Forscher: Leitungswasser zu Unrecht verpönt

Gute Öko-Bilanz

Trinken, trinken und nochmals Trinken! Dass viele den ärztlichen Rat befolgen, nutzt der Mineralwasserbranche. Dabei ist Leitungswasser Experten zufolge billiger und oft sogar besser. Der Mineralwasserverband weist aber auf Risiken hin.

Autor/in:
Renate Kortheuer-Schüring
Ein Glas "Gänsewein" (epd)
Ein Glas "Gänsewein" / ( epd )

Als das Pinneberger Jobcenter Hartz-VI-Empfängern kürzlich empfahl, aus Sparsamkeit Leitungswasser zu trinken, war die Empörung angesichts vermeintlicher Diskriminierung groß: Von dümmlichen Spartipps“ war die Rede, ein Sozialverband nannte den Rat "albern“. Ob knapp bei Kasse oder nicht: Zur Zeit der großen Sommerhitze dürfte sich so manch einer überlegen, ob es sich nicht lohnt, auf "Kraneberger“ umzusteigen.

"Wer Leitungswasser trinkt, muss wenig befürchten“, sagt Hans-Jürgen Leist vom Ecolog-Institut für sozial-öokologische Forschung und Bildung in Hannover. Er empfiehlt unumwunden, den Durst mit Wasser aus dem Hahn zu löschen. Das sei für die Gesundheit völlig ungefährlich. Mehr noch: Leitungswasser enthalte in den meisten Fällen einen höheren Anteil an Mineralien wie Magnesium und Kalzium als Mineralwasser aus Flaschen; zugleich sei es weniger mit Schadstoffen wie Sulfaten belastet.

Keine langen Transportwege

Für "Kraneberger" oder "Heimquell“ spricht auch die Öko-Bilanz: Sie sei bei Wasser in Flaschen schlecht, sagt der 63-jährige Autor des Buches "Wasserversorgung in Deutschland“ (2007). Er verweist auf die teils langen Transportwege, etwa für französische Mineralwässer, und auf die Produktion Flaschen. Der Energieaufwand für die 130 bis 140 Liter Wasser in Flaschen, die jeder Deutsche jährlich trinkt, sei höher als der für den jährlichen Verbrauch an Leitungswasser insgesamt.

Tatsächlich ist der Mineralwasser-Konsum in den vergangenen Jahrzehnten enorm angestiegen. Nach Angaben des Verbandes Deutscher Mineralbrunnen tranken die Deutschen 1972 durchschnittlich 15,6 Liter pro Jahr, zehn Jahre später waren es 47,6 Liter und 2012 schon 135,8 Liter. Dass Ärzte, Sportlehrer und andere Ratgeber empfehlen, täglich zwei bis drei Liter zu trinken, zeigt Wirkung. Die Mineralwasserindustrie boomt. Insgesamt setzt die Branche in Deutschland pro Jahr mehr als zehn Milliarden Liter an Mineral- und Heilwässern ab.

Wasser als Lifestyle-Produkt

"Wasser ist heute ein Lifestyle-Produkt“, sagt Leist. Den Abfüll-Unternehmen sei es gelungen, erfolgreich mit Gesundheit und Sauberkeit zu werben. "Das optimale Getränk ist natürliches Mineralwasser“, heißt es auf der Website der Informationszentrale Deutsches Mineralwasser. Es versorge den Körper mit lebenswichtigen Mineralstoffen wie Natrium, Calcium und Magnesium. Dabei ist es mit den Mineralien nach Darstellung von Leist oft gar nicht so weit her.

Besonders die französischen Wässer seien arm an diesen Stoffen, sagt der Wissenschaftler. Ohnehin spiele das Wasser bei der Mineralien-Versorgung eine geringe Rolle, denn 80 Prozent würden aus fester Nahrung bezogen.

Der Verband Deutscher Mineralbrunnen in Bonn verweist dagegen auf einen Trend, wonach Verbraucher heute "sanfte und weiche Wässer bevorzugen, die weniger Mineralstoffe erhalten“. Auch gesundheitlich ist es Pressesprecherin Meike Strenger zufolge nicht ganz unbedenklich, Leitungswasser zu trinken, zumal wenn es länger in der Leitung steht. "Keime und Bakterien suchen sich immer einen Weg“, sagt sie. So sei etwa der Perlator eine Quelle für zusätzliche Kontamination. Das räumt auch Leist ein und rät, Leitungswasser immer erst einige Sekunden laufen zu lassen, bis es kühl wird. Auch vor Trinkwasser aus Bleirohren warnt Leist, die es in einigen alten Häusern noch gibt.

Die Reinheit, mit der nach dem Motto "Hunderte Jahre durch Stein“ geworben werde, gelte oft genauso auch für Leitungswasser, unterstreicht Leist. So seien Pflanzenschutzmittelrückstände viel eher in Nahrungsmitteln enthalten, die mit diesen Substanzen auch in Berührung gekommen seien, als im Wasser.

Dennoch sind die Deutschen offenbar bereit, relativ viel Geld für abgefülltes Wasser auszugeben. Den Forscher verwundert das: "Das Mineralwasser kostet das 100-Fache des Trinkwassers aus der Leitung“, sagt Leist: "Wo sonst sind die Leute bereit, so viel mehr zu zahlen.“

 


Quelle:
epd