Florian Neuhann hat Leben seiner Großtante aufgeschrieben

Die fremde vertraute Tante

Es sind zwei sehr unterschiedliche Menschen, die in dem Buch «Theodula & ich» aufeinandertreffen und miteinander reisen.

Autor/in:
Gudrun Lux
 (DR)

Schwester Theodula, 1918 als Agnes Müller in der Eifel geboren, seit 1950 in Südafrika tätig, fest im Glauben und politisch kampferprobt. Und ihr Großneffe, der Autor Florian Neuhann.

Neuhann ist Jahrgang 1980, katholisch sozialisiert, aber kaum noch an die Kirche gebunden, Fernsehjournalist, der in einer Berliner WG als Single lebt und in seinem Leben nur auf der ein oder anderen Demonstration war.

Fasziniert hatte ihn "Tante Agnes" schon als Kind, die Schwester seiner Großmutter, die alle fünf Jahre aus dem fernen Südafrika zu Besuch kam. Als er älter wurde, erfuhr Neuhann mehr aus dem Leben seiner Großtante - vom Widerstand gegen den Nationalsozialismus in Deutschland und die Apartheid in Südafrika, von ihrem Einsatz als Lehrerin und Professorin, ihrem Engagement für Reformen in ihrem Orden und ihrer Kirche. Und eines Tages wurde dem jungen Journalisten klar: Ein solches Leben, das muss man aufschreiben. Er bat seine Großtante, ihre Biografie schreiben zu dürfen. Sie willigte ein.

Als 27-Jähriger brach Neuhann nach Südafrika auf, noch ohne genau zu wissen, wie er an die Biografie herangehen sollte. Mit vollgeschrieben Notizbüchern, auf Band aufgezeichneten Gesprächen und unzähligen Eindrücken kam er zurück nach Berlin, wo er zu der Zeit als Redakteur für eine politische Talkshow arbeitete. Ein Jahr später begann er zu schreiben. Doch Neuhann schrieb nicht nur das Leben der alten Dame auf - vielmehr ist sein Buch "Theodula & ich" Zeugnis einer ungewöhnlichen Begegnung.

Sehr persönliches Buch
"Es war eine bewusste Entscheidung, das Buch auch als Geschichte unserer Begegnung zu schreiben", sagt Neuhann jetzt. Die Reise nach Südafrika, das Erforschen des Lebens seiner Großtante, das alles habe auch ihn verändert, erzählt er. "Ich bin kein unabhängiger Historiker, sondern bin verwandt mit der Frau, über die ich schreibe. Die Begegnung mit ihr hat mich verändert. Ich fand es ehrlicher, das auch im Buch so zu thematisieren." Und so ist das Buch ein sehr persönliches Buch geworden.

Immer wieder vergleicht der Autor das Leben der Ordensschwester mit seinem eigenen, das vielleicht stellvertretend ist für das Leben und Empfinden vieler junger Menschen seiner Generation. Als die Ordensfrau davon erzählt, wie sie in einer Widerstandsgruppe im westfälischen Altenbeken heimlich die kritischen Predigten des "Löwen von Münster", Bischof Clemens August von Galen, gegen die Euthanasie verbreitete, fragt der Großneffe: "Hättet ihr nicht mehr tun müssen?" - "Tante Agnes" ist empört. Wie könne der Junge beurteilen, was sie damals hätte tun müssen? Neuhann reflektiert: "Wie recht Agnes mit ihrer Empörung doch hat! Nie musste ich in meinem bisherigen Leben fürchten, für eine Überzeugung verfolgt, vor ein Gericht gestellt zu werden und womöglich auch mein Leben zu lassen."

Doch vor allem in Hinblick auf seinen Glauben wird die Begegnung mit der Missionarin für den jungen Mann wichtig. "Ich bin als Kind zur Kirche gegangen und war sogar Ministrant. Doch irgendwann hat sich die Kirche aus meinem Leben verabschiedet", berichtet er. Es gibt kein Datum, keinen Termin, an dem er der Kirche den Rücken gekehrt hat. Nur irgendwann "gab es keine Berührungspunkte mehr". Neuhann bedauert das heute: "Ich wünsche mir eine Heimat in Glaubensfragen." Die Begegnung mit seiner Tante und ihrem Glauben, der keine Zweifel zugelassen habe, habe ihn sehr beeindruckt. Im Buch zieht Neuhann die Bilanz: "Ich bin nicht nichtgläubig." Nur eine Zwischenbilanz, bekennt er freimütig im Gespräch: "Das ist ein Prozess, der nie abgeschlossen sein wird." Dass er, wie seine Großtante es sich gewünscht hätte, selbst irgendwann in einem Kloster landet, "das kann man wohl ausschließen", meint er allerdings.

"Tante Agnes" starb, 91-jährig, kurz bevor Neuhann das Manuskript fertigstellte. Sie war gespannt auf das Buch, das ihr Leben beschreiben sollte. Gelesen hat sie es nicht mehr.