Experten sehen Flüchtlingspolitik der EU-Kommission kritisch

Umverteilung auf Kosten der Betroffenen

Migrations-Experten sehen die von der EU-Kommission geplante neue Strategie zum Umgang mit der Flüchtlingskrise kritisch. Die Umsiedlungspläne gingen an den Bedürfnissen der Betroffenen vorbei.

Flucht nach Europa mit ungewissem Ausgang (dpa)
Flucht nach Europa mit ungewissem Ausgang / ( dpa )

Stefan Keßler vom Jesuiten-Flüchtlingsdienst in Brüssel kritisierte im domradio.de die Kommission-Pläne, die Interessen der betroffenen Flüchtlinge hätten "offenbar gar keine Rolle gespielt". Das aktuelle "starre Verteilungssystem soll durch ein anderes starres Verteilungssystem ersetzt werden. Das wird neue Probleme schaffen", prophezeite Kessler.

Für Flüchtlinge sei  es wichtig, in ein Land zu kommen, in dem sie Verwandte, Bekannte und Menschen aus ihrer Herkunftsregion antreffen, die ihnen bei der Integration und den ersten Schritten im neuen Land helfen können.

Die andauernde Weigerung einiger EU-Länder wie Ungarn, Polen und Großbritannien, mehr Flüchtlinge aufzunehmen, nannte Keßler "blanken Populismus". Im Zuge einer allgemeinen Europaskepsis würde auf dem Rücken der Flüchtlinge Wahlkampf und Innenpolitik gemacht.

"Es wird nicht funktionieren"

"Sowohl aus europäischer Sicht als auch vom Gesichtspunkt der Flüchtlinge müssen wir sagen, dass es nicht funktionieren wird", sagte der Direktor des italienischen Flüchtlingsrates (CIR), Christoph Hein, am Mittwoch im Gespräch mit hr-iNFO.

Der Völkerrechtler kritisierte den Plan, die in Europa ankommenden Flüchtlinge auf alle europäischen Länder zu verteilen: "Die Menschen werden in Länder gebracht, in denen sie niemanden kennen, wo sie nie hin wollten." Das werde dazu führen, dass die Flüchtlinge schon ein paar Tage später wieder in Bewegung seien: "Möglicherweise erneut mit Hilfe von Schleppern innerhalb Europas, um dorthin zu kommen, wo sie von vorneherein hin wollten." Stattdessen schlug Hein vor, die Flüchtlinge schon vorher anzuhören. Nur diejenigen, die keine familiären Beziehungen in europäischen Staaten haben, könnten dann auf andere Länder verteilt werden.

Um Bedürfnisse und Wünsche der Flüchtlinge schon frühzeitig zu erfahren, schlägt der Direktor des italienischen Flüchtlingsrates vor, in Afrika Zentren einzurichten, "wo die Menschen Informationen bekommen und ein Einreisevisum beantragen können". Es gehe darum, auf legale Weise nach Europa zu kommen.

Der Geschäftsführer von Pro Asyl, Günter Burkhardt, nannte den Vorschlag der EU-Kommission "zu kurz gedacht". Eine starre Verteilung nach einer Quote berücksichtige nicht die legitimen Interessen der Flüchtlinge, die dorthin wollten, wo schon Familienmitglieder oder Landsleute wohnten. "Kein Syrer, dessen Familie in Deutschland lebt, wird sich freiwillig in Staaten wie Ungarn, Polen oder Estland verteilen lassen. Menschen dürfen nicht wie Stückgut in Europa hin- und hergeschoben werden."

Keine legalen Möglichkeiten

Der Migrationsforscher Jan Schneider sieht besonders für Flüchtlinge aus akuten Kriegs- und Krisengebieten keine Möglichkeit, legal und sicher nach Europa zu kommen. In der "Frankfurter Rundschau" plädierte der Leiter der Forschungsstelle des Sachverständigenrats zu Integration und Migration (SVR) für ein kollektives Aufnahmeprogramm der EU für Kriegsflüchtlinge.

Einen Ansatz zur längerfristigen Verbesserung der Situation in der Migrationsagenda der EU-Kommission sieht Schneider in einem Neuansiedlungsprogramm, mit dem Flüchtlinge direkt aus dem Ausland in die EU aufgenommen werden sollen. Das zunächst vorgeschlagene Kontingent von 20.000 Menschen sei zwar zu gering, aber ein Anfang.

Die EU müsse das Kontingent ausbauen und die Logistik vor Ort verstärken, "damit die Flüchtlinge in einem möglichst transparenten und kriteriengeleiteten Verfahren ausgewählt werden können."


Quelle:
KNA , DR , dpa