischen Bischöfe derzeit nicht auf der Tagesordnung. Im Rundfunksender "France Info" sagte der Generalsekretär der Bischofskonferenz, Stanislas Lalanne, dazu brauche es ein langes und strenges Verfahren, über das nicht unter dem Eindruck der Gefühle entschieden werden dürfe.

Kirchenrechtler erinnerten daran, dass der Ordensmann gegen die verpflichtende Ehelosigkeit für katholische Geistliche sowie für die Weihe von Frauen zu Priestern eingetreten sei. Damit habe er sich in Widerspruch zur katholischen Lehrmeinung begeben, was eine Seligsprechung unwahrscheinlich mache.

Chirac am Sarg
Chirac erwies unterdessen am Dienstag Abbe Pierre die letzte Ehre. Der Sarg ist in einer Pariser Krankenhauskapelle aufgebahrt. Die Öffentlichkeit hat dort am Mittwoch und Donnerstag Zutritt. In die Kondolenzbücher der von dem Ordensmann gegründeten Emmaus-Gemeinschaften trugen sich laut Medienberichten landesweit Tausende Menschen ein.

Die französischen Medien reagierten mit Sondersendungen und Sonderpublikationen auf die Todesnachricht. In den Tageszeitungen Frankreichs, Belgiens und der Schweiz wurden am Dienstag in der Regel mehrere Seiten oder Beilagen mit Nachrufen und Reaktionen veröffentlicht. Die Tageszeitung "Le Parisien/Aujourd'hui en France" titelte "Der Papst der Armen". "Le Figaro" überschrieb seinen Text mit den Worten "Einmütige Würdigung". Als Wortspiel mit der französischen Bezeichnung für Obdachlose "Sans domicile fixe" ("Ohne festen Wohnsitz") betitelte die Tageszeitung "Liberation" ihren Aufmacher mit den Worten "Saint domicile fixe" ("Heiliger mit festem Wohnsitz").

Die Emmaus-Bewegung kündigte für Donnerstagabend eine große Versammlung im Sportpalast Paris-Bercy an, zu der alle Weggefährten, Freunde und Anhänger Abbe Pierres eingeladen sind. Bei der Zusammenkunft sollten Zeugnisse über sein Leben abgegeben werden. Das Treffen solle, wenn nötig, die ganze Nacht dauern.

Weitere Reaktionen aus Deutschland und Frankreich

Kardinal Lehmann, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz: "Bis ins hohe Alter hinein wurde er nicht müde, an das Recht jedes Menschen auf ein Leben in Würde zu appellieren und unter Einsatz aller Kräfte dafür zu kämpfen. Er war wirklich ein Vater für die Armen."

Kardinal Jean-Pierre Ricard, Vorsitzender der Französischen Bischofskonferenz: "Abbe Pierre war eine Quelle der Hoffnung für uns. Über ihn haben die Franzosen ihre Verbundenheit mit Großmut, Solidarität und Sorge um die am meisten Benachteiligten bekundet. Die Emmaus-Gemeinschaften erinneren an das besondere Zeugnis von Engagement und Humanität. Ich bete für jene, denen Abbe Pierre geholfen hat."

Kardinal Godfried Danneels, Vorsitzender der Belgischen Bischofskonferenz: "Er war ein Gigant der Barmherzigkeit. Über religiöse und weltanschauliche Grenzen hinweg hat er jeden Einzelnen an seine Pflicht zur Mitmenschlichkeit erinnert. Seit mehr als einem halben Jahrhundert hat Abbe Pierre die christliche Liebesbotschaft verkörpert."

Frankreichs Arbeits- und Sozialminister Jean-Louis Borloo regte an, das zur Beratung im Parlament anstehende Gesetz über ein einklagbares Recht auf Wohnen im Gedenken an den Ordensmann "Abbe-Pierre-Gesetz" zu nennen. Das sei die würdigste Weise, das Andenken dieses Kämpfers gegen soziale Ausgrenzung zu ehren.

Emmaus-Gruppen trauern
Die vom verstorbenen Abbe Pierre gegründeten Emmaus-Gemeinschaften gibt es seit 1954 in Frankreich. Rasch folgten auch andere Länder. Bereits Ende der 50er Jahre gab es erste Gemeinschaften in Lateinamerika, Kanada, den USA und im Nahen Osten. In Deutschland entstand die erste Emmaus-Gemeinschaft 1959 in Köln. Bis heute sind zwei weitere hinzugekommen. Wir haben mit der Leiterin der Emmaus-Gruppe Krefeld, Elisabeth Kreul, gesprochen:

domradio: Sie haben Abbe Pierre persönlich gekannt - was für ein Mensch war er?

Elisabeth Kreul: Die Treffen mit ihm war ganz besonders: Abbe Pierre war eine ganz faszinierende Persönlichkeit, die vielen Menschen sehr viel gegeben hat. Jungen Menschen, und natürlich denen, die der Emmaus-Bewegung  angehören.

domradio: Was an ihm war besonders faszinierend?

Elisabeth Kreul: Seine Art aufzufordern, gegen Ursachen von Armut zu kämpfen, Mut zu machen und gleichzeitig auf Missstände kritisch hinzuweisen - und all das mit einer Art, die sogar von der Politik wahrgenommen wurde.

domradio: Wie geht es nun nach seinem Tod für die Emmaus-Bewegung weiter?

Elisabeth Kreul: Praktisch wird sich nicht viel ändern. Seit 20 Jahren funktioniert die Organisation, die Struktur der Emmaus-Bewegung auch schon ohne ihn. Aber moralisch wird er natürlich schon fehlen. Mit ihm bricht die schützende Hand weg, die alles zusammengehalten hat.

domradio: Beschreiben Sie doch bitte mal die Arbeit einer Emmaus-Gemeinschaft am Beispiel Ihrer Krefelder Gruppe.

Elisabeth Kreul: Wir nehmen Menschen in unserer Wohngemeinschaft auf, die aus der Bedürftigkeit kommen. Wir arbeiten sehr viel, denn: unser Projekt muss sich selber finanzieren. In Deutschland ist Emmaus leider nicht so gut aufgestellt wie zum Beispiel in Frankreich. Bei uns gibt es nur drei Gruppen.

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