Forscher Klingholz zum Demografiegipfel der Bundesregierung

"Wir müssen das Schrumpfen organisieren"

Mit einem Demografiegipfel will die Bundesregierung Konzepte für den Bevölkerungswandel in Deutschland erarbeiten. Im Interview erläutert der Direktor des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung, Reiner Klingholz, was er von der Veranstaltung hält und welche konkreten Aufgaben vor der Politik liegen.

 (DR)

KNA: Herr Klingholz, was bringt der Demografiegipfel?

Klingholz: Nichts. Dort wird ja nichts Neues erarbeitet.



KNA: Das ist sehr wenig. Immerhin ist der Gipfel Teil der Demografiestrategie der Bundesregierung.

Klingholz: Schon der Begriff Strategie ist falsch. Das, was die Bundesregierung vorgelegt hat, ist eine Schilderung des Sachstands. Für eine Strategie bräuchte es aber konkrete Ziele. Und die fehlen bislang.



KNA: Wo sollte die Politik Ihrer Meinung nach ansetzen?

Klingholz: In fünf Bereichen: Bei den Sozialsystemen, der Familienpolitik, der Zuwanderung, der Bildung und beim Organisieren des Schrumpfens.



KNA: Fangen wir bei den Sozialsystemen an. Da setzt die Regierung doch durchaus Akzente - Stichwort Rente oder Pflegereform.

Klingholz: Es ist gut, dass die Diskussion über diese Themen beginnt. Aber Manches wird nicht angepackt. Nehmen wir die Pensionen unserer Staatsdiener, also zum Beispiel von Soldaten und Lehrern. Da sind bereits jetzt Ansprüche in Höhe von über 1,3 Billionen Euro aufgelaufen. Die lassen sich nicht wie die Renten senken und sind trotzdem nur zu einem geringen Teil durch Rücklagen gedeckt.



KNA: Was heißt das?

Klingholz: In dem bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen stehen viele der für die Auszahlung verantwortlichen Kommunen unter Hauhaltsaufsicht. Das heißt, sie dürfen keine neuen Schulden machen. Das müssten sie aber tun, wenn sie demnächst die in Scharen in den Ruhestand gehenden Beamten versorgen wollen. Wer kommt stattdessen dafür auf? Dazu gibt es keinerlei Überlegungen.



KNA: Sieht es bei der Familienpolitik besser aus?

Klingholz: Im Gegensatz zu der vielen Kritik, die es dazu gibt, bin ich der Meinung, das hier die Grundrichtung stimmt. Die Erwerbstätigkeit von Frauen zu erleichtern, die Betreuung von Kindern zu verbessern und die Männer an Erziehung und Haushalt zu beteiligen, sind Dinge, die eine Gründung von Familien erleichtern. Trotzdem wird all das aber nicht zu steigenden Kinderzahlen führen.



KNA: Warum?

Klingholz: Weil die Geburtenrate seit rund 40 Jahren konstant bei 1,4 Kindern liegt. Das ist inzwischen zur sozialen Norm geworden.

Die meisten Eltern von heute kennen gar keine Familien mit mehr als zwei Kindern.



KNA: Bleibt also, auf Zuwanderung zu setzen.

Klingholz: Leider fehlt auch hier eine konkrete Ansage. In der Demografiestrategie ist die Rede von einer zielgerichteten Migrationspolitik, um Engpässe auf dem Arbeitsmarkt zu beheben. Was wir aber stattdessen bräuchten, ist eine organisierte Zuwanderungspolitik, die qualifizierte Fachkräfte zu uns holt, die mittelfristig Bürger dieses Landes werden.



KNA: Müssen wir angesichts des Fachkräftemangels nicht auch mehr in die Bildung der nachwachsenden Generation investieren?

Klingholz: Bildung ist extrem wichtig. Gerade weil wir künftig immer weniger junge Leute haben werden, müssen wir diese besser ausbilden. Pro Jahr schafft derzeit jeder Fünfte nicht einmal die Hauptschule oder gilt als nicht ausbildungsfähig. Diese Quote ist eindeutig zu hoch. Ebenso wichtig ist aber das berufsbegleitende Lernen, weil das Wissen immer schneller veraltet. Körperlich mögen viele noch in der Lage sein bis 67 zu arbeiten. Aber wenn sie das notwendige Wissen nicht haben, bringt das nichts.



KNA: Wo werden denn künftig die Jobs zu finden sein, wenn es immer weniger Arbeitnehmer gibt?

Klingholz: Eindeutig in den urbanen Zentren. Die Landflucht dagegen wird zunehmen. Als Folge davon werden einzelne Regionen zunehmend veröden. Zwei von drei ländlichen Gemeinde im Osten Deutschlands verlieren schon jetzt pro Jahr mindestens ein Prozent ihrer Bevölkerung. Das heißt: Die Infrastruktur wird immer schlechter, auf den Dörfern machen die Läden dicht und die Busse halten da nicht mehr.



KNA: Im Demografiebericht der Bundesregierung liest sich das etwas anders. Da ist von gleichwertigen Lebensbedingungen in Stadt und Land die Rede.

Klingholz: Das ist ein Phantom, dem die Bundesregierung hinterher läuft. Man sollte den Leuten stattdessen reinen Wein einschenken und sich darüber unterhalten, mit wieviel Leuten wir tatsächlich mittel- und langfristig in Deutschland leben wollen. Im Jahr 2060 werden es bis zu 14 Millionen weniger sein. Dafür brauchen wir einen Ordnungsrahmen. Alle unsere Gesetze sind aber auf Wachstum ausgelegt. Wir müssen lernen, das Schrumpfen zu organisieren.



KNA: Können die Kirchen etwas zu diesem Prozess beitragen? Sie sind schließlich in den eigenen Reihen massiv vom demografischen Wandel betroffen.

Klingholz: Im Osten sind die Kirchen eine wenig relevante Größe. Aber vor allem im Westen sind sie immer noch ein bedeutender Träger von sozialen Einrichtungen. Über kurz oder lang wird sich die Frage stellen, ob sie weiterhin konfessionell getrennte Wege gehen, oder Krankenhäuser und Altenheime zusammenlegen, um sie weiter betreiben zu können.



Das Interview führte Joachim Heinz.