FAZ-Korrespondent Bremer wechselt von Jerusalem nach Rom

"Von der Umkämpften in die Selbstsichere"

Als Korrespondent hat Jörg Bremer 18 Jahre lang für die Frankfurter Allgemeine Zeitung aus Jerusalem berichtet. Seine drei Kinder wurden in der Heiligen Stadt groß. Aber sein anfänglicher Enthusiasmus ist wegen des anhaltenden Nahost-Konflikts einer spürbaren Traurigkeit gewichen. Anfang Februar hat Bremer den Posten an seinen Nachfolger Hans-Christian Rößler übergeben, um Mitte des Jahres die Stelle des Rom- und Vatikankorrespondenten der FAZ zu übernehmen.

Autor/in:
Gabi Fröhlich
 (DR)

Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) beschreibt Bremer, was er aus der Heiligen Stadt in die Ewige mitnimmt und warum er sich als praktizierender Protestant auf das katholische Rom freut.

KNA: Herr Bremer, hat sich Jerusalem seit Ihrer Ankunft 1991 verändert?
Bremer: Wir kamen damals in eine offene Stadt, in der wir uns willkommen fühlten. Die Gesellschaft erschien vielfältiger als heute; überall gab es interessante und anregende Gespräche.
Jerusalem präsentierte sich mit Bürgermeister Teddy Kollek als säkulare Stadt, in der auch ein Christ willkommen war. Man hatte nicht das Gefühl, dass die muslimischen Araber auf der einen Seite und die ultraorthodoxen Juden auf der anderen die Stadt eines Tages in den Zangengriff nehmen würden. So aber empfinde ich das heute.

KNA: Welchen Effekt hatte diese Entwicklung?
Bremer: Ein Gutteil unserer säkularen jüdischen Freunde zog weg, manche gingen nach ihren Worten ins "Exil": Sie hatten keine Lust mehr zur Auseinandersetzung, zu ständiger Rechtfertigung, zu unendlichen Debatten über Religion oder Politik. Auch viele Christen gingen. Und die, die blieben, haben oft resigniert - sind ohne Kraft, um für ihre Identität zu kämpfen. Der neue, freilich säkulare Bürgermeister sieht in den Christen nur noch willkommene, weil zahlende Touristen. Die christliche Minderheit in der Stadt übersieht er bisher. Als wir kamen, kurz nach der ersten Intifada, gab es Gespräche überall. Heute gibt es nicht nur eine Mauer.
Jerusalem ist vielfach geteilt, zerstückelt.

KNA: Das klingt nach einem traurigen Resümee - gibt es auch Positives, was Sie aus Jerusalem mitnehmen?
Bremer: Es bleibt die Erinnerung an Freundschaften und liebgewonnene Plätze. Außerdem habe ich gerade über Kirche viel gelernt. Ich habe hier die Kirchenväter kennengelernt: Chrysostomos etwa, mit seinem modernen Buch über die Erziehung, oder Ephraim den Syrer, der aus Gassenhauern Liturgie-Gesänge formte.
Wahrscheinlich kam ich 1991 ähnlich blind hierher wie die Kreuzfahrer im Mittelalter, die wohl nie angenommen hatten, dass es etwas anderes geben könne als ihren eigenen Horizont. Dann aber entdeckte ich in der Grabes- und Auferstehungskirche fremde Kirchen: Griechen, Kopten, Syrer. Im Gespräch zu ihnen wuchs eine überraschende Nähe, entstand die eigene Kirchenheimat neu. So brachte mir ein griechisch-orthodoxer Bruder auf dem Sinai die Ikone als Weg geistlicher Kraftschöpfung nahe. Von koptischen Mönchen habe ich über die Gestalt des Judas gelernt: Für uns Westchristen ist er der Verräter, ein böser Mann. Die Kopten zum Beispiel aber sehen ihn als Heiligen - weil er erst den Gottesplan verwirklichte. Das stimmt. Das sind nur zwei Beispiele. Ich wurde reich beschenkt.

KNA: Manche Pilger reagieren allerdings auch verwirrt auf die religiöse Vielfalt im Heiligen Land, auf die ungewohnten Formen der Gottesverehrung.
Bremer: Man muss mit Offenheit auf Land und Menschen zugehen. Erst dann zeigen manche Plätze eine himmlische Kraft: die Berge rund um das Sinai-Kloster zum Beispiel. Da ahnt der Mensch den Heiligen Geist. Oder das Plateau zwischen El-Aksa-Moschee und Felsendom, das wie ein großer Altar wirkt - da ist Gott nah. Oder bestimmte Situationen am See Genezareth, die Jesu Welt erahnen lassen: vom Gebet bis zum Licht. Vieles in der Bibel wird plötzlich klar; vor allem die Gleichnisse erscheinen zeitlos. So stärkt das Heilige Land.
Zugleich erlebte ich den Glauben als ewige Baustelle. Mark Twain oder Kaiser Wilhelm II. fanden die Grabes- oder Auferstehungskirche grässlich, weil sie bei ihren festen Vorstellungen von "Heiligkeit" Bestimmtes erwarteten. Aber wenn in einer Kirche sechs christliche Denominationen zusammenleben müssen, gibt es Streit. Einigkeit ist dann etwas Besonderes. Merkt man nicht schon an sich selbst, wie man mit seinem eigenen Glauben ringt? Dies Ringen wurde in jener Kirche zu Stein. So kann ein Besuch in dieser vermeintlich unerträglich scheinenden Anastasis lehrreicher sein und glaubensfester machen als der Besuch in einer prunkreichen Kathedrale in Rom, wo alles eindeutig ist und es so scheint, als gebe es nur "den einen schönen Weg" zu Gott.

KNA: Jetzt gehen sie genau dorthin, wo alles so klar scheint. Rom war ein Wunschposten für Sie - warum?
Bremer: Jerusalem ist zwar die Hauptstadt unseres Glaubens, aber gleichzeitig ist sie umkämpft: Ständig ist alles in der Schwebe, ständig muss man sich bewähren. Das ist so anstrengend. Rom bietet dagegen eine gewisse ruhige Selbstgewissheit. Ich bin nun neugierig, Wesen und Entwicklung der Westkirche nachzuspüren, ihre frühe byzantinische Kraft etwa. Dann ist es für mich spannend zu lernen, wie der Katholizismus mit meinem Protestantismus umgeht.
Gleichzeitig reizt es mich aber auch, aus dem engen europäischen Geflecht der katholisch-protestantischen Beziehungen herauszukommen.
Rom ist Weltkirche, und da interessiert mich, was etwa philippinische oder südamerikanische Katholiken von ihrem Papst wollen. Kirche ist mehr und kommt aus anderen Zusammenhängen als die mit dem Protestantismus abgeschliffene, durch die Aufklärung gegangene westeuropäische katholische Kirche.

KNA: Ihr langjähriger Vorgänger in Rom, Heinz-Joachim Fischer, ist Katholik. War es eine bewusste Entscheidung der FAZ, nun einen Protestanten auf den Posten zu setzen?
Bremer: Nicht unbedingt. Aber ein Schaden ist es auch nicht. Oft wird die FAZ bei dem großen Wert, den sie auf kirchliche Themen legt, als mehr katholische Zeitung gesehen. Das ist ein Vorurteil.
Zugleich fragen sich manche auch in der Redaktion, ob ich als Protestant in Rom über den Heiligen Stuhl so gut wie mein Vorgänger berichten kann. Das ist gewiss eine Herausforderung - und ich werde viel lernen müssen. Vor allem werde ich nicht mit vorgefassten Meinungen kommen. Mit Vorurteilen über den "konservativen Papst".
Auf der anderen Seite bin ich aber, anders als viele katholische Kollegen, "in Kirche" zuhause. Und mancher katholische Bekannte in Deutschland meint, es sei gut, wenn mal ein aktiver Protestant den Posten in Rom übernimmt - ein Außenseiter. Da werden hohe Erwartungen laut, und ich werde kleine Brötchen backen.