Experten fordern Sofortprogramm gegen Kinderarmut

Armutsrisiko verharrt auf hohem Niveau

Zum ersten Mal binnen zehn Jahren ist statistischen Erhebungen zufolge das Risiko zur Verarmung in Deutschland gesunken. Es bleibe aber weiter auf hohem Niveau, wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) am Dienstag in Berlin mitteilte. Die Nationale Armutskonferenz forderte in Hannover ein Sofortprogramm gegen Kinderarmut. Dazu gebe es bereits gute Vorschläge, die jedoch wegen unklarer politischer Zuständigkeiten noch nicht umgesetzt würden.

Bemerkenswert: Auch bei Arbeitnehmern wächst das Armutsrisiko (DR)
Bemerkenswert: Auch bei Arbeitnehmern wächst das Armutsrisiko / ( DR )

Die Armutsrisikoquote sank den Erhebungen zufolge 2006 von 18 auf 16,5 Prozent. Im dritten Armuts- und Reichtumsbericht, den die Bundesregierung im Juni vorgelegt hatte, war sie mit 18 Prozent angegeben worden, weil sie auf der Basis älterer Daten berechnet worden war. Niedrigere Angaben zur Armutsquote bezogen sich auf Erhebungen im europäischen Vergleich.

Die Ungleichheit bei der Einkommensverteilung ist laut DIW im Jahr 2006 erstmals seit dem Mauerfall geringer geworden. Zugleich drifteten hohe und niedrige Löhne nicht weiter auseinander, hieß es. Grund für die positiven Entwicklungen ist laut DIW-Präsident Klaus F. Zimmermann der deutliche Rückgang der Arbeitslosigkeit als Folge der guten Konjunktur. Auch die Sockelarbeitslosigkeit sei nicht weiter gestiegen. Allerdings seien die Daten von 2007 und 2008 noch nicht erfasst, räumte Zimmermann ein. Die jüngsten Studien bezögen sich «auf den Beginn des Aufschwungs».

Zudem habe der Niedriglohnsektor nicht weiter an Bedeutung gewonnen, heißt es in einer der beiden Studien, die das DIW vorstellte. Der Anteil der Arbeitnehmer in diesem Bereich blieb demnach zwischen 2006 und 2007 konstant. Mit den jüngsten Ergebnissen sei «zum Teil widerlegt», dass die Menschen nicht vom konjunkturellen Aufschwung profitiert hätten, bilanzierte Zimmermann. Er riet der Politik, an den Arbeitsmarktreformen festzuhalten.

Die Armutskonferenz forderte dagegen ein Sofortprogramm gegen Kinderarmut. Nötig sei ein Rechtsanspruch für arme Kinder auf Lernmittelfreiheit, auf kostenloses Mittagessen in der Ganztagsbetreuung und auf kostenlosen Transport zur Schule, sagte Sprecher Wolfgang Gern. Zudem müsse der Kinderregelsatz nach Hartz IV sofort um 20 Prozent erhöht werden, bis die Politik ein neues Existenzminimum definiert habe.

Er kritisierte, dass das Kindergeld mit den Hartz-IV-Bezügen verrechnet werde: «Wir brauchen eine neue Umlage, damit das Kindergeld da gezahlt wird, wo es wirklich ankommt.» Umgekehrt bräuchten Familien mit zwei Verdienern und einem Kind gar kein Kindergeld, sagte Gern, Vorstandsvorsitzender des Diakonischen Werks in Hessen und Nassau.

In Hannover diskutierten rund 100 Fachleute über den Dritten Armuts- und Reichtumsbericht. Der Bericht, der von Politikern und nicht von Experten erstellt sei, tendiere zu einer Harmonisierung, kritisierte der Darmstädter Professor Walter Hanesch. Die Beschreibung der Probleme werde mit dem verbunden, was machbar sei. «Risiken werden ausgeblendet», sagte Hanesch.