Experten sorgen sich um Freiburger Münsterturm

Turm auf der Intensivstation

Ungewohnter Anblick für die Besucher des berühmten Freiburger Münsters: Mit rund um die Turmpyramide festgezurrten leuchtend orangen Spanngurten soll das 116 Meter hohe Wahrzeichen der Stadt am Fuße des Schwarzwalds für den Winter gewappnet sein. Aufwendige Simulationen hatten zuvor Statikprobleme offengelegt.

Autor/in:
Volker Hasenauer
Freiburger Münster: Mit Spanngurten gegen Statikprobleme (KNA)
Freiburger Münster: Mit Spanngurten gegen Statikprobleme / ( KNA )

"Jetzt brauchen wir auch vor Winterstürmen keine Angst mehr zu haben", sagt Münsterbaumeisterin Yvonne Faller. Wie aus dem Spanngurt-Provisorium indes eine für die nächsten Jahrzehnte tragende Dauerlösung werden kann, bleibt trotz intensiven Nachdenkens während der vergangenen Monate noch immer unklar.



Im Extremfall: Turmstabilität gefährdet

Zuletzt wurde den Turmsanierern immer deutlicher, dass die an zahlreichen, statisch sensiblen Punkten der Turmspitze gefunden Risse im Sandstein auf Probleme hindeuten, die im Extremfall die gesamte Turmstabilität gefährden könnten. Unklar ist, ob die von den mittelalterlichen Erbauern rund um den Turm gelegten Eisenringe (die sogenannten Ringanker) auch künftig genügend Kräfte aufnehmen können. Derzeit sieht es so aus, dass entlang der acht Seitenstreben des Turms Kräfte auftreten, die immer mehr Steine reißen lassen könnten.



Aufwendige Simulationen mit einem detailgetreu nachgebauten Turmmodell im Windkanal machten zugleich deutlich, dass der Turm stärkeren Windkräften ausgesetzt ist als bislang angenommen.



Die Hypothese, dass vielleicht auch der vom Eigengewicht des Turms herrührende Druck Steine in den unteren Etagen bersten lasse, konnte widerlegt werden. Mit einer industriehallenhohen Stahlpresse im Karlsruher Institut für Materialprüfung. "Das Experiment hat gezeigt, dass die Steine einen achtfach höheren Druck aushalten könnten, als sie es aufgrund des Gewichts der über ihnen verbauten Steinen müssen", erklärt die Münsterbaumeisterin.



Sanierung könnte im Frühjahr starten

Derzeit kontrollieren diverse Labore und Materialprüfer, wie stark der mittelalterliche Ringanker Rost angesetzt haben könnte. Zunächst gingen die Experten davon aus, dass der zwischen Sandsteinen verlegte und in Mörtel eingefasste Eisenring keinen nennenswerten Schaden genommen hat. "Wir schauen uns das alles über den Winter aber noch einmal ganz genau an, um dann im Frühjahr die richtigen Antworten zu finden und die Sanierung rasch voranzubringen", so der Projektleiter der Turmsanierung, Thomas Laubscher.



Um mehr Klarheit über die komplizierten Schadensbilder der verschiedenen Stellen zu erhalten, lässt die Münsterbauhütte zudem ein aufwendiges 3D-Computermodell des Turms programmieren. In dem mit einer Datenbank verknüpften Modell sollen mittelfristig alle Daten über Risse, Schäden und vorausgegangene Restaurierungen jedes einzelnen Steins zusammenfließen. Ein Modellprojekt, das - wenn es das Plazet des Landesamtes für Denkmalschutz erhält - künftig bei komplexen Sanierungen Vorbild sein könnte.



Falls es trotz aller Ursachenforschung aber nicht gelingen sollte, Konzepte zu entwickeln, um das statische Gesamtsystem für die kommenden Jahrzehnte sturmsicher zu machen, haben die Experten einen Plan B erarbeitet: Analog zum Funktionsprinzip der vor 700 Jahren verbauten Ringanker im Steininneren könnten im kommenden Jahr mehrere schmale Drahtseile oder Metallbänder außen um den Turm herum gelegt werden. Ein Eingriff in das überlieferte statische und ästhetische Prinzip allerdings, der auf Kritik stößt. "Wir werden alle Argumente sorgfältig gegeneinander abwägen und dann entscheiden", betont Münsterbaumeisterin Faller.



Wann der Münsterturm indes wieder einmal ohne Gerüste dastehen wird und wie viel Gelder für die Restaurierung noch nötig sein werden - darauf will sich in der Münsterbauhütte derzeit niemand festlegen.