Experte für Stärkung des christlichen Profils bei kirchlichen Friedhöfen

"Ein großer Schatz"

Eine Stärkung des "christlichen Profils" ihrer Friedhöfe wünscht sich der Theologe und Archäologe Reiner Sörries von den Kirchen. Im domradio-Interview spricht der Direktor des Museums für Sepulkralkultur in Kassel über Friedhofskultur von ihren Anfänge in der Spätantike, über die Kommunalisierung im 18. Jahrhundert bis zur heutigen Individualisierung.

 (DR)

domradio: Sie haben eine Kulturgeschichte des Friedhofs geschrieben - wo liegen denn die Anfänge des "klassischen" Friedhofs?
Sörries: Man sollte eigentlich denken, Friedhöfe gibt es so lange wie es die Menschheit gibt. Aber wir müssen unterscheiden: Noch in der Antike gab es eigentlich nur einzelne Gräber, für die jeweils immer nur die Familie verantwortlich war. Und der bekam ein ordentliches Grab, der Teil einer solchen Familie war. Und in der Spätantike gab es immer mehr sozialabhängige und - wir würden heute sagen - obdachlose, arme Menschen, die keiner Familie angehörten. Diesen Menschen drohte es, dass sie kein Grab haben würden. Deshalb gründeten sich in der Spätantike Begräbnisvereine, Zünfte und Gilden, die für ihre Mitglieder gemeinsame Grabstätten geschaffen haben, um alle Mitglieder zu bestatten, auch wenn sie keiner biologischen Familie angehörten. Hier liegen die Anfänge für den Friedhof, so wie wir in kennen, so im 1., 2. Jahrhundert nach Christus.

domradio: Sind die Friedhöfe also eine christliche Erfindung?
Sörries: Keine christliche Erfindung in dem Sinne, es waren spätantike Begräbnisbruderschaften und -gilden. Aber die Christliche Gemeinde hat dieses Prinzip aufgegriffen, für alle einen gemeinsamen Friedhof zu schaffen und hat dieses Prinzip der gemeinsamen Grabstätte kultiviert. Denken Sie an die Katakomben mit den vielen tausenden von Gräbern - das ist in der Tat ein erster christlicher Friedhof für alle Mitglieder der Christlichen Gemeinde.

domradio: Dass jeder einen Anspruch auf ein eigenes Grab besitzt, ist aber noch nicht so alt.
Sörries: Nein, der Friedhof hat sich dann als kirchlicher und religiöser Friedhof entwickelt. Es gab dann im Mittelalter natürlich katholische Friedhöfe, seit der Reformation auch evangelische. Dann gab es jüdische Friedhöfe. Wer nicht zu einer dieser Glaubensgemeinschaften gehörte, der bekam auch kein Grab und wurde irgendwo außerhalb der Friedhofsmauern verscharrt. So um 1800 - also mitten in der Zeit der Aufklärung - haben dann die Herrscher und Fürsten beschlossen: Wir nehmen jetzt das Friedhofswesen in die eigene Hand und haben dann gewissermaßen das geschaffen, was wir heute den kommunalen Friedhof nennen, also den weltanschaulich neutralen Friedhof, in dem alle Menschen ohne Ansehen von Person, Religion und Geschlecht eine Grabstätte finden sollten.

domradio: Wie ist es heute um den kirchlichen Friedhof bestellt?
Sörries: Seit der Zeit der Kommunalisierung der Friedhöfe ist es den Kirchen nur noch erlaubt, Friedhöfe zu unterhalten. Sie tun dies häufig anstelle der politischen Gemeinde. Und weil kirchliche Friedhöfe dann eben auch alle Menschen bestatten müssen, sehen sie in aller Regel nicht anders aus als kommunale Friedhöfe. Das wäre eigentlich ein Wunsch von mit, dass Kirchen, soweit sie Friedhofsträger sind, ihren Friedhöfen ein eigenes kirchliches und christliches Profil geben. Kirchliche Friedhöfe sind eigentlich ein großer Schatz der Kirche, denn knapp die Hälfte aller Friedhöfe in Deutschland sind trotz dieser Entwicklung noch in kirchlicher Trägerschaft.

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