Flüchtlingsbeauftragte über Drohungen gegen Hamburger Pastor

"Stimmungsmache voller Hass und Rassismus"

Nach einem tödlichen Messerangriff in Hamburg bekommt ein Pfarrer Drohbriefe. Der mutmaßliche Täter hat eine Zeit lang in seiner Kirche gelebt. Die Flüchtlingsbeauftragte der Nordkirche, Dietlind Jochims, beklagt mangelnden Respekt vor den Opfern.

Kirchenasyl / © Markus Linn (KNA)
Kirchenasyl / © Markus Linn ( KNA )

DOMRADIO.DE: Der mutmaßliche Täter des tödlichen Angriffs auf eine Mutter und ihre kleine Tochter in Hamburg vor einigen Wochen hat mal in der St. Pauli Kirche gelebt. Hat das Kirchenasyl in dieser Diskussion etwas zu suchen?

Dietlind Jochims (Vorstandsvorsitzende der ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche und Flüchtlingsbeauftragte der Nordkirche): Hier wird leider vieles vermischt. Mit dem Entsetzen über den Mord, der stattgefunden hat, hat das leider gar nichts zu tun. Auf St. Pauli wurde vor fünf Jahren Menschen in einer humanitären Notlage geholfen. Eine Gruppe von Geflüchteten drohte, mitten in Hamburg auf der Straße zu verelenden. Damals handelte es sich nicht um Kirchenasyl. Denn dafür gibt es bestimmte Voraussetzungen und Vorgehensweisen, und längst nicht jeder Aufenthalt in einer Kirche ist ein Kirchenasyl.

DOMRADIO.DE: Sie sind im ökumenischen Netzwerk Kirchenasyl. Versuchen die im Netzwerk Aktiven, die Hilfesuchenden einzuschätzen, ob die vielleicht irgendwann einmal straffällig werden könnten?

Jochims: Es findet natürlich eine sorgfältige Prüfung statt, was die Notlage und auch was die Perspektive nach einem Kirchenasyl angeht. Und es wird geschaut, ob jemand zu dem Zeitpunkt straffällig geworden ist. Aber die Frage, was in fünf oder zehn Jahren sein wird, wie sich ein Mensch im weiteren Laufe seines Lebens verhalten wird, die lässt sich nicht beantworten. Was für ein Menschenbild steckt dahinter, wenn man denkt, Menschen sind vorhersehbar nur gut oder schlecht?! Dass das nicht so ist, das wissen wir alle.

DOMRADIO.DE: Wie erleben Sie vor diesem Hintergrund die Debatte über den Hamburger Vorfall?

Jochims: Sie ärgert mich. Ich finde es in erster Linie furchtbar, wie wenig Anstand gegenüber den Opfern manche zeigen. Mich macht wütend, dass nicht einmal davor zurückgeschreckt wird, einen furchtbaren Mord zu instrumentalisieren. Es werden Zusammenhänge konstruiert, die es nicht gibt. Es wird polarisiert und gehetzt. In erster Linie gegen Geflüchtete, die als potenzielle Gewalttäter beschrieben werden. Gegen das Kirchenasyl - auch wenn der Mann, der jetzt zum Mörder wurde nie im Kirchenasyl war. Gegen die Kirchen - denen eine Mitschuld unterstellt wird. "Falsches Denken kann schlimme Folgen haben", heißt es da zum Beispiel. Es wird gehetzt gegen den Kollegen, der "Mörder" genannt wird. Das ist keine Betroffenheit über den Tod zweier Menschen, das ist Stimmungssache voller Hass und Rassismus.

DOMRADIO.DE: Sie sagen, Kirchenasyl ist immer eine offizielle aber nicht unbedingt öffentliche Sache. Was bedeutet das?

Jochims: Offiziell ist jedes Kirchenasyl, weil es nicht um etwas Verstecktes oder Geheimes geht. Den zuständigen Behörden wird immer umgehend Bescheid gegeben, wer sich wo in kirchlichem Schutz befindet. Das ist wichtig, um gemeinsam nach einer Lösung zu suchen. Aber öffentlich, im Sinne von Öffentlichkeitsarbeit oder Medienberichten, machen wir Kirchenasyle meist nicht. Das ist nur selten hilfreich bei der Suche nach Lösungen, und es könnte die Menschen im Kirchenasyl sogar gefährden.

DOMRADIO.DE: Glauben Sie, dass Fälle wie der aktuelle aus Hamburg dazu beitragen, dass Gemeinden ihr gewährtes Kirchenasyl noch weniger öffentlich werden lassen?

Dietlind Jochims: Kirchenasyl ist kein Verstecken. Und ich hoffe sehr, dass wir uns nicht schrecken lassen im Einsatz für Menschen in Not und für Menschenrechte. Ich denke, wir werden weiter umsichtig sein. Vielleicht ist aber auch zu überlegen, wie wir der Lautstärke und der gezielten Desinformation durch manche Berichterstattung offensiver entgegen treten. Das ist sicherlich etwas, das wir diskutieren werden.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Quelle:
DR