FDP-Chef Lindner zur Rolle der Religion in der Gesellschaft

"Quelle für Zusammenhalt, Sinn und Wertvorstellungen"

Moschee-Steuer, Kreuzerlass und Zuwanderung: Religion darf in der politischen Diskussion kein Mittel zum Zweck sein, sie ist aber wichtig für die Gesellschaft, sagt FDP-Chef Christian Lindner.

Christian Lindner  / © Bernd von Jutrczenka (dpa)
Christian Lindner / © Bernd von Jutrczenka ( dpa )

An seinem 18. Geburtstag trat Christian Lindner aus der katholischen Kirche aus: "Es ist für einen naturwissenschaftlich interessierten Menschen wie mich eine Hürde, sich mit metaphysischen Fragen zu beschäftigen. Die Dogmen kommen noch dazu", sagt er im Interview mit der "Zeit"-Beilage "Christ und Welt".

Dennoch betrachte er Religion als wertvoll für die Gesellschaft. Sie sei "eine Quelle für Zusammenhalt, Sinn und Wertvorstellungen." Auch stehe es den Kirchen als gesellschaftlichen Akteuren frei, sich in politischen Fragen zu Wort zu melden. Dennoch brauche die Gesellschaft einen "ethischen Minimalkonsens, der unabhängig von einer einzelnen Religion ist. Sonst fliegt der Laden auseinander", mahnte der Parteivorsitzende. Ein "Integrationskonsens", den sowohl säkulare als auch religiöse Bürger für sich begründen könnten, müsse dem Christentum gleichwohl nicht widersprechen.

Des Weiteren warnt Lindner vor "jeder Form der Symbolpolitik mit religiösen Zeichen". Er sei dafür, dass Bestehendes bleiben könne, etwa ein Kreuz, das seit Jahrzehnten in einem Gerichtssaal hänge. "Zugleich ist mir wichtig, dass niemand das Gefühl hat, in der vielfältigen und toleranten Gesellschaft wird ihm etwas weggenommen." Diskussionen wie jene um den bayerischen Kreuzerlass oder über den Lebensschutz seien "Bypässe", erklärte Lindner. "Es gibt eine identitäre Konfliktlinie in der Gesellschaft, die durch die Migrationsfrage offenbar geworden ist. Und statt die Migrationsfrage einfach zu lösen, durch ein weltoffenes, zugleich steuerndes Einwanderungsgesetz, werden andere Fragen kompensatorisch hochgezogen."

Kritik am Papst

Kritik übte der FPD-Chef in diesem Zusammenhang an der CDU: "Ich sehe da restaurative Tendenzen." Er glaube nicht, dass alle diese Form von Konservatismus wollten, "auch nicht alle Christinnen und Christen". Auch eine "konservative Haltung" von Papst Franziskus "in bestimmten Glaubensfragen" störe ihn, so Lindner. Die wirtschaftspolitische Position des Papstes halte er "für einen Rückfall hinter 'Centesimus annus' von Johannes Paul II." Die Sozialenzyklika von 1991 geht auf die Lage des Westens genauso ein wie auf die Situation von Entwicklungsländern. Die Aussagen von Franziskus seien dagegen "einzig geprägt aus der lateinamerikanischen Perspektive. Das finde ich fragwürdig für einen Führer der Weltkirche", so Lindner.

Mit Blick auf die religiöse Landschaft in Deutschland spricht sich Lindner für eine Moscheesteuer aus. Er sehe derzeit keine Alternative zum Modell der Kirchenfinanzierung in Deutschland, und dieses Instrument stehe "grundsätzlich" auch muslimischen Gemeinden offen. "Sie müssten sich aber selbst um die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts bemühen und ihre Mitglieder registrieren. Das kann nicht vom Staat aus organisiert werden."

NRW-Staatssekretärin Serap Güler (CDU) hatte vor Weihnachten die Idee einer Moscheesteuer aufgebracht. So könnten Islamverbände in Deutschland eine größere Unabhängigkeit vom Ausland erhalten, hieß es. Mehrere Politiker, unter anderem von Union und den Grünen, äußerten sich zustimmend. Mehrere Vertreter der Muslime bezeichneten das Modell als unrealistisch, weil es der traditionellen Organisationsstruktur des Islam widerspreche.

Stärkung liberaler Muslime

Gleichzeitig drängt Lindner auf eine intensivere Unterstützung für liberale Muslime in Deutschland. Leider seien die liberalen Muslime "nicht so gut organisiert. Es sind eher Einzelpersonen, die innerhalb der islamischen Community für neues Denken argumentieren". Er fürchte zudem, dass der Anteil der liberalen Muslime "durch die Migrationsbewegungen der letzten drei Jahre gesunken ist". Bei sehr frommen Muslimen, so Lindner, gebe es "oft eine Nähe auch zu autoritären Vorstellungen in der Politik".

Er finde es gut, wenn säkulare und liberale Muslime häufiger auf Konferenzen vertreten wären, so Lindner. Die Debatte über die Ausrichtung des Islam müsse aber jeder Einzelne führen, nicht der Staat. "Ich darf den Verkäufer hinter der Theke an meinem Kiosk fragen. Und ich darf meinen Nachbarn oder meinen Taxifahrer fragen, ob er mich als Ungläubigen sieht, der verachtet wird. Solche Diskussionen sind notwendig", betonte der Politiker.

Insbesondere sieht Lindner die Muslime selbst gefragt. "Ich vergleiche das mit den Debatten über die katholische Kirche und ihre Dogmen in den Fünfziger- und Sechzigerjahren." Der Ruf nach Erneuerung sei damals nicht von der Regierung, sondern aus der Mitte der Gesellschaft gekommen. "Und am Ende war die Kirche nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil eine andere. Schon klar: Im Islam ist ein solches Aggiornamento schwerer zu erreichen, weil es keine einheitliche Lehrmeinung gibt.

Er wundere sich, wie zurückhaltend viele in der aktuellen Debatte seien, sagte Lindner weiter: "Gerade die politische Linke und die Frauenbewegung, die so vehement gegen die katholische Kirche diskutiert haben, sind bei konservativen Muslimen debattenscheu." Man höre fast nur konservative Politiker, die sich regelrecht am Islam abarbeiteten und das Christentum zur Staatsreligion ausrufen wollten. Er finde es indes "rätselhaft, wenn erklärt werde, dass der Islam zu Deutschland gehöre oder eben nicht": "Es gibt ja gar nicht 'den Islam'", so der FDP-Chef.


Quelle:
KNA