Eva Menasse über ihren Roman ‘Dunkelblum’

'So etwas hinterläßt doch Spuren'

Als einen Geniestreich feiert die Presse zurzeit den neuen Roman ‘Dunkelblum’ von Eva Menasse. Die Autorin erzählt die Geschichte einer Kleinstadt, in der 1945 ein Massaker an jüdischen Zwangsarbeitern stattfand. Eine Geschichte, die auf eine wahre Begebenheit zurückgeht und bis heute Fragen aufwirft.

Eva Menasse / © Soeren Stache (dpa)
Eva Menasse / © Soeren Stache ( dpa )

Alles, was ich mir ein bißchen erklären kann, ist besser als das, was ich mir gar nicht erklären kann”, sagt Eva Menasse im DOMRADIO.DE Interview. “Unfaßbar”, “unbeschreiblich”, "teuflisch", “eine höllische Geschichte”. Für die Autorin sind das Worthülsen einer bedeutungslosen Sprache, die alles zuschmieren und die die Vergangenheit eher verschleiern als aufklären.

Die Leichen wurden nie gefunden

In den letzten Kriegstagen hat es im österreichischen Rechnitz ein Massaker gegeben. 200 jüdische Zwangsarbeiter wurden dort ermordet. Die Leichen aber wurden nie gefunden. “Vielleicht ist mein Ausgang für dieses Buch, dass man über Rechnitz immer so gesprochen hat, dass man immer gesagt hat, ja, überall hat man die Leichen gefunden, nur in Rechnitz nicht. Das ist doch eigentlich nicht zu fassen. Und über dieses - ‘das ist doch eigentlich nicht zu fassen’ - beginne ich nachzudenken und denke dann eben, da es aber geschehen ist, muss man es auch beschreiben können”.

Wir kommen nicht weiter, wenn wir es 'böse' nennen

Dunkelblum’ heißt die österreichische Kleinstadt in Eva Menasses Roman. Was hier in den letzten Kriegstagen passiert ist, wird häufig als ‘unfassbar böse’ bezeichnet, als kaltblütiger Mord an wehrlosen Menschen, sadistisch und grausam. “Wir kommen auch nicht weiter, wenn wir es ‘böse’ nennen”, ist Eva Menasse überzeugt. “Wir müssen immer die Bedingungen mitdenken, unter denen die Menschen so gehandelt haben. Ich glaube wirklich, dass uns dieses dauernde Gerede von dem Bösen einfach nur stumpf macht und dass uns das erkenntnistheoretisch nichts bringt und uns auch moralisch nicht weiterbringt". Die Autorin unterscheidet zwischen einzelnen Menschen, die notorische Sadisten und Gewalttäter sind - und der großen Mehrheit der Menschen. Horka ist im Roman einer vor denen, die Spaß am Quälen haben. Das aber sei die absolute Minderzahl. “Die meisten Menschen hingegen sagen bei allen ihren Handlungen, sie haben es aus bestem Wissen und Gewissen gemacht, auch wenn die entsetzlichsten Handlungen am Ende dabei herauskommen. Und wenn wir das nicht verstehen, dann verlieren wir uns wirklich in moraltheologischem Mist”, sagt Menasse.

So etwas hinterläßt Spuren

In ihrem Roman sucht die Autorin nach Erklärungen, nach Zusammenhängen. Sie fragt auch, was danach in der Kleinstadt passiert ist, in den Jahrzehnten nach dem Massaker. Warum und wie haben alle das Massaker verschwiegen und damit leben können? Denn die große Wahrheit sei, dass so etwas Folgen habe, ist Menasse überzeugt: “Nicht nur für die Täter, sondern auch für die, die in diesem Ort weiterleben müssen, auch wenn sie nichts dafür konnten und auch wenn sie nur Zeugen waren oder Hitlerjungen, die in einer gewissen Weise mitgewirkt haben. So etwas hinterlässt Spuren. Und diese Spuren zu beschreiben, war mein Motiv”.

Die Bedeutung der Gruppendynamik

Die Autorin fragt nach der Rolle des einzelnen Menschen im Zusammenhang mit dem, was in Rechnitz geschehen ist, nach den Motiven, auch nach der Gruppendynamik, die das grausame Handeln und das kollektive Schweigen darüber nach der Tat möglich gemacht haben. “Es ist vielfach untersucht worden, wie ungeheuer stark Gruppendruck ist und wie viel es braucht, sich dem Gruppendruck entgegenzustellen”, sagt Menasse, und dass es eben auch Leute gebe, die sich dem Gruppendruck aus falschen Gründen entgegenstellten: "Stichwort Querulanten. Das haben wir heute auch mit den Querdenkern, die glauben, es sei ganz toll, was sie machen und wie tapfer sie sind, dass sie gegen das sind, was die Mehrheit glaubt. Ich glaube, dass menschliches Handeln wirklich sehr gut analysiert werden kann, wenn man immer die Gruppendynamiken in Rechnung zieht”, sagt die Autorin.

Der Messias schweigt

Am Ende des Romans steht ein Augenblick in einer leeren Kirche. Vor einem Altarbild steht einer der Bewohner Dunkelblums und sieht, wie der Messias schweigend leidet. “Er schwieg so dröhnend wie die leere Kirche”, heißt es im Buch. Der Erlöser kann die Welt nicht mehr retten. “Ja, ich glaube, das ist eine gottverlassene Welt”, sagt die Autorin, “das ist vielleicht auch ein bisschen pessimistisch am Ende. Es weist natürlich auch darauf hin, dass es hier zwei Gruppen gibt, die Juden, die ermordet worden sind, die ja auch keinen Messias kennen und die Christen mit ihrem Messias, der die Shoa nicht verhindert hat”.

Wie hätten wir selbst gehandelt?

Eva Menasse hat einen Roman geschrieben, der viele Fragen aufwirft, der zum Nachdenken und Diskutieren einlädt. Was ist die ganze Wahrheit? Gibt es die überhaupt? Und welche Rolle spielt der einzelne Mensch in der Geschichte? “Ich glaube immer noch an die Entscheidungsfähigkeit des Menschen in den einzelnen Situationen”, sagt Menasse. “Ich glaube, dass man sich immer wieder aufs Neue entscheiden kann, für was Besseres oder was Schlechteres. Und trotzdem plädiere ich in diesem Roman auch nicht zu hochmütig über die sogenannten kleinen Leute zu urteilen, die ihren kleinen Existenzkampf geführt haben und denen wir Nachgeborenen über 70 Jahre später irgendwie aus dem historischen Seminarblick heraus nicht ausrichten sollten, wie sie sich hätten verhalten sollen. Ich glaube, wir können beschreiben, dass manches daran falsch war. Aber wir können doch niemals sagen, wie wir selbst in so einer Situation gehandelt hätten”.


Quelle:
DR