Ex-Oberrabbiner von Moskau fürchtet neuen Eisernen Vorhang

Warnung vor Isolation und Antisemitismus

Das jüdische Leben in Russland ist nach den Worten des früheren Moskauer Oberrabbiners Pinchas Goldschmidt massiv bedroht. Das Land verändere sich "rapide zum Schlechteren", sagte er. Sorgen bereite zudem staatlicher Antisemitismus.

Pinchas Goldschmidt / © Dieter Mayr (KNA)
Pinchas Goldschmidt / © Dieter Mayr ( KNA )

Dies äußerte der frühere Moskauer Oberrabbiner gegenüber der "Süddeutschen Zeitung". "In Sowjetzeiten hat die jüdische Gemeinde 70 Jahre an Isolation durchlebt - und das hat ihr extrem geschadet", so der Präsident der Konferenz der Europäischen Rabbiner. Es herrsche große Angst, dass ein neuer "Eiserner Vorhang" diese Isolation wiederherstelle.

Der "Eiserne Vorhang"

Mit dem Begriff "Eiserner Vorhang" bezeichnete 1946 der britische Politiker Winston Churchill die nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzende Trennung des kommunistischen Teils Europas vom restlichen Kontinent. Bis zum Zusammenbruch des Ostblocks 1989 prägte dieses Bild die Wahrnehmung einer ganzen Epoche. Der in Zürich geborene Goldschmidt war im Sommer vergangenen Jahres nach fast 30 Jahren als Leiter des Moskauer Rabbinats zurückgetreten. Bereits kurz nach Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine hatte er Russland verlassen und war schließlich nach Israel gegangen.

Goldschmidt warnt vor staatlichem Antisemitismus

Wie der Rabbiner der "Süddeutschen Zeitung" weiter sagte, befürworteten 90 Prozent der jüdischen Bevölkerung in Russland den Krieg nicht. "Die meisten, die bleiben, schweigen. Alles andere wäre zu gefährlich", fügte Goldschmidt hinzu.

Neben der Unterdrückung der Zivilgesellschaft und Einschränkungen bei der Meinungsfreiheit sei in Russland ein stark ansteigender Antisemitismus wahrzunehmen. "Und damit meine ich nicht den Antisemitismus auf der Straße, spontane Taten, wie sie leider auf der ganzen Welt vorkommen. Was uns in diesem Moment besonders beunruhigt, ist Antisemitismus, der vom Staat ausgeht", so der Rabbiner.

Dass der russisch-orthodoxe Patriarch Kyrill I. nicht zu den Kritikern des Krieges zähle, überrascht Goldschmidt laut eigenem Bekunden nicht. "Die Frage ist, ob Religion das Instrument eines Staates sein darf. Meine Position ist: Wenn Religion das tut, ist sie keine moralische Kraft mehr. Dann ist sie der Staat. Und damit überflüssig."

Stichwort: Rabbi

In den Evangelien des Neuen Testaments wird Jesus als Rabbi und damit als jüdischer Gelehrter bezeichnet. Diese ehrerbietige Anrede bedeutet "Meister"; in ihr kommen Gehorsam und Respekt zum Ausdruck. Jesus selbst bestätigt, dass ihm diese Anrede zukommt (Joh 13,13). Obwohl Jesus kein studierter Schriftgelehrter ist, tritt er wie ein solcher auf, was diese als Anmaßung empfinden. Er lehrt in der Synagoge, interpretiert die Schrift und hat einen Schülerkreis. Jesu Lehre ist nicht gegen den in der Tora dargelegten jüdischen Glauben.

Symbolbild Thorarolle / © Pedro Gutierrez (shutterstock)
Symbolbild Thorarolle / © Pedro Gutierrez ( shutterstock )
Quelle:
KNA