Fotograf vergleicht Erstkommunionfeier 1956 mit der Neuzeit

Eine Zeitreise in Bildern

In den "Fotogeschichten Kölner Südstadt" sammeln und vergleichen Wolfgang Niedecken und der Fotograf Eusebius Wirdeier Bilder des berühmten Fotografen Chargesheimer mit Bildern von heute. Besonders angetan sind sie vom Weißen Sonntag.

Ein Mädchen nach der Erstkommunion 1956 / © Chargesheimer (Rheinisches Bildarchiv Köln)

DOMRADIO.DE: Chargesheimer, der mit bürgerlichem Namen Karl-Heinz Hardesheimer hieß, war ein berühmter Kölner Fotograf der Nachkriegszeit. Rechtzeitig vor seinem hundertsten Geburtstag in diesem Jahr haben Sie im Rheinischen Bildarchiv eine Entdeckung gemacht. Sie haben die Negative von bisher unveröffentlichten Aufnahmen von Chargesheimer gefunden.

Eusebius Wirdeier (Fotograf): Richtig, das war vor fünf Jahren. Bei der Suche nach Bildern aus Sülz, für ein Sülz-Buch, stieß ich auf Bilder aus der Südstadt und dachte, dass ich daraus etwas mache. Und je mehr ich gesucht habe, desto mehr fand ich. Ich habe viele Negative durchgucken müssen, weil nicht alles digitalisiert ist. Das war es eine sehr lange Recherche.

DOMRADIO.DE: Sie sind auch auf ein Bild des legendären Kinos Roxy am Chlodwigplatz gestoßen. Das kennen man auch aus dem Lied der Bläck Fööss. Das musste 1975 schließen. Über dieses Bild ist es Ihnen gelungen, Wolfgang Niedecken mit ins Boot zu holen?

Wirdeier: Ja, wir hatten 1996 schon mal ein Buch zusammen gemacht. In dem Zusammenhang fiel der Satz: "Wenn du mal ein Bild vom Roxy Kino findest, dann sag mir Bescheid." Das habe ich getan.

Eusebius Wirdeier

"Ich habe eine ganze Menge Bilder gefunden, die eventuell aus der Südstadt sein könnten."

DOMRADIO.DE: Und was hat er dann gesagt?

Wirdeier: Dann habe ich ihm die anderen Fotos gezeigt, auf denen auch sein elterlicher Laden drauf war. Dann kam die Sache schon sehr schnell ins Rollen.

Wolfgang Niedecken, Musiker und Sänger der Gruppe Bap / © Oliver Berg (dpa)
Wolfgang Niedecken, Musiker und Sänger der Gruppe Bap / © Oliver Berg ( dpa )

DOMRADIO.DE: Gemeinsam haben Wolfgang Niedecken und Sie eine Auswahl historischer Südstadt-Bilder von Chargesheimer getroffen. Nach was für Kriterien haben Sie da ausgesucht?

Wirdeier: Zunächst habe ich eine ganze Menge Bilder gefunden, die eventuell aus der Südstadt sein könnten, die ich aber erst verifizieren musste. Wo ist das, wann ist es aufgenommen und ist es tatsächlich aus der Südstadt? Dann haben wir uns ab und zu getroffen und haben die Bilder angeguckt, untersucht und uns verständigt, ob sie in das Buch mit reinkommen oder nicht. 

DOMRADIO.DE: Passend dazu hat Wolfgang Niedecken im privaten Familienfotoarchiv gewühlt, auch noch ein bisschen rausgesucht und dann dazu Erinnerungen aufgeschrieben?

Wirdeier: Ja, er hat ja die sogenannte "Ramakiste", in der er sein Familienbildarchiv aufbewahrt ist, durchgesehen und hat viele Bilddokumente und auch andere schriftliche Dokumente rausgesucht und zur Verfügung gestellt, die jetzt den Mittelteil des Buches bilden. 

DOMRADIO.DE: Darin sieht man auch kleine Mädchen in weißen Kleidern, mit weißen Kränzchen im Haar und schwarzen Lackschuhen an den Füßen, wie sie andächtig den Altarraum mit gefalteten Händen und gesenktem Blick betreten. So hat der berühmte Fotograf Chargesheimer einen Moment in der Kölner Kirche Sankt Severin festgehalten. Das Bild ist Teil einer ganzen Serie von historischen Aufnahmen zum Weißen Sonntag des Jahres 1956. Wie zeigt Chargesheimer hier die Erstkommunion in dieser wieder aufgebauten Basilika Sankt Severin?

Eusebius Wirdeier

"Chargesheimer hat beim Weißen Sonntag drei oder vier Filme belichtet. Das ist sehr ungewöhnlich."

Wirdeier: Sehr üppig. Also das ist auch für ihn und seine Arbeitsweise ungewöhnlich, dass er so viele Aufnahmen von einer Gelegenheit aufnimmt. Ich habe noch nicht genau rausgekriegt, warum. Denn sonst hat er mal hier, mal da ein, zwei Fotos gemacht, mehr nicht. Bei dem Weißen Sonntag hat er drei oder vier Filme belichtet. Es sind also wirklich 30 Aufnahmen oder mehr zu einem Thema. Das ist sehr ungewöhnlich. 

Er hat alle Stationen dieses großen Festes beleuchtet. Es sind damals 46 Mädchen und 46 Jungen zur Erstkommunion gegangen. Er ist auf die Orgelempore geklettert und hat von oben runter fotografiert. Auch das Kommen und Gehen der Leute nach der Messe wurde aufgenommen, also das ganze soziale Gefüge rund um Sankt Severin. Es ist eine wirklich sehr dichte und üppige Bilderfolge.

Erstkommunionsfeier am Weißen Sonntag in St. Severin 1956 / © Chargesheimer (Rheinisches Bildarchiv Köln)

DOMRADIO.DE: Genau diese Bilder haben dann Wolfgang Niedecken, den Sie ja für das Fotoprojekt ins Boot geholt hatten, an seine eigene Erstkommunion erinnert. Das war vier Jahre später, also 1960. Da gibt es auch ein interessantes Privatfoto, das er zur Verfügung gestellt hat.

Wirdeier: Ja, er steht auf dem Bild mit seinen Eltern auf dem Severinskirchplatz. Es hat geregnet und er guckt ein bisschen verdrossen in die Kamera, während die Eltern lachen. Im Hintergrund sieht man die Leute, die aus der Kirche rauskommen. Das ist ein Bild aus seiner "Ramakiste".

Wolfgang Niedecken als Kommunionkind im Jahr 1960 / © Wolfgang Niedecken (privat)
Wolfgang Niedecken als Kommunionkind im Jahr 1960 / © Wolfgang Niedecken ( privat )

DOMRADIO.DE: 67 Jahre nach Chargesheimers Aufnahmen vom Weißen Sonntag haben Sie dann mit Ihrer Digitalkamera die Erstkommunionfeier 2023 in Sankt Severin besucht. Sie sind also an den Ort des Geschehens sozusagen zurückgekehrt. Was war Ihnen dabei wichtig?

Wirdeier: Mir war wichtig nachzuprüfen, wie ein Weißer Sonntag heute, im 21. Jahrhundert aussieht. Wie stellt er sich dar? Wie viele Leute sind da? Wie viel Kinder sind da, gehen zur Kommunion und wie sieht das aus?

Eusebius Wirdeier

"Der Weiße Sonntag wird heute ausgelassener gefeiert als früher."

DOMRADIO.DE: Wo sehen Sie denn selbst die augenfälligsten Unterschiede Ihrer Kommunionbilder im Vergleich zu den von Chargesheimer damals?

Kinder nach der Erstkommunion 2023 / © Eusebius Wirdeier (privat)
Kinder nach der Erstkommunion 2023 / © Eusebius Wirdeier ( privat )

Wirdeier: Erst einmal musste ich im Gegensatz zu Chargesheimer eine dreistufige Genehmigungstour durchlaufen, damit ich überhaupt fotografieren durfte. Das heißt, ich habe mich bei den Eltern mithilfe der Pastoralreferentin vorgestellt, die mir geholfen hat und habe dann gesagt, ich würde gerne fotografieren. 

Ich habe auch drei von den historischen Bildern auf einem kleinen Handzettel gezeigt und habe gesagt, ich würde gerne ihre Kinder fotografieren. Es kann sein, dass einzelne Kinder auch mal groß ins Bild kommen und dann wurde das genehmigt.

Erstkommunionsfeier in St. Severin 2023 / © Eusebius Wirdeier (privat)
Erstkommunionsfeier in St. Severin 2023 / © Eusebius Wirdeier ( privat )

DOMRADIO.DE: Ist das etwas anderes als das, was Chargesheimer damals gezeigt hat?

Wirdeier: Ja, es ist derselbe Raum, aber man steigt halt nie in denselben Fluss. Es ist doch ganz anders, denn jetzt ist eine Frau mit am Altar, die auch die Kommunion austeilt. Die Kinder sind lockerer als vor 60-70 Jahren. Es ist ein bisschen ausgelassener als in den 1950er Jahren.

DOMRADIO.DE: Ihr Buch nimmt sozusagen drei Perspektiven ein, die von Chargesheimer damals, der in der Südstadt fotografiert hat, dann die von Wolfgang Niedecken, der in der Südstadt aufgewachsen ist, Privatfotos und Erinnerungen zur Verfügung stellt und schließlich Ihre eigene. Was möchten Sie mit dem Buch zeigen?

Wirdeier: Ich möchte einfach zeigen, wie sich die Südstadt verändert hat, wie aber auch vieles von damals heute noch sichtbar ist, wenn man genau hinguckt.

DOMRADIO.DE: Was wünschen Sie sich für einen Impuls mit dem Buch?

Wirdeier: Der Einstieg geschieht über die historischen Fotos, die bei den Älteren Erinnerungen hervorrufen. Mit den Bildern kommen die Erinnerungen hoch und auch die Geschichten, die dazu erzählt werden.

Die Jüngeren, die diese Erfahrungen nicht gemacht haben, werden sich dann mehr in meinen Bildern wiederfinden können. Sie haben dann aber die historischen Bilder, um Vergleiche ziehen zu können, wie es früher gewesen ist.

Das Interview führte Hilde Regeniter.

Quelle:
DR