Finanzielle Hilfen für Zentralrat der Juden verdoppelt

Neuer Staatsvertrag

Die jüdische Gemeinschaft in Deutschland kann künftig mit höheren staatlichen Zuschüssen rechnen. In einem neuen Staatsvertrag zwischen der Bundesregierung und dem Zentralrat der Juden werde eine Verdoppelung der finanziellen Zuwendungen garantiert, sagte Zentralratspräsident Dieter Graumann im Interview und zieht eine Bilanz seines ersten Amtsjahres.

 (DR)

epd: Herr Graumann, seit einem Jahr stehen Sie an der Spitze des Zentralrates der Juden. Sie wollen für frischen Wind in der jüdischen Gemeinschaft sorgen. Ist der Mentalitätswechsel gelungen? Wie fällt Ihre bisherige Bilanz aus?

Dieter Graumann: Bilanzsaison beim Zentralrat? Besser geht"s nicht: Denn ganz aktuell haben wir einen enormen Verhandlungserfolg zu verbuchen, den eigentlich größten in der Geschichte des Zentralrats. Wir werden in den nächsten Tagen einen neuen Staatsvertrag unterzeichnen, der uns eine Verdoppelung der bisherigen finanziellen Zuwendung garantiert, von bisher fünf Millionen auf nunmehr zehn Millionen. Ich selbst habe das ganze Jahr über wirklich sehr hart um diesen Erfolg gekämpft - und bin daher sehr froh, und auch ein wenig stolz, dass er mir jetzt auch geglückt ist, zumal in so schwierigen Zeiten. Nun sind wir in der Lage, den Zentralrat und unsere Arbeit zum Wohle des neuen pluralen Judentums in eine ganz neue Ära zu katapultieren. Das ist doch eine stolze Bilanz mit idealem Timing für den Jahrestag meiner Wahl!



Wie ich oft sagte, geht es mir aber auch um einen Perspektivwechsel: Judentum will ich anders, moderner und positiver positionieren. Natürlich ist ein derartiger Mentalitätswechsel ein Prozess, der seine Zeit braucht, aber doch seit 365 Tagen sehr konsequent vorangetrieben wurde. Wir haben es geschafft, innerhalb der jüdischen Gemeinschaft, wie auch außerhalb das Image des "Dauer-Mahners" sozusagen zu einem positiven "Dauer-Brenner" hin zu ändern, indem wir auch den ganzen Reichtum an positiven Dimensionen des Judentums, seine herzlichen Traditionen, die vielfältige Kultur ein Stück weit in den Mittelpunkt gestellt haben. Natürlich haben wir uns aber auch weiterhin für das eingesetzt, was uns am Herzen liegt, ob es um das Gedenken der Shoah geht oder wie neuerdings, wenn es gegen den Rechtsterrorismus im Land geht.



epd: Eine Daueraufgabe ist die Integration der jüdischen Zuwanderer aus der früheren Sowjetunion. Wie verändert sich dadurch das Judentum in Deutschland?

Graumann: Das Judentum in Deutschland hat durch die Zuwanderung erst überhaupt wieder eine ganz neue Zukunft bekommen. Sie war ein Glück und Segen für uns alle. Durch unsere neuen Mitglieder, die wir stets mit offenen Herzen empfangen haben, wurde unsere Gemeinschaft nicht nur größer, sondern auch vielfältiger. Wir haben eine neue jüdische Pluralität, die inzwischen jüdische Normalität geworden ist.



Und dies unter dem politischen Dach des Zentralrats zu vereinen, bleibt eine unserer Hauptaufgaben und zugleich unserer Herausforderungen, um eine gemeinsame, starke jüdische Zukunft als integralen Bestandteil der deutschen Gesellschaft zu etablieren und zu sichern. Jeder, egal woher er oder sie kommt, und egal nach welcher Facon er oder sie ihr Judentum auslebt, ist also nicht nur bei uns willkommen, sondern bei uns wirklich Zuhause!



epd: Mit der Linkspartei haben Sie heftig über antisemitische und antiisraelische Tendenzen gestritten. Sind Sie mit dem Ergebnis zufrieden?

Graumann: Nur weil das Thema nicht mehr die Schlagzeilen dominiert, heißt es nicht, dass das Problem schon behoben wurde und schon gar nicht, dass wir es vergessen werden. Nach wie vor glaube ich, dass es in der Linkspartei regelrechte Israel-Hasser gibt, die zuweilen einen latenten Antisemitismus betreiben. Die Linke muss sich diesem Problem stellen und dabei darf dann sogar auch die Möglichkeit eines Parteiausschlusses gewisser Mitglieder kein Tabu mehr sein.



Allerdings ist die Aufnahme des Existenzrechtes Israels in das Parteiprogramm ein erster Schritt in die richtige Richtung. Ich möchte aber auch hier betonen, dass die Linkspartei keine antisemitische Partei ist. Sie engagiert sich vorbildlich im Kampf gegen rechts, vor allem im Osten. Das habe ich ihr stets hoch angerechnet. Inwieweit sie es aber schafft, sich von den von eingefleischtem, von Israel-Hass zerfressenen Mitgliedern wirklich glaubwürdig abzugrenzen, werden wir sehen. Wir wünschen ihr viel Erfolg dabei.



epd: Nach Ihrem Amtsantritt gab es rasch ein Treffen mit Muslimen. Wie wurde dieses Signal aufgenommen?

Graumann: Es wurde sehr positiv angenommen. Der Zentralrat hat sich stets für die Muslime im Land eingesetzt, so waren wir auch die allerersten, die sich gegen die schrecklichen Sarrazin-Thesen gestellt haben. Wir haben also eine freundschaftliche Beziehung zur muslimischen Community, die im letzten Jahr nochmals verstärkt wurde.



Und gerade in diesen schweren Zeiten stehen wir besonders an ihrer Seite und fühlen mit ihnen, das sollen sie immer wissen. Wir haben aber bei unseren Gesprächen auch immer den muslimischen Antisemitismus angesprochen, der leider vermehrt in Deutschland zu finden ist. Hier fordern wir die muslimischen Vertreter auf, viel stärker dagegen vorzugehen. Wir helfen ihnen gerne dabei.



epd: Im September gab es eine Begegnung mit Papst Benedikt XVI. bei dessen Deutschland-Besuch. Wie ist es um den Gesprächsfaden zwischen dem Judentum und den christlichen Kirchen bestellt?

Graumann: Als "ältere Brüder" der Christen haben wir natürlich ein sehr enges Verhältnis, welches gerade hier in Deutschland nach dem Krieg durch mutige und engagierte Menschen beider Seiten vorangetrieben wurde. Leider gibt es aber auch Themen, die uns nach wie vor schmerzen. Diese habe ich bei dem sehr freundlich verlaufenen Treffen mit Papst Benedikt auch, in aller freundschaftlichen Offenheit, angesprochen: Die Exkommunikation der Piusbruderschaft, die mögliche Seligsprechung von Papst Pius XII. und die wieder aufgenommene Karfreitagsfürbitte, welche zur Missionierung der Juden aufruft. Insgesamt ist inzwischen eine besondere und vertrauensvolle Beziehung gewachsen, die uns wichtig ist und die wir hüten wollen. Ich habe daher keinerlei Zweifel, dass wir in eine positive gemeinsame Zukunft gehen.



epd: Nach der Neonazi-Mordserie hat sich der Bundestag beschämt geäußert, die Bundeskanzlerin sprach den Angehörigen der Opfer ihre Anteilnahme aus. Was für eine Erklärung gibt es dafür, dass das Ausmaß rechter Gewalt von den Sicherheitsbehörden so unterschätzt wurde?

Graumann: Ich habe darauf, offen gesagt, auch keine überzeugende Antwort. Ich bin genauso schockiert wie die meisten Bürger. Der Zentralrat hat stets auf die Gefahr von Rechtsextremismus aufmerksam gemacht, was aber meist nur als "Überempfindlichkeit" abgetan wurde. Erst diese furchtbaren Ereignisse mussten beweisen, dass wir leider doch in gewisser Weise Recht hatten, auch wenn ich mir dieses Ausmaß an Gewalt und diese mörderische Explosion von Hass niemals vorgestellt hätte. Sicher sind hier auch viele Fehler gemacht worden.



Wir wollen aber den Behörden weiter vertrauen können, daher werden sie nun wichtige Fragen beantworten müssen. Sagen will ich aber

dennoch: Wir selbst fühlen uns nach wie vor sicher in Deutschland, und dieses Gefühl lassen wir uns auch von fanatischen Extremisten niemals nehmen.





Das Interview führte Rainer Clos.



Hintergrund

Die jüdische Gemeinschaft in Deutschland kann künftig mit höheren staatlichen Zuschüssen rechnen. In einem neuen Staatsvertrag zwischen der Bundesregierung und dem Zentralrat der Juden wird eine Verdoppelung der finanziellen Zuwendungen garantiert



Der erste Staatsvertrag zwischen Regierung und Zentralrat wurde 2003 unterzeichnet und damals als "historisches Ereignis" gewertet.

Bei der Verlängerung 2008 wurden die staatlichen Zuwendungen auf fünf Millionen Euro erhöht. In dem neuen Staatsvertrag werden nun zehn Millionen Euro zugesagt.