Fachleute erörtern neue Therapien für gefährliche Gewalt- und Sexualstraftäter

"Billiger als Wegsperren"

Die nachträgliche Sicherungsverwahrung von Straftätern ist immer wieder vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshof gerügt worden. Gezielte Täterbehandlung könnte deren Rückfallrisiken mindern. Am Freitag haben Experten darüber in Heidelberg beraten.

Autor/in:
Ralf Schick
 (DR)

Die psychotherapeutische Behandlung von Sexualstraftätern kann neuesten Forschungsergebnissen zufolge deren Rückfallrisiko deutlich reduzieren. Straftäter müssten lernen, kriminalitätsfördernde Situationen zu erkennen und mit ihnen umzugehen, ohne Straftaten zu begehen, sagt etwa der Direktor des Heidelberger Instituts für Kriminologie, Professor Dieter Dölling. Aus seiner Sicht müsste bereits öfter in der Hauptverhandlung geprüft werden, ob der Täter einer Therapie bedarf. Und die Gerichte müssten gegebenenfalls im Urteil Therapieweisungen erteilen - wie in der Schweiz.



Im Kanton Zürich sei durch eine konsequente psychotherapeutische Behandlung die Rückfallquote bei Gewalt- und Sexualstraftätern um mehr als 60 Prozent gesunken, betont die Opferschutzinitiative BIOS in Baden-Württemberg. Sie hatte im vergangenen Jahr erste Ergebnisse der Schweizer Studie präsentiert.



Diese Resultate seien ein fantastisches Ergebnis, sagt der Richter am Oberlandesgericht Karlsruhe, Klaus Böhm. Seit vielen Jahren fordert er gemeinsam mit der in Karlsruhe ansässigen BIOS, dass das deutsche Strafrecht im Umgang mit Schwerstkriminellen verändert werden müsse. So wie in der Schweiz, wo ein Richter die Verpflichtung zur umfangreichen Begutachtung von Gewalt- und Sexualstraftätern und therapeutische Maßnahmen schon in der gerichtlichen Hauptverhandlung anordnen kann.



Deliktorientierte Therapie gefordert

"Wir brauchen für alle in Betracht kommenden Fälle bereits im Gerichtsverfahren eine fundierte Diagnose und darauf aufbauend eine deliktorientierte Therapie, um die Wiederholung von schwersten Verbrechen nach Möglichkeit zu verhindern", sagt Böhm. Der Strafvollzug könne dies nicht leisten, "wie die Erfahrung zeigt". Ein verbesserter "präventiver Opferschutz" sei ist nicht nur die einzige Möglichkeit, Opfer wirklich zu schützen, sondern auch den stetigen Anstieg der Sicherungsverwahrungsfälle zu stoppen.



"Eine solche Änderung des Gesetzes gibt es in Deutschland noch nicht, wird aber mit Sicherheit irgendwann von Brüssel kommen", prognostiziert Böhm. Im März 2009 hatte die Initiative dem Bundesjustizministerium ein Memorandum mit all diesen Forderungen vorgelegt. Derzeit werde es unter anderem im Rechtsausschuss des Bundestages diskutiert. In der Denkschrift weist der Verein auch darauf hin, dass die Kosten für eine frühe therapeutische Behandlung wesentlich geringer seien als bei Rückfällen und erneuter Inhaftierung.



Die Studie aus der Schweiz belegt die BIOS-These, dass viel Geld eingespart werden könne. Im Kanton Zürich wurden aufgrund der seit 1997 konsequent vorgenommenen psychotherapeutischen Behandlungen von Gewalt- und Sexualstraftätern in oder außerhalb des Strafvollzugs die sonst angefallen Haftkosten um mehr als die Hälfte reduziert, die Rückfallquote sank um 63 Prozent auf nur noch drei Prozent.



"Mit Wegsperren ist es nicht getan"

"Mit Wegsperren ist es nicht getan", sagt auch der 73-jährige Unternehmer Manfred Lautenschläger. Auch ein Schwerstkrimineller wie Gewalt- und Sexualstraftäter sei ein Mensch, um den man sich kümmern müsse, ist der gebürtige Karlsruher und deutsche Unternehmer überzeugt. Deshalb unterstützt die Manfred Lautenschläger Stiftung den Opferschutzverein mit einer sechsstelligen Summe beim Aufbau zweier Behandlungsabteilungen in den Justizvollzugsanstalten Adelsheim und Offenburg.



Wenn ein aus der Sicherheitsverwahrung entlassener Straftäter durch die nachträgliche Bewachung "rund eine halbe Million Euro im Jahr" koste, eine erfolgreiche Therapie aber nicht mal ein Zehntel der Summe, dann schüttelt der Wirtschaftsexperte Lautenschläger nur den Kopf: "Jeder Investor würde hier anlegen, wenn er weiß, dass man jährlich mehrere Millionen Euro einspart."