KNA: Herr Stens, wie viele Glocken in Deutschland haben Sie im Blick?
Stens: Das lässt sich so genau gar nicht sagen. Es sind - ganz grob geschätzt - 140.000 Glocken, die allein auf deutschen Türmen hängen.
KNA: Worum geht's bei der Tagung der Campanologen, wie Ihre Zunft genannt wird, genau?
Stens: Da kommen rund 50 Experten aus ganz unterschiedlichen Fachrichtungen zusammen. Musiker, Techniker oder Metallurgen - wir sind ein bunter Haufen von Geistes- und Naturwissenschaftlern, die sich über das Thema Glocken austauschen.
KNA: Sie selbst wollen einen Vortrag halten und haben «einige ketzerische Anmerkungen» angekündigt. Wo drückt Ihnen denn der Schuh?
Stens: Das Glockenwesen steht vor großen Umbrüchen. Die Lücken, die der Zweite Weltkrieg gerissen hat, sind Gott sei Dank weitgehend geschlossen. In vielen Kirchen hängen nun sogar mehr Glocken als zuvor. Nun bekommen aber die Glockengießereien nur noch wenige Aufträge. Gab es in den 1950er Jahren noch über 20 Betriebe, existieren jetzt nur noch eine Handvoll. Ein kultureller Verlust.
Viele Betriebe überleben nur, weil sie sich im Kunstguss engagieren und Bronzeportale oder Brunnen fertigen.
KNA: Auf Ihrer Tagung befassen sie sich auch mit Kirchenschließungen...
Stens: Das ist auch ein Teil des Umbruchs. Mit den Schließungen stellt sich die Frage, was mit den Glocken passiert. Manche finden eine Zweitverwertung im Ausland, etwa in Polen. Andere Gemeinden bringen nach der Schließung einer Filialkirche die Glocken in der Mutterkirche unter. Hier erweist es sich übrigens als Segen, wenn die Glocken eines Ortes tonlich abgestimmt sind und problemlos in die Hauptkirche integriert werden können. Mancherorts bleiben trotz Abriss der Kirchen die Türme mit den Glocken erhalten, die weiterhin den Sonntag einläuten.
KNA: Das klingt ja eher beruhigend - zumindest was die Glocken anbelangt. Welches Thema steht denn noch an?
Stens: Der Umgang mit den Glocken. Durch das Läuten nutzen sie sich ab. Deshalb haben Techniker Methoden entwickelt, die Glocken zu schonen - etwa durch genau bemessene Klöppel und darauf abgestimmte Schwungwinkel. Doch damit sind in einigen Fällen klangliche Einbußen verbunden. Hier gilt es aufzupassen, dass die Belange der Denkmalpflege nicht übertrieben werden. Glocken sind Gebrauchsgegenstände und keine heiligen Kühe, die man am besten in Ruhe lässt.
KNA: Schenken die Kirchen den Glocken genug Aufmerksamkeit?
Stens: Das variiert von Gemeinde zu Gemeinde. Es gibt Pfarrer und Küster, die sich sehr für ihre Glocken interessieren. Andere kümmern sich weniger darum. Oft fehlen auch die nötigen Kenntnisse.
KNA: Und die Bistümer und Landeskirchen?
Stens: Die haben Glockensachverständige - allerdings mit unterschiedlichen Kompetenzen. Die einen dürfen nur im Auftrag einer Gemeinde aktiv werden. Andere können von sich aus intervenieren und Verbesserungen für die Glocken einleiten. Das ist eindeutig besser und garantiert eine professionelle Wartung der Glocken.
Das Interview führte Andreas Otto.