Faruk Sen verlässt das Zentrum für Türkeistudien und baut deutsch-türkische Uni auf

Abgang mit Gesichtswahrung

Im Fall des abberufenen Direktors des Essener Zentrums für Türkeistudien (ZfT), Faruk Sen, haben sich das Land und der entlassene Wissenschaftler geeinigt. "Das Anstellungsverhältnis von Faruk Sen und der Stiftung Zentrum für Türkeistudien wird im gegenseitigen Einvernehmen zum 31. Dezember 2008 gelöst", teilte das Integrationsministerium am Dienstag mit.

Autor/in:
Ingo Lehnick
 (DR)

Gesucht wurde ein eleganter Abgang: Nach 23 Jahren an der Spitze des Essener Zentrums für Türkeistudien (ZfT) sollte der in Ungnade gefallene Direktor Faruk Sen ohne Gesichtsverlust seinen Hut nehmen können. Gefunden wurde am Dienstag eine neue Aufgabe: Der 60-jährige Wissenschaftler soll sich ab sofort um den Aufbau einer geplanten deutsch-türkischen Stiftungsuniversität in Izmir kümmern - und damit eine eigene Projektidee umsetzen.

Nach den wochenlangen Querelen um Noch-Leiter Sen und seinen umstrittenen Judenvergleich hofft das ZfT nun aus den negativen Schlagzeilen zu kommen und wieder mit dem von sich reden zu machen, was es seit vielen Jahren auszeichnet: wissenschaftliche Arbeit. «Die jetzt gefundene Lösung ermöglicht einen Generationenwechsel und sichert die Zukunft des Zentrums für Türkeistudien», erklärte denn auch das Düsseldorfer Integrationsministerium erleichtert.

Ressortchef Armin Laschet (CDU), zugleich Kuratoriumsvorsitzender des Zentrums, würdigte ausführlich die «außergewöhnliche Lebensleistung» Sens. Der promovierte Betriebswirt, dessen Name bislang untrennbar mit der renommierten Essener Forschungseinrichtung verbunden war, habe «einen wesentlichen Beitrag für die Anerkennung und die Integration der türkeistämmigen Bevölkerung in Deutschland geleistet». Das hohe nationale und internationale Ansehen des Zentrums für Türkeistudien sei Ausdruck dieser Lebensleistung.

Zu groß sind die Verdienste Sens als Mittler, Brückenbauer und Aufklärer zwischen Deutschen und Türken, als dass sich das Forschungsinstitut und die Politik einen Rausschmiss gegen den Willen des 60-Jährigen hätten leisten können. Deutlich wurde dies an namhafter Unterstützung für Sen in den vergangenen Wochen - nicht nur durch islamische Verbände und türkische Unternehmer, sondern auch durch den Zentralrat der Juden in Deutschland.

Sen selbst machte mehrfach deutlich, dass er seinen Posten nicht ohne weiteres räumen würde. Doch das Verhältnis des ZfT zu seinem Direktor war nach Einschätzung von Beobachtern schon länger zerrüttet. Als er in der türkischen Zeitung «Referans» die Diskriminierung von Türkeistämmigen in Europa mit der Judenverfolgung durch die Nationalsozialisten verglich, brachte dies offenbar ein Fass zum Überlaufen.

Fortlaufend verstoße der Wissenschaftler gegen den Stiftungszweck und schädige den Ruf des Zentrums, polterte der Vorstand und beantragte die Abberufung Sens. Er erhielt Hausverbot, die Schlösser im Gebäude wurden ausgewechselt. Neben dem «unverantwortlichen Vergleich von Türken und Juden» wurde Sen angelastet, er vermittle in türkischen Medien einen verzerrten Eindruck vom Zusammenleben von Deutschen und Türken und polarisiere, statt Verständnis zu fördern.

Auch als eitel und mediengewandt gilt Professor Sen, als liberaler Muslim ein gefragter Ansprechpartner der Politik. Wann immer ein Türkei-Thema aktuell wurde, präsentierte er kurz darauf eine neue Umfrage - sei es zur Zypern-Frage, zum Medienkonsum der Deutsch-Türken, ihrem Heimatgefühl, zum Kopftuch-Streit oder zu Ehrenmorden. Negative Schlagzeilen machte Sen im Herbst, als der Landesrechnungshof das ZfT und ihn persönlich wegen der Verwendung von Geldern kritisierte.

Mit der gütlichen Einigung wurde nun ein Ausweg aus der verfahrenen Situation gefunden. Am kommenden Freitag wollte das Kuratorium eigentlich über eine Entlassung entscheiden, es wird nun erst im September über einen personellen Neuanfang beraten. Sens Stellvertreter Andreas Goldberg behält bis dahin die kommissarische Leitung des ZfT. Sen stand seit der Gründung der unabhängigen Forschungseinrichtung im Jahr 1985 an ihrer Spitze. Nun ist er für die neue Aufgabe in Izmir beurlaubt, am 31. Dezember endet sein Anstellungsverhältnis.

Der 1948 in Ankara geborene liberale Muslim studierte an der Universität Münster Wirtschaftswissenschaften und schloss sein Studium Ende der siebziger Jahre mit der Promotion ab. Als einer der ersten bemühte sich Sen, die Integration von Türken in die deutsche Gesellschaft voranzutreiben. Dabei erwarb er sich über viele Jahre auch das Vertrauen der Politik. Für seine Verdienste wurde er mit dem Bundesverdienstkreuz und dem Verdienstorden des Landes NRW geehrt.