Exil-Syrerin sieht bedrohliche Lage für Christen in ihrem Heimatland

"Gehen oder sterben"

Am 22. Juni sind bei einem Selbstmordanschlag auf die Mar-Elias-Kirche in Damaskus 25 Menschen ums Leben gekommen und weitere 60 verletzt worden. Wie blickt eine junge Syrerin in Deutschland auf die Entwicklungen in ihrem Heimatland?

Autor/in:
Vera Sturm
Damaskus: Nonnen stehen vor der griechisch-orthodoxen Mar-Elias-Kirche im Stadtteil Al-Duwaila nach dem Selbstmordanschlag vom Sonntag, 22. Juni / © Moawia Atrash (dpa)
Damaskus: Nonnen stehen vor der griechisch-orthodoxen Mar-Elias-Kirche im Stadtteil Al-Duwaila nach dem Selbstmordanschlag vom Sonntag, 22. Juni / © Moawia Atrash ( dpa )

Für Maria* war es ein Schock, als sie vom Anschlag auf die christliche Kirche St. Elias in Damaskus erfuhr. Maria kommt aus Syrien, ist Christin und lebt seit über zehn Jahren in Deutschland. 

Den besagten Sonntag verbrachte sie mit ihrer Familie. Nichts ahnend öffnete sie Facebook auf ihrem Handy: "Das war ungefiltert. Man hat die Leichen gesehen, man hat das Blut gesehen, man hat die Zerstörung gesehen, man hat Menschen schreien sehen. Die ersten Momente habe ich über diese Videos mitkriegen können." Aufgelöst versuchte Maria, Familie und Freunde in Damaskus zu erreichen und herauszufinden, ob es allen gut geht. Schnell erfuhr sie, dass auch Menschen, die sie kennt, verletzt oder getötet worden waren. 

Damaskus: Syrische Bürger und Sicherheitskräfte begutachten die Schäden in der Mar-Elias-Kirche, in der sich ein Selbstmordattentäter in Dweil'a am Stadtrand in die Luft sprengte. / © Omar Sanadiki/AP (dpa)
Damaskus: Syrische Bürger und Sicherheitskräfte begutachten die Schäden in der Mar-Elias-Kirche, in der sich ein Selbstmordattentäter in Dweil'a am Stadtrand in die Luft sprengte. / © Omar Sanadiki/AP ( dpa )

Ihre Gefühle bei diesen Telefongesprächen kann Maria rückblickend kaum in Worte fassen. Über den Hörer spürte sie das große Leid der Menschen vor Ort. Der Schock sitzt bei den Christen aus Syrien tief. Kommentare wie: "Ich wünschte, ich wäre in einem anderen Land geboren", liest sie häufig bei Facebook. Die Ereignisse der letzten Monate führen ihr vor Augen, dass auch sie in Syrien in großer Gefahr wäre. Umso dankbarer ist sie, dass sie in Deutschland ist. Für sie ist es ein großes Anliegen, über den Anschlag und die Situation zu sprechen. 

Keine legale Flucht möglich 

In Syrien existiert das Christentum seit 2000 Jahren. Es ist Teil der Kultur des Landes. Wie viele Christen noch in Syrien leben, ist schwierig zu sagen. Optimistisch spricht man von bis zu 500.000 Menschen. Vor dem Krieg waren sieben Prozent der 21 Millionen Einwohner des Landes Christen. 

Maria sagt, dass nach dem Anschlag so gut wie alle Christen fliehen wollen. Solange die Übergangsregierung an der Macht ist, gibt es allerdings keine Möglichkeit, das Land auf legalem Wege zu verlassen. Viele Familien wollen das Risiko, dass ein Familienmitglied bei einer illegalen Flucht umkommt, nicht auf sich nehmen. "Entweder sterben wir alle in Syrien oder wir gehen alle", erklärt Maria deren Einstellung. Auch für ihre Familie kam damals die Flucht nur auf legalem Weg in Frage. 

Der Terrorangriff könnte der ausschlaggebende Moment sein, dass sich die letzten verbliebenen Christen aus Verzweiflung doch für eine Flucht entscheiden. Die Sorge ist groß, dass das Christentum komplett aus Syrien vertrieben wird.

Gefahr für religiöse Minderheiten nimmt stetig zu

Als im Dezember 2024 der Machthaber Baschar al-Assad gestürzt wurde, schöpfte Maria neue Hoffnung: "Vielleicht wird die wirtschaftliche Lage besser, vielleicht müssen sie nicht mehr in Armut leben. Vielleicht, vielleicht, vielleicht. Das war die Hoffnung, aber immer verbunden mit Bedenken", erinnert sie sich. 

Als bei einem Massaker Anfang März diesen Jahres 100 Alawiten von regierungsnahen Milizen getötet wurden, schwand die Hoffnung langsam. Maria erzählt, dass sich viele Christen nach dem Massaker sicher waren: "Jetzt sind wir dran". Mit dem Terrorangriff wurde diese Sorge bestätigt. Auch im Internet wurde die christenfeindliche Stimmung deutlich. Videos, in denen Drohungen an Kirchenwände geschrieben oder in denen Marienstatuen zerstört wurden, verbreiteten sich rasant.

Enttäuscht von der Übergangsregierung

Der Druck auf die Übergangsregierung, die den Schutz der religiösen Minderheiten versprochen hatte, wächst weiter an. Zwar gibt es mit Hind Kabawat eine christliche Ministerin für Sozialwesen, aber Maria zweifelt an deren Einfluss und sieht sie eher als Instrument der Beschwichtigung der religiösen Minderheiten und der Frauen im Land.  

Damaskus: Menschen inspizieren die griechisch-orthodoxe Mar-Elias-Kirche im Stadtteil Al-Duwaila nach dem Selbstmordanschlag vom Sonntag / © Moawia Atrash (dpa)
Damaskus: Menschen inspizieren die griechisch-orthodoxe Mar-Elias-Kirche im Stadtteil Al-Duwaila nach dem Selbstmordanschlag vom Sonntag / © Moawia Atrash ( dpa )

Am Tag des Anschlags besuchte Kabawat die Kirche St. Elis und drückte ihr Beileid aus. Viele Christen waren enttäuscht, dass nicht Übergangspräsident Ahmed al-Scharaa an den Ort des Attentats gekommen war. Erst am Tag darauf wandte er sich an die Bürgerinnen und Bürger Syriens. Für Maria zeigte er kaum Anteilnahme und drückte nicht sein Beileid aus. Auch sprachlich distanzierte er sich für sie nicht deutlich genug vom Attentat, weil er die Verstorbenen nicht als Märtyrer bezeichnete. Für viele christliche Syrer war klar: "Wir sind keine Mitbürger. Uns steht Schlimmeres bevor, das Land gehört nicht mehr uns, wir sind kein Teil dieses Landes, entweder müssen wir sterben oder gehen."

Maria fällt es schwer, die Hoffnung nicht zu verlieren. Sie versucht so gut wie es geht, aus der Ferne zu helfen, hört den Menschen zu und versucht für sie da zu sein. Sie erzählt, dass eine syrische Bekannte Nachwuchs erwartet; ein freudiger Anlass, der allerdings seit dem Anschlag noch mehr von der ständigen Gefahr durch die instabile politische Situation überschattet wird. "Mit allem, was seit dem Anschlag passiert ist, lässt sich bestätigen, dass die Sorgen, die wir haben, größer sind als die Hoffnung, die wir hatten."

Information der Redaktion: *Name der Protagonistin auf eigenen Wunsch anonymisiert.

Christen in Syrien

Syrien gilt als Wiege des Christentums. Vor dem 2011 ausgebrochenen Bürgerkrieg waren laut Daten der Linzer "Initiative Christlicher Orient" etwa 7 Prozent der damals 21 Millionen Syrer christlich. Aktuelle Zahlen sind schwer zu ermitteln, auch weil mindestens 5,5 Millionen Syrerinnen und Syrer aus dem Land geflohen sind. Nach verschiedenen Schätzungen soll es noch maximal 500.000 Christen in Syrien geben. Rund drei Viertel der Syrer sind sunnitische Muslime, etwa 12 Prozent gehörten vor dem Krieg der Sekte der Alawiten an, darunter auch der nun gestürzte Assad-Clan. 

Außenansicht der Kirche Sankt Georg in Izra (Syrien) / © Karin Leukefeld (KNA)
Außenansicht der Kirche Sankt Georg in Izra (Syrien) / © Karin Leukefeld ( KNA )
Quelle:
DR

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