domradio.de: "Sie waren gestern in einem kleinen Dorf, zwölf Kilometer entfernt von der Grenze zu Nigeria, da halten sich Flüchtlinge auf. Was haben sie dort gesehen?"
Sabine Wilke (Pressesprecherin Care): "Die Menschen, die ich gestern getroffen habe, sind geflohen vor Gewalt und zeigen sehr, sehr viel Hoffnungslosigkeit, was mich wirklich erschüttert hat. Sie berichten von Dörfern, die überfallen wurden. Ein 17-jähriges Mädchen erzählte mir, dass es von bewaffneten Männern über mehrere Wochen festgenommen wurde, zusammen mit anderen jungen Frauen. Diese wurden nach und nach verheiratet. Ich bin sehr beeindruckt von der Gastfreundschaft und der Offenheit dieser Dorfgemeinschaft. Der Niger ist tatsächlich das ärmste Land der Welt, die Hälfte der Menschen leidet an Nahrungsknappheit. Und nun teilen sie das wenige, das sie noch haben, mit diesen Menschen aus Nigeria. Das ist wirklich sehr, sehr beeindruckend zu erleben."
domradio.de: "Unter welchen Bedingungen leben die Menschen denn dort – Stichwort Trinkwasser oder Kanalisation?"
Sabine Wilke (Care): "Es ist tatsächlich die große Herausforderung, auch für Hilfsorganisationen, dass die Flüchtlinge nicht zentral in zwei oder drei Camps untergebracht sind, sondern über geschätzte 130 Ortschaften verteilt. Die Flüchtlinge bekommen von Organisationen das nötigste, zum Beispiel Plastikplanen. Wir reparieren Wasserstellen, wir organisieren Nahrungsmittel-Verteilungen, aber wir haben große Probleme, alle Menschen zu erreichen. Wegen der knappen Ressourcen bedeutet das auch, dass wir nicht nur den Flüchtlingen helfen, sondern auch den Gastdörfern, weil sie auch nur mit dem Nötigsten klarkommen müssen. Es ist eine sehr schwierige logistische Operation. Auf dem Landweg braucht man zwei Tage von der Hauptstadt, um hierher in den Osten des Landes zu kommen. Die Telefon- und Internetverbindungen sind sehr schlecht. Alles, was hier an Hilfe organisiert wird, braucht seine Zeit und braucht sehr viel logistische Unterstützung."
domradio.de: "Morgen werden sie auf der nächsten Station ihrer Reise zu einem Auffanglager fahren. Gibt es denn Perspektive für Flüchtlinge, die sich in einem solchen Lager befinden?"
Sabine Wilke (Care): "Im Moment ist die unmittelbare Perspektive, dass die Regierung des Niger die Errichtung von zwei Flüchtlingscamps erlaubt hat. Care organisiert den Transport von Menschen in diesen Auffanglagern – wenn sie es denn möchten – in die etwas solideren Strukturen. Die sind aus Sicherheitsgründen mindestens 50 Kilometer von der Grenze entfernt. Viele Menschen möchten das aber nicht, weil sie eben hoffen, auch schnell wieder nach Hause zurück zu kommen. Viele haben noch Verwandte in Nigeria. Es ist eine Bevölkerung, die nicht darauf aus ist, hier definitiv Fuß zu fassen, sondern sie möchten zurück in ihre Heimat und hoffen, dass sie - auch durch den Militäreinsatz der letzten Monate – wieder zurück nach Hause können. Aber in der Zwischenzeit müssen wir alles dafür tun, dass die Menschen hier überleben können und dass die Gastgemeinden unter dem starken Druck nicht zu Boden gehen."
domradio.de: "Mit welchen Erkenntnissen werden Sie denn nach Deutschland zurückkommen? Wie kann Care konkret helfen im Niger?"
Sabine Wilke (Care): "Die wichtigste Erkenntnis ist, dass wir unsere Hilfsoperation gut organisieren können, vor allem, weil Care schon seit vielen Jahren in der Region tätig ist. Das heißt, wir sind in den Gemeinden bekannt. Wir haben auch schon vorher vor Ort Hilfe geleistet für die Bevölkerung. Und das führt dazu, dass wir eine große Akzeptanz haben. Ich nehme auch mit, dass humanitäre Hilfe hier sehr viel Logistik benötigt. Das kostet Geld, wir müssen Lastwagen beschaffen, wir brauchen Benzin, wir müssen Fahrer anstellen, für all diese Dinge sind natürlich auch Spenden notwendig. Und gerade die sind für diese Krise nicht so stark, wie wir uns das wünschen würden. Das heißt, meine Aufgabe ist es, von den Menschen zu erzählen, die dringend Unterstützung brauchen."